Wirtschaftsleitung: “1994 hingegen waren es gegenüber 1989 nur noch 39 Prozent” – Ist der Kohleausstieg rechtlich überhaupt möglich?

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In der Lausitz gleichwertiger Lebensverhältnisse schaffen? Eigentlich müsste die Wiedervereinigung und der angedachte Kohleausstieg als ein Gesamtkomplex betrachtet werden. Immerhin wird noch heute mit einstiger DDR-Technik im Lausitzer Revier gearbeitet. Die Umbrüche nach dem Mauerfall und der anschließende Transformationsprozess hatten weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft in den neuen Bundesländern. Insbesondere in der Lausitz, einer Region, die stark von der DDR-Wirtschaft abhängig war, wurden Millionen von Arbeitsplätzen durch die Privatisierung verloren.

“Die Industrie im Osten kollabierte nicht zu DDR-Zeiten, sondern Anfang der 1990er Jahre unter der neuen Ordnung”

>>Wir und die Russen von Egon Krenz (Buch) <<

“Ich behaupte nicht, dass unsere Wirtschaft 1989 ohne ernsthafte Probleme gewesen wäre. Aber pleite, wie mit Verweis auf jenes »Schürer-Papier« unverändert behauptet wird, war die DDR nicht. Die Industrie im Osten kollabierte nicht zu DDR-Zeiten, sondern Anfang der 1990er Jahre unter der neuen Ordnung. Der Kahlschlag damals übertraf den Niedergang nach den beiden Weltkriegen. 1919 wurden noch 57 Prozent der Vorkriegsproduktion erreicht, 1946 immerhin noch 42 Prozent – 1994 hingegen waren es gegenüber 1989 nur noch 39 Prozent.”

“1919 wurden noch 57 Prozent der Vorkriegsproduktion erreicht, 1946 immerhin noch 42 Prozent – 1994 hingegen waren es gegenüber 1989 nur noch 39 Prozent”

Der Rückgang der industriellen Produktion war enorm – im Jahr 1994 erreichte sie nur noch 39 Prozent des Niveaus von 1989. Die Folgen dieser Entwicklungen waren für die Menschen vor Ort spürbar: hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung junger Menschen und ein drastischer sozialer Abstieg. Dies steht jedoch im klaren Widerspruch zu dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse. Ursprünglich sollte das Volkseigentum der DDR gerecht unter den Bürgern verteilt werden.

“Die gesamte Bevölkerung wäre zu gleichberechtigten Aktionären des vormaligen Volkseigentums geworden”

>>Welt<<

“Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung sorgten sich um die Erträge aus „40 Lebensjahren voller Arbeit und Mühen für die Bürger der DDR“. Deshalb hatte der Theologe Wolfgang Ullmann, als Minister ohne Geschäftsbereich Mitglied in der Übergangsregierung unter dem SED-Funktionär Hans Modrow, am 12. Februar 1990 am Runden Tisch einen Vorschlag gemacht, wie das Volkseigentum an das Volk verteilt werden könne. Alle VEB sollten in eine Holding eingebracht werden, die als erste Handlung Anteilscheine an alle DDR-Bürger herausgeben würde. Die gesamte Bevölkerung wäre zu gleichberechtigten Aktionären des vormaligen Volkseigentums geworden, idealerweise noch bis zu den Volkskammerwahlen am 18. März.”

“Alle VEB sollten in eine Holding eingebracht werden, die als erste Handlung Anteilscheine an alle DDR-Bürger herausgeben würde”

Doch mit Blick auf die Realität wurde schnell deutlich, dass dieser Plan nicht umgesetzt werden konnte. Stattdessen gingen viele Betriebe in westdeutsche Hände über oder wurden geschlossen – eine Entwicklung, die gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation und damit auch auf das alltägliche Leben vieler Menschen hatte.

“Nach der Einheit gingen Millionen Jobs durch die Privatisierung der DDR-Wirtschaft verloren”

>>Spiegel<<

“Nach der Einheit gingen Millionen Jobs durch die Privatisierung der DDR-Wirtschaft verloren. … Insgesamt war die Treuhand für mehr als 23.000 Unternehmen verantwortlich, sie funktionierte wie eine Superholding, deren Zweck im Prinzip die eigene Zerschlagung war. Millionen Jobs gingen dabei verloren. Zahllose Ostdeutsche im arbeitsfähigen Alter waren in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre vom Treuhand-Regime direkt oder mittelbar betroffen.”

“Insgesamt war die Treuhand für mehr als 23.000 Unternehmen verantwortlich” – “Zweck im Prinzip die eigene Zerschlagung war”

Die wirtschaftlichen Folgen dieser Zeit spiegeln sich noch in der Gegenwart wider. Die allgemeine Erklärung hierfür lautet ungefähr so, dass es für solch ein Szenerio keine Erfahrungswerte gegeben haben soll. Aber stimmt dies?

“Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952” “Integration beider Teile Deutschlands nach einer Wiedervereinigung vorzubereiten”

>>Deutsche Digitale Bibliothek<<

“Geschichte des Bestandsbildners: Durch Erlass des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952 wurde ein Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands (FB) als unabhängige und überparteiliche Institution mit Sitz in Berlin gegründet mit der Aufgabe, die wirtschaftliche und soziale Lage und Entwicklung in der DDR zu beobachten und zu analysieren sowie die wirtschaftliche und sozialpolitische Integration beider Teile Deutschlands nach einer Wiedervereinigung vorzubereiten.”

“Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen vom 24. März 1952 wurde ein Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands”

Die Pläne zur Wiedervereinigung haben also schon wenige Jahre nach der Gründung der BRD in der Schublade gelegen. Der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands wurde beim Gesamtdeutschen Ministerium ins Leben gerufen, um Pläne und Szenarien zu entwerfen, die im Falle einer tatsächlichen Vereinigung umgesetzt werden könnten. Diese Konzepte wurden sorgfältig ausgearbeitet und lagen bereit, als 1989/1990 die politische Wende in der DDR begann. Die Erfahrungen des Beirates bildeten eine solide Grundlage für das weitere Vorgehen. Die Ideen flossen nahtlos in die bundesdeutsche Politik ein und trugen maßgeblich zum erfolgreichen Anschluss Ostdeutschlands bei. Der Begriff “Anschluss” kann diesem Kontext als durchaus passend geltend.

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen”

>>Heise.de<<

“Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen. Im März 1938 war Österreich annektiert worden. Und ab September 1939 begann die Zerstückelung Polens und die Annexion seiner westlichen Provinzen. … Zu den etablierten Maßnahmen gehörte immer eine Währungsunion. Dabei wurde die Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet, “um das annektierte Territorium schlagartig von seinen ökonomischen Außenbeziehungen abzutrennen und seine Kapital- und Warenmärkte für einen radikalen Durchdringungsprozess seitens der Unternehmen der Annexionsmacht zu öffnen”.

“Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet”

Angesichts dieser Herausforderungen besteht nun die Aufgabe darin, in der Lausitz gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Es bedarf gezielter Maßnahmen zur Stärkung der regionalen Wirtschaft sowie zum Erhalt und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Stattdessen wird genau das Gegenteil forciert.

Lausitzer Kohle: „Arbeitsplätze für Zuliefererunternehmen“

>>Vorwärts<<

„Nach der Einigung zum Kohleausstieg hält sich der Jubel in der Lausitz in Grenzen. – Rund 8600 Arbeitsplätze hängen nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle an der Stromerzeugung und dem Kohleabbau in der Lausitz. In den Tagebauen vor Ort stecken die größten Braunkohle-Vorkommen in Deutschland. Hinzu kommen Arbeitsplätze für Zuliefererunternehmen sowie die Industrie, die von den Kraftwerken vor Ort abhängig ist, weil sie beispielsweise die produzierte Abwärme für die eigene Produktion nutzt. Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier – dort steht das Kraftwerk Schwarze Pumpe – spricht in anderen Medien von „dem Industriezweig“ in der Lausitz – weitere 20.000 Jobs würden von dem fossilen Energieträger abhängen.“

„20.000 Jobs würden von dem fossilen Energieträger abhängen“ 

Genau wie bei der Wiedervereinigung sollen neue Ersatzarbeitsplätze entstehen. Zumindest wurde es so per amtlichen Stellen verkündet.

Im Umlauf: Ominöse Papiere von sogenannten Ersatzarbeitsplätze

>>taz<<

„Tausende neuer Jobs sollen als Ersatz für die Braunkohleindustrie entstehen. Darauf haben sich Bund und Länder in Eckpunkten für ein „Strukturstärkungsgesetz“ geeinigt. „Ziel der Bundesregierung ist der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in strukturschwachen und vom Strukturwandel betroffenen Regionen im Umfang von 5.000 Arbeitsplätzen innerhalb von zehn Jahren“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt.“

„5.000 Arbeitsplätzen innerhalb von zehn Jahren“ – Und woher?

Alleine durch die steigenden Energiepreise sind zahlreiche Arbeitsplätze verloren gegangen, was grundsätzliche Fragen am Kohleausstieg aufwirft. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass in Lausitz nur eine Minderheit den Kohleausstieg befürwortet, womit es explizit gegen den Volkswillen des Grundgesetzes gerichtet ist. – Alleine die Umfrage bezüglich Abwanderungen sprechen für sich selbst. Da das Lausitzer Revier mit Mitteln des DDR-Staates aufgebaut wurde und es per rechtlicher Definition als Volksvermögenrespektive Volkseigener Betrieb – gegolten hat. – Ist diese Form der Enteignung mehr als rechtlich fragwürdig.

“Sollte sich die Modernisierung der DDR selbst finanzieren” – “Ostdeutschen Staatsbetriebe lukrativ verkaufen ließen”

>>Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen von Ulrike Herrmann (Buch) <<

“Der Staatsvertrag zur Währungsunion sah vor, dass man 1990 lediglich 25 Milliarden D-Mark an die ostdeutschen Länder überweisen würde. 1991 sollten noch einmal 40 Milliarden folgen. Ansonsten aber sollte sich die Modernisierung der DDR selbst finanzieren, denn anfangs hatte man große Hoffnungen, dass sich die ostdeutschen Staatsbetriebe lukrativ verkaufen ließen. Manche Schätzungen gingen gar davon aus, dass das DDR-Vermögen etwa 600 Milliarden D-Mark wert sei.”

“DDR-Vermögen etwa 600 Milliarden D-Mark wert sei”

Bei dieser Rechnung wird gerne vergessen. Es ging mitnichten nur ehemaliges DDR-Volksvermögen, sondern eben auch um Patente, Aufträge und Absatzmärkte. Diese sind nun umverteilt. Eigentlich müsste ein langer Weg beschritten werden, um die Lausitz zu einer lebenswerten Region mit guten Zukunftsperspektiven für alle zu machen. Dies erfordert jedoch eine enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie den Willen aller Beteiligten, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Nur so können wir das Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse erreichen – nicht nur in der Lausitz, sondern auch Europaweit.