“Auf der großen Bühne der Politik geht es einmal mehr um die Deutungshoheit und eine überzeugende Inszenierung”

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Die absichtliche Verbreitung von unwahren Behauptungen – die sich nicht unmittelbar auf eine bestimmte Person beziehen – soll angeblich untersagt werden. „Der Mond besteht aus Käse“ – wer eine solche Aussage trifft, könnte Schwierigkeiten bekommen, obwohl der Mond keine Persönlichkeitsrechte besitzt. Der Hintergrund hierfür sind die Gefahren beziehungsweise vermeintlichen Risiken, die mit Fehlinformationen verbunden sein sollen. Demnach gelten die gezielte Beeinflussung von Wahlen sowie die mittlerweile alltägliche Verbreitung von Desinformationen und Falschnachrichten als ernsthafte Bedrohungen für die demokratische Ordnung. Bereits diese Annahmen bringen eine Vielzahl von Problemen mit sich.

“Aber wer darf die eine oder die vielen Geschichten erzählen?” 

>>Der Osten – eine westdeutsche Erfindung von Dirk Oschmann (Buch) <<

“Aber wer darf die eine oder die vielen Geschichten erzählen? Und aus welchen Perspektiven? Wenn die in der Regel eben westdeutschen Historiker als zuständige Fachprofis für die Abweisung einer gemeinsamen Geschichte plädieren, bedeutet das auch, dass sich der Westen die Deutungshoheit unter keinen Umständen nehmen lassen oder auf eine andere Perspektive auch nur einlassen will. Ob der Osten sich dann wiederum seine eigene Geschichte erzählt, quasi am Katzentisch, ist egal, weil sie ohnehin nicht zählt, sofern sie überhaupt erzählt wird. Die innerdeutsch übersichtlich geteilte Geografie lädt offenbar zur bequem teilbaren und geteilten Geschichte ein. Wenn man aber nicht an den Punkt kommt, die geteilte Geschichte nach 1945 und mehr noch nach 1990 als gemeinsame Geschichte zu begreifen, wird man auf Dauer auch in Zukunft ein geteiltes Land bleiben. So setzt sich die Spaltung aus Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft fort.”

“Westen die Deutungshoheit unter keinen Umständen nehmen lassen”

Der Ausgangspunkt liegt bereits darin, aus welcher Sichtweise eine Erzählung dargeboten wird, wobei westdeutsche Historiker durchaus als voreingenommen oder von eigenen Interessen geleitet betrachtet werden können. Gleichzeitig können sich politische Auseinandersetzungen wandeln, sobald keine gemeinsame Faktenbasis mehr vorhanden ist. Die für demokratische Gesellschaften unverzichtbaren Prozesse der Meinungsbildung geraten ins Stocken, wenn der grundlegende Konsens über Tatsachen brüchig wird. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es nicht immer einfach ist, zwischen Meinungen und Fakten zu unterscheiden, wissenschaftliche Erkenntnisse einem ständigen Wandel unterliegen und Fehler menschlich sind. Die wesentliche Gefahr eines Verbots von Lügen besteht jedoch in der Macht zur Definition, die beim Staat oder von ihm beauftragten Institutionen liegt. Wer trifft die Entscheidung darüber, was als Lüge gilt?

Wer trifft die Entscheidung darüber, was als Lüge gilt?

>>Focus<<

“Mit einer Penispumpe soll die 27-jährige Polizeibeamtin Judy S. als trans Frau zwei Bundespolizisten unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht haben. … Der Sprecher gibt auf Nachfrage ebenfalls an, die „Bild“ mehrfach telefonisch darauf hingewiesen zu haben, dass Berichte, die über die erste Pressemeldung der Polizei hinausgehen, und die von der „Bild“ genannten Details, „insgesamt nicht zutreffend sind“ – es gab keine Bundespolizisten, keine Penispumpe, keine trans Person.”

“Es gab keine Bundespolizisten, keine Penispumpe, keine trans Person”

Hinter dieser bizarren Geschichte verbergen sich wohl interne Machtkämpfe innerhalb der Polizei, die von Neid, Intrigen und gekränktem Stolz geprägt sind. Nicht nur Staaten verfolgen ihre eigenen Interessen, sondern auch innerhalb einzelner Behörden existieren oft tiefgehende Gräben. Dass nun irgendein Beamter oder eine Behörde tatsächlich den ultimativen Schlüssel zur Wahrheit gefunden haben soll, ist eher als Legende zu betrachten. Dennoch streben staatliche Institutionen danach, sich als Hüter der Wahrheit zu etablieren. Bereits im Roman „1984“ hat der Autor eine solche Entwicklung vorausgesehen. Besonders in politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die für den Staat von besonderer Bedeutung sind, gibt es selten eine eindeutige Wahrheit. Was heute noch als Falschinformation gilt, kann morgen schon als legitime Sichtweise akzeptiert werden. Angeblich sollen „staatsferne Medienaufsichten“ für Klärung sorgen, obwohl deren Unabhängigkeit vom Staat durchaus fragwürdig ist. Wahrscheinlich geht es dabei um ganz andere Motive.

„Beanspruchten staatliche Stellen dabei im „Kampf gegen Fake News“ die Entscheidungshoheit darüber, welche Informationen gedruckt oder gesendet werden dürfen“

>>Heise.de<<

„Alarmiert ist die Allianz auch wegen verstärkter Hinweise auf Bemühungen staatlicher Behörden, als „falsch, täuschend oder schädlich“ bezeichnete Inhalte vor allem unter dem Aufhänger der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu zensieren. Vielfach beanspruchten staatliche Stellen dabei im „Kampf gegen Fake News“ die Entscheidungshoheit darüber, welche Informationen gedruckt oder gesendet werden dürfen.“

Zensur – Unter Berufung der nationalen Sicherheit

Schließlich dreht sich alles nicht um irreführende Informationen oder falsche Behauptungen, sondern um die Kontrolle über die Interpretation. Das betrifft die Informationen, die veröffentlicht oder verbreitet werden dürfen. Dies steht selbstverständlich im klaren Gegensatz zu den Bestimmungen des Grundgesetzes und der darin verankerten Freiheit der Meinung.

“Auf der großen Bühne der Politik geht es einmal mehr um die Deutungshoheit und eine überzeugende Inszenierung”

>>Die Angst der Eliten von Paul Schreyer (Buch) <<

“Der Populismus-Vorwurf dient, so scheint es, vor allem dem Schutz der etablierten Eliten. Der Theaterdramaturg Bernd Stegemann, Autor des Buches Das Gespenst des Populismus, meint dazu sarkastisch: »Eine einfache Antwort ist dann falsch, wenn sie der eigenen Meinung widerspricht, und sie ist populistisch, wenn mit ihr Stimmen gewonnen werden sollen.« Wer »Populismus« sagt, der möchte im Grunde eine rote Linie ziehen zwischen akzeptierter und unerwünschter Opposition – was zur Frage führt: von wem unerwünscht? Der Populismus-Warner tritt stets als ehrlicher Anwalt der Anständigen auf, wodurch die gewünschte Abwertung und Ausgrenzung der anderen vernünftig erscheint. Auf der großen Bühne der Politik geht es einmal mehr um die Deutungshoheit und eine überzeugende Inszenierung. Großer Theaterdonner und Nebelschwaden – das Publikum staunt und soll sich fürchten vor der beschworenen Gefahr. Die als Populismus bezeichneten Ansichten sollen nicht öffentlich gelten dürfen, nicht diskutiert werden, außerhalb der Debatte bleiben. Doch wer maßt sich an, solche Grenzen zu ziehen?”

“Großer Theaterdonner und Nebelschwaden – das Publikum staunt und soll sich fürchten vor der beschworenen Gefahr”

Die Kontrolle über die Interpretation steht selbstverständlich oft im Zusammenhang mit gekränkten persönlichen Selbstwertgefühlen. Durch kritische Stimmen können übergroße Inszenierung mit viel Theaterdonner und Nebelschwaden leicht ihre Wirkung verlieren. Autoritäre Persönlichkeiten mögen es nämlich nicht, wenn sie kritisiert werden. Menschen mit autoritärem Charakter empfinden Kritik in der Regel als unangenehm und reagieren darauf ablehnend, bis hin zu Gereiztheit.