Auf welche Weise konnte es zum Bruch des Fernmeldegeheimnisses kommen?

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Das Fernmeldegeheimnis kann inzwischen als weitgehend verloren betrachtet werden, da mittlerweile faktisch jedes Telefonat mitgehört wird – sei es in begrenztem Umfang durch legale Maßnahmen staatlicher Stellen oder umfassend durch ausländische Geheimdienste.

Heute kommunizieren wir digital, laden Fahrpläne aus dem Internet herunter, nutzen mobile Telefone und erkunden die neuen Möglichkeiten eines virtuellen „second life“. Ein Leben ohne digitale Kommunikation ist kaum noch vorstellbar. Dabei ist uns oft nicht bewusst, dass unsere elektronischen Kommunikationsformen zunehmend lückenlos überwacht werden können.

Vor dem Hintergrund der heutigen technischen Möglichkeiten wird leicht vergessen, dass bis Ende der 1990er Jahre vornehmlich analoge Telekommunikationsverfahren zum Einsatz kamen. Diese Analogtechnik schränkte einerseits die Nutzungsmöglichkeiten ein, hinterließ andererseits aber meist keine Spuren: Nach dem Auflegen des Hörers war es kaum möglich nachzuvollziehen, wer angerufen hatte oder von welchem Anschluss die Verbindung ausging. Die Verbindungen wurden damals mittels elektromechanischer Relais hergestellt, und nur durch den aufwendigen Einsatz sogenannter „Zählvergleichseinrichtungen“ konnten Rufnummern registriert werden, die von einem Anschluss aus gewählt wurden. Noch komplizierter gestaltete sich die Ermittlung des Ursprungs eines Anrufs mittels Fangschaltungen – ältere Kriminalromane vermitteln einen Eindruck von dem Aufwand, der etwa zur Rückverfolgung eines Erpresseranrufs nötig war.

Heutzutage hat sich die Lage grundlegend verändert. Alle Verbindungen – ob über das Festnetztelefon, das Mobiltelefon oder das Internet – werden digital vermittelt. Dabei entstehen nahezu automatisch Daten darüber, wer wann mit wem und unter Nutzung welcher technischen Mittel kommuniziert hat.

Die technologische Revolution hat unser Kommunikationsverhalten tiefgreifend verändert. Neben der klassischen Telefonie sind zahlreiche neue Dienste hinzugekommen, die vor wenigen Jahren noch kaum vorstellbar waren. Die Nutzung von Mobiltelefonen und Kurznachrichten per SMS sind heute unverzichtbare Bestandteile unseres Alltags. Mittlerweile gibt es mehr Mobilfunk- als Festnetzanschlüsse.

Hinzu treten die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets – von E-Mails über das Surfen bis hin zur Internettelefonie (Voice over IP). Das „Internet der Dinge“, bei dem auch Alltagsgegenstände wie Kühlschränke oder Heizungsanlagen weltweit vernetzt werden, markiert einen weiteren bedeutenden Fortschritt in der Telekommunikation.

Die Inhalte der Kommunikation sowie die bei der Nutzung elektronischer Dienste entstehenden Daten geben immer mehr Auskunft über uns. Der Schutz dieser Kommunikationsvorgänge ist daher dringender denn je. Das im Artikel 10 des Grundgesetzes verankerte Fernmeldegeheimnis zählt zu den zentralen Schutzrechten unserer Informationsgesellschaft, denn ohne dieses wäre auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – also der Datenschutz – lediglich theoretischer Natur. Das Fernmeldegeheimnis umfasst sowohl die Inhalte der Kommunikation als auch die „näheren Umstände der Telekommunikation“, also Informationen darüber, mit wem, an welchem Ort und zu welcher Zeit kommuniziert wurde. Selbst die Information darüber, ob überhaupt eine Kommunikation stattgefunden hat, steht unter Schutz. Geschützt sind nicht nur Telefongespräche, sondern auch der Zugang zum Internet, das Versenden und Empfangen von E-Mails sowie sonstige nicht für die Allgemeinheit bestimmte Nachrichten.

Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren wurden auf Grundlage des alliierten Besatzungsrechts Telefone abgehört – etwa während der Spiegel-Affäre 1962, als wegen eines kritischen Artikels über die Bundeswehr Redaktionsräume durchsucht und Verantwortliche inhaftiert wurden. Eine gesetzliche Möglichkeit zur Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses wurde jedoch erst mit den sogenannten „Notstandsgesetzen“ in Artikel 10 Absatz 2 des Grundgesetzes eingeführt. Diese Regelung von 1968 war sehr umstritten, da bereits damals Befürchtungen laut wurden, Deutschland könnte sich zu einem Überwachungsstaat entwickeln.

Wie fällt nun rund vierzig Jahre später die Bilanz staatlicher Überwachung im Bereich der Telekommunikation aus? Haben sich diese Befürchtungen bestätigt? Offenbar ja: Die Befugnisse zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs wurden kontinuierlich ausgeweitet. Der Katalog der Straftaten, bei denen eine Überwachung zulässig ist, umfasst heute eine kaum noch überschaubare Vielzahl unterschiedlich schwerer Delikte – von der Verbreitung pornografischer Schriften über Hehlerei bis hin zu Kapitalverbrechen.

Auch die Praxis der Telefonüberwachung gibt Anlass zur Besorgnis. So zeigt die Jahresstatistik der Bundesnetzagentur eine stetig steigende Zahl an Überwachungsmaßnahmen im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen. Im Jahr 1995 wurden etwa rund 4700 neue Anordnungen zur Telefonüberwachung erfasst. Obwohl die große Mehrheit aller Telefonate nicht überwacht wird, gilt – so behaupten inzwischen nicht nur Rechtswissenschaftler –, dass Überwachungen insbesondere bei bestimmten Delikten wie im Drogenbereich mittlerweile zum Standard geworden sind und häufig nicht ausreichend geprüft wird, ob weniger einschneidende Maßnahmen erfolgversprechender wären.

Auch Verfassungsschutzbehörden sowie der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) verfügen über Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation. Ihre Rechte sind im sogenannten „G10-Gesetz“ geregelt (kurz für „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz“). Diese Behörden dürfen Telekommunikation überwachen oder aufzeichnen „zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in Deutschland stationierten Truppen“. Die Überwachungsmaßnahmen müssen durch eine spezielle Kommission des Deutschen Bundestages (die G10-Kommission) genehmigt werden.

Dem BND steht neben gezielter Überwachung auch die Befugnis zur sogenannten „strategischen Kontrolle“ zu. Dabei werden internationale Telekommunikationsdatenströme überwacht, insbesondere Satellitenkommunikation. Ursprünglich war diese strategische Kontrolle auf die Abwehr eines bewaffneten Angriffs beschränkt; seit 1994 wurde sie auf internationalen Terrorismus, Waffenhandel und Drogenhandel ausgeweitet. Die überwachten Telefonate können automatisch nach bestimmten Suchbegriffen durchsucht werden.

Abschließend sei erwähnt, dass auch ausländische Geheimdienste den deutschen Fernmeldeverkehr überwachen. Besonders im Fokus stehen dabei Funkverbindungen. Von großer Bedeutung ist das weltweite Überwachungsprojekt „Echelon“, das westliche Nachrichtendienste seit dem Zweiten Weltkrieg betreiben und dessen Aktivitäten vom Europäischen Parlament intensiv untersucht wurden. Obwohl der Bericht eines eigens eingerichteten EP-Ausschusses aus dem Jahr 2001 keine Zweifel an der Existenz des Systems ließ, konnte er das Geheimnis um das Projekt nicht vollständig lüften. Sicher war für das Europäische Parlament jedoch, dass diese Überwachung nicht nur staatlichen Zwecken dient, sondern auch wirtschaftliche Interessen verfolgt.

Ein weiterer Bereich mit wachsender Bedeutung ist die „präventive Telekommunikationsüberwachung“ durch Polizeibehörden. Während es bei den in der Strafprozessordnung geregelten Befugnissen um die Aufklärung bereits begangener Straftaten geht, greifen präventive Maßnahmen bereits vor Eintritt einer Gefahr oder Straftat ein. Je weiter diese Überwachungsbefugnisse in zeitlicher Hinsicht vorgezogen werden, desto problematischer sind sie, da dadurch vermehrt Unbeteiligte betroffen sein können. Das Bundesverfassungsgericht hat etwa im Urteil vom 27. Juli 2005 eine entsprechende Regelung im niedersächsischen Polizeigesetz beanstandet: Eine Telefonüberwachung war dort bereits zulässig, wenn lediglich angenommen wurde, dass eine Person Straftaten begehen werde; zudem durften auch „Kontakt- und Begleitpersonen“ überwacht werden. Das Gericht stellte fest, dass diese Vorschriften weder hinreichend bestimmt noch verhältnismäßig waren und somit verfassungsrechtlich unzulässig sind.