Die Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs in der Katholischen Kirche flammt immer wieder von Neuem auf und ist beileibe noch nicht aufgearbeitet. Im Januar 2020 wurden sogar Vorwürfe gegen den ehemaligen Papst Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. laut, der zusammen mit seinem Privatsekretär jahrelang sexuelle Übergriffe im Vatikan gedeckt und vertuscht haben soll.

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Von Guido Grandt

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Pädokriminalität und Zölibat

Mit als Grund für diese pädokriminellen Verbrechen wird unter anderem der Zölibat angeführt. Das Gelübde der Ehelosigkeit wird von Kritikern als eine physische und psychische „krankmachende Entsexualisierung“ angesehen, also eine „Entfremdung der eigenen Sexualität“ und damit als Nährboden für den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen.

Viele Kirchenfürsten, Kardinäle und Bischöfe sehen das freilich anders. Und auch verschiedene Kirchenexperten bestreiten einen solchen Zusammenhang, denn wer pädophil veranlagt sei und seine Veranlagung ausleben möchte, den schütze weder der Zölibat noch die Ehe davor, das zu tun, heißt es beispielsweise diesbezüglich.

Zölibatäre weisen eine mangelnde psychosexuelle Entwicklung auf

Dagegen meint die amerikanische Historikerin Elinor Burkett und der Journalist Frank Bruni: „Nur wenige (Jugendliche, die Priester werden wollten und zölibatär lebten/d.A.) machten die gleiche psychosexuelle Entwicklung durch wie andere Männer. Deshalb suchten sie im späteren Leben, als ihre unerfüllten sexuellen Bedürfnisse sie veranlassten, das Zölibatsgelübde zu brechen, Beziehungen zu Menschen, die sich emotional auf der gleichen Stufe befanden. Und diese Partner waren Teenager. Schließlich förderte das Priesterseminar nicht gerade sexuelle Reife“.

Burkett und Bruni weiter: „Die besonderen Einschränkungen, mit denen diese Männer leben müssen, führen vielleicht dazu, dass Kinder eben von diesen Männern missbraucht werden. Ihre Bindung an den Zölibat und die häusliche Isolation unterdrücken ihre sexuellen Empfindungen…so dass diese Impulse sich heimlich einschleichen.“

Bei klerikalen Übergriffen steht die Macht im Zentrum

Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Zölibat und Pädophilie lasse sich nicht wissenschaftlich nachweisen, erklärt der Sexualpädagoge Norbert Kluge. Doch da wo sexuelle Fragen ausgeklammert würden, könnten Probleme wie Kindesmissbrauch entstehen. Werde Sexualität tabuisiert, wäre es sogar einfacher, Straftatbestände zu vertuschen.

Der Schweizer Religionspädagoge Anton A. Bucher meinte bereits 2011, die neurotischen Strukturen der Kirche würden beim Personal eine Infantilisierung, also eine Fixierung auf kindliche Entwicklungsstufen bewirken. Und Karl Graf, Co-Leiter des Schweizer Dekanats der katholischen Kirche der Region Bern, erklärte dazu: „Der Zölibat bedeutet einen hohen Anspruch an die Integration der Sexualität, deshalb sind Priester sicher anfälliger. Dazu kommt der Anspruch an die Moral und im Falle eines Missbrauchs der verständliche Vorwurf an die Doppelmoral…Das Bistum Basel fordert seit 1972 die Abschaffung des Zwangszölibats. Dies würde die Gefahr von sexuellen Missbräuchen klar heruntersetzen.“

Nicht zu vergessen, dass bei klerikalen Übergriffen nicht der Sex an für sich, sondern die Macht im Zentrum steht.

Im 2. Teil zeige ich auf, warum der Zölibat tatsächlich als Mitverursacher klerikalen Missbrauchs angesehen werden kann!