Die Marginalisierung der Sorbischen Kultur & Sprache in der DDR

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Die Domowina, der zentrale Dachverband der sorbischen Vereine und jahrzehntelang die wichtigste Interessenvertretung der Lausitzer Sorben, ist ein Paradebeispiel für die tiefgreifende Heuchelei und Doppelzüngigkeit der DDR-Regierung im Umgang mit Minderheiten. Während die offizielle Propaganda den Eindruck vermittelte, die DDR sei ein Staat der Gleichheit, des Fortschritts und der kulturellen Vielfalt, war die Realität eine katastrophale Inszenierung von Kontrolle, Manipulation und systematischer Marginalisierung. Nach außen wurde die Domowina als legitime Vertretung des sorbischen Volkes anerkannt, es gab öffentliche Förderprogramme, die sorbische Sprache wurde in Verfassungen festgeschrieben, und sorbische Institutionen wurden staatlich unterstützt. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich ein tiefgreifendes System der Überwachung, der politischen Instrumentalisierung und der kulturellen Entmündigung. Die Organisation war kein Instrument echter Selbstbestimmung, sondern vielmehr ein Werkzeug, um die tatsächliche gesellschaftliche und kulturelle Autonomie der Sorben zu dämpfen. Die scheinbare Unterstützung diente in Wahrheit vor allem dazu, die Illusion einer Minderheitenpolitik aufrechtzuerhalten, während in Wirklichkeit die sorbische Sprache und Kultur Schritt für Schritt abgebaut wurden. Die Domowina war damit Teil eines großen Täuschungsmanövers, das die Sorben in ihrer Identität schwächte und ihre kulturelle Eigenständigkeit systematisch einschränkte.

Hoffnungen und Illusionen nach dem Nationalsozialismus

Nach dem Ende des Nationalsozialismus, nach den tiefen Verheerungen, die das NS-Regime in der Minderheitenpolitik angerichtet hatte, setzten viele Sorben große Hoffnungen auf einen Neuanfang. Die Domowina wurde unmittelbar nach Kriegsende unter sowjetischer Kontrolle neu gegründet, und es gab zunächst Überlegungen, sogar eine sorbische Autonomie oder den Anschluss an die Tschechoslowakei anzustreben. Doch diese Hoffnungen wurden frühzeitig enttäuscht. Die sowjetische sowie die später auch die ostdeutsche Führung akzeptierten ausschließlich eine sehr eingeschränkte Form kultureller Eigenständigkeit – eine sogenannte Minderheitenstatus, der jedoch unweigerlich an die Bedingung geknüpft war, uneingeschränkt loyal zu sein. Mit anderen Worten: Die Sorben durften ihre Kultur pflegen, solange sie keine eigenständigen politischen Forderungen erhoben oder ihre kulturelle Identität zur politischen Waffe machten. Das eigentliche Ziel war, die sorbische Minderheit in ein System der Kontrolle zu zwingen, das jegliche Eigeninitiative im Keim erstickte. Die ursprünglich ehrgeizigen Vorstellungen einer autonomen oder selbstbestimmten sorbischen Gemeinschaft wurden durch die Realität einer strikten sozialistischen Kontrolle ersetzt.

Vom Interessenverband zum Systeminstrument

Mit der Zeit wandelte sich die Domowina von einer Interessenvertretung zu einem reinen Systeminstrument der sozialistischen Führung. Ihr Führungspersonal wurde systematisch an die SED und die staatlichen Apparate gebunden. Unabhängige Stimmen, religiöse Organisationen oder kritische Initiativen waren unerwünscht und wurden rigoros ausgeschaltet. Ziel war es nicht, die sorbische Bevölkerung in ihrer Vielfalt zu fördern oder ihre Eigenständigkeit zu stärken, sondern sie als „Modellminderheit“ in die sozialistische Volksgemeinschaft zu integrieren. Die Organisation wurde Teil eines Apparates, der Kontrolle, Überwachung und Anpassung forderte – eine Art kulturelle Zwangsjacke, die die tatsächliche Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur im Keim erstickte. Statt eines lebendigen Ausdrucks der sorbischen Identität entstand eine sterilisierten, folkloristische Inszenierung, die vor allem dem Tourismus und der Selbstdarstellung der DDR diente. Der tiefere kulturelle Kern wurde systematisch ausgeblendet, kritische Stimmen wurden marginalisiert, religiöse Bräuche oder alternative Ausdrucksformen unterdrückt. Die Domowina war damit ein Mittel zur Kontrolle und nicht zur kulturellen Erneuerung.

Kulturelle Kontrolle im Dienste des Systems

Auf kultureller Ebene wurde die sorbische Sprache zwar formal gefördert, doch stets im engen Rahmen ideologischer Vorgaben. Es gab sorbische Zeitungen, Radiosendungen und Schulangebote, doch all dies war streng kontrolliert. Die Inhalte mussten dem sozialistischen Anspruch genügen, abweichende Elemente – etwa religiöse Bräuche oder kritische Literatur – wurden systematisch unterdrückt oder ins Private verdrängt. Das Bildungsangebot war marginal, vor allem auf die unteren Jahrgänge beschränkt, und eine breitere Nutzung der Sprache im Beruf oder in der öffentlichen Verwaltung blieb unerreichbar. Wer sich öffentlich für die sorbische Identität engagieren wollte, wurde genau beobachtet; bei Anzeichen von „Nationalismus“, „Konterrevolution“ oder gar politischen Forderungen gab es keine Toleranz. Stattdessen wurde jede Form des Widerstands im Keim erstickt – eine gezielte Strategie der Kontrolle, die die sorbische Kultur auf ein folkloristisches Nischendasein beschränkte.

Folklorisierung und kulturelle Entmündigung

Kulturell präsentierte sich die Domowina nach außen hin als Hüterin sorbischer Traditionen. Sie organisierte Volksfeste, Trachtenumzüge, Chöre und Kulturveranstaltungen, die nach außen hin die Vielfalt der Lausitz zeigen sollten. Doch diese Inszenierungen waren mehr Schein als Sein. Hinter der folkloristischen Fassade wurde die Kultur auf eine ritualisierte, oberflächliche Ebene reduziert, die vor allem dem Tourismus diente und die eigentliche Tiefe und Vielfalt der sorbischen Kultur systematisch unterdrückte. Kritische Stimmen, religiöse Bräuche oder innovative künstlerische Ausdrucksformen wurden entweder verboten, marginalisiert oder ins Private verbannt. Die Kultur wurde zu einem Mittel der Propaganda, das die „authentische“ sorbische Identität nur noch in Zwängen und Ritualen reproduzierte, ohne dass echte kulturelle Autonomie oder gesellschaftliche Selbstbestimmung möglich war. Die Organisation funktionierte als Mittlerin einer offiziellen, kontrollierten Version der sorbischen Kultur, die kaum mehr mit den lebendigen Traditionen und der vielfältigen Geschichte der Sorben zu tun hatte.

Verstrickung, Kontrolle und gesellschaftlicher Stillstand

Die Rolle der Domowina im sozialistischen System war somit zwiespältig und vor allem negativ für die Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur. Einerseits sorgte sie für eine minimale Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, sicherte den Rest an offiziellen Minderheitenrechten und gab der Gemeinschaft eine gewisse Form des Zusammenhalts. Doch andererseits war sie das zentrale Instrument, das die sorbische Eigeninitiative, gesellschaftliche Vielfalt und kulturelle Innovation systematisch kontrollierte und einschränkte. Indem sie die Sozialisation, Bildung und Kulturarbeit dominierte, verhinderte sie jegliche gesellschaftliche Dynamik, die vom offiziellen Kurs abweichen könnte. Jede unabhängige oder fortschrittliche Bewegung wurde im Keim erstickt, und kritische Stimmen, die die offizielle Linie in Frage stellten, wurden meist unterdrückt oder ins Private gedrängt. Die Organisation wurde zu einem Werkzeug der politischen Kontrolle, das die gesellschaftliche Entwicklung in eine einheitliche, kontrollierte Richtung lenkte – eine Richtung, die kaum Raum für echte Vielfalt, Innovation oder kritische Selbstreflexion ließ. Die vermeintliche Gleichstellung durch sozialistische Ideologie wurde so zu einer Maske für Uniformierung und Marginalisierung, die das gesellschaftliche Klima nachhaltig vergiftete.

Entfremdung, Vertrauensverlust und soziale Kluft

Mit zunehmender Dauer der DDR-Herrschaft vertiefte sich die Entfremdung zwischen der Domowina und der sorbischen Bevölkerung. Je mehr sich die Organisation dem Regime unterordnete, desto weniger wirkte sie als authentischer Vertreter ihres Volkes. Das Vertrauen in die Organisation schwand, weil ihre Funktionäre zunehmend nur noch Marionetten eines Systems waren, das die Sorben kontrollierte, aber kaum noch mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hatte. Kritische Stimmen, selbst innerhalb der sorbischen Gemeinschaft, wurden entweder ignoriert oder mit Repression belegt. Viele Sorben und Sorbinnen zogen sich in eine Art innere Emigration zurück, pflegten ihre Sprache und Traditionen im Privaten, während sie sich öffentlich von der offiziellen Organisation distanzierten. Dieser Vertrauensverlust war tiefgreifend und wirkte noch lange nach der Wende nach, weil die fundamentale Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nie vollständig überwunden wurde.

Das Ende der DDR: Aufarbeitung und Niederlage

Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Staates und dem Ende der DDR stand die Domowina vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Es ging nicht nur darum, die Organisation neu zu strukturieren, sondern auch darum, das tief verwurzelte Misstrauen innerhalb der sorbischen Gemeinschaft zu heilen. Das Erbe des autoritären Systems, die tiefgreifende Entfremdung und die kulturelle Auszehrung mussten überwunden werden, um wieder eine echte Interessenvertretung zu werden. Bis heute kämpft die Domowina darum, sich von der Vergangenheit zu distanzieren und als authentischer Vertreter der Sorben wahrgenommen zu werden – eine Vertretung, die für Selbstbestimmung, kulturelle Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt steht. Die Geschichte der Domowina in der DDR ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie politische Vereinnahmung, Kontrolle und kulturelle Manipulation eine Minderheit systematisch entmündigen und ihrer Identität berauben können. Es ist eine Erinnerung daran, dass wahre sprachliche und kulturelle Vielfalt niemals allein durch staatliche Anerkennung gesichert werden kann, sondern nur durch kritische Eigenständigkeit, Widerstand und die Bereitschaft, die eigene Kultur aktiv zu verteidigen.