Die Relevanz des Datenschutzes und der düstere Schatten der Geschichte

Die Erinnerung an zwei totalitäre Überwachungsstaaten – das nationalsozialistische Regime und die DDR – ist nach wie vor präsent, weshalb das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einen besonders hohen Stellenwert besitzt. Die grausamen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Repressionsapparat führten zu der Einsicht, dass eine allmächtige Geheimpolizei (Gestapo) unter keinen Umständen wieder entstehen darf. Daraus resultieren sowohl die föderalen Strukturen der Polizei als auch die strikte Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden, die als Lehren aus der Vergangenheit in unser verfassungsrechtliches System eingeflossen sind.
Auch der zweite deutsche Überwachungsstaat, die DDR, hinterließ bei vielen Menschen tiefe seelische Verletzungen. Datenschutz war den DDR-Eliten völlig fremd, möglicherweise weil sie diesen als Relikt des überwunden geglaubten kapitalistischen Individualismus betrachteten und daher für überflüssig hielten. Der Staatssicherheitsdienst (Stasi) legte umfangreiche Akten über politische und persönliche Verhältnisse zahlreicher Bürger an. Ziel der umfassenden Überwachung und Informationssammlung war es, jedwede Einflussnahme des sogenannten »Klassenfeindes« zu verhindern. Wanzen, Richtmikrofone und inoffizielle Mitarbeiter der Stasi durchdrangen selbst den privaten Bereich. Niemand konnte sicher sein, dass nicht heimlich Mikrofone im Schlafzimmer oder Badezimmer intimste Details aufzeichneten.
Die so zusammengetragenen Dokumente waren sowohl umfangreich als auch äußerst brisant. Im Verlauf von fast vier Jahrzehnten sammelte die Stasi etwa sechs Millionen personenbezogene Akten. Als sich das Ende der DDR abzeichnete, versuchten die Verantwortlichen, ihre Spuren schnell und gründlich zu beseitigen. Dabei waren sie jedoch nur teilweise erfolgreich, zumal sie sich die Unerfahrenheit mancher Oppositioneller zunutze machen konnten. So stimmte der »Zentrale Runde Tisch«, an dem auch Bürgerrechtler beteiligt waren, im Februar 1990 zunächst einer großangelegten Löschaktion zu. Während die beteiligten Stasi-Mitarbeiter und die Repräsentanten der bisherigen DDR-Führung belastendes Material vernichten wollten, sahen die Oppositionellen darin vor allem die Gefahr der Tilgung von Daten, die gegen fundamentale Menschenrechtsprinzipien verstoßen hatten. Als Begründung für die Vernichtung der Akten wurde auch die Angst vor »Selbstjustiz« infolge einer Offenlegung der Dokumente ins Feld geführt.
Auch im Westen war man sich zunächst nicht bewusst, welche Folgen die beschlossene Datenlöschung haben würde. Unter den Datenschutzbeauftragten fand die Idee, die unrechtmäßig gespeicherten Stasi-Daten vollständig zu vernichten, anfänglich Zustimmung. Erst allmählich wurde erkannt, dass dies der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eher schadete. Es wurde übersehen, dass mit der Löschung zwar unrechtmäßig erhobene Informationen verschwinden würden, gleichzeitig aber Opfern und Öffentlichkeit wichtige Hinweise zur Klärung von Schuld und Verantwortung verloren gingen. Selbst eine vollständige Vernichtung der Akten hätte nicht das Wissen ehemaliger Stasi-Funktionäre ausgelöscht, das diese – ohne Widerlegung befürchten zu müssen – jederzeit an die Öffentlichkeit hätten bringen können. Wie problematisch es ist, wenn der Umgang mit Geheimdienstakten ungelöst bleibt, lässt sich heute in mehreren osteuropäischen Ländern beobachten.
Obwohl der Löschungsbeschluss im Wesentlichen nur den elektronischen »zentralen Datenspeicher« betraf, stellte dies eine erhebliche Belastung für die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit dar. Die erforderlichen Informationen mussten oft mühsam aus verschiedenen verbliebenen Quellen rekonstruiert werden – darunter hunderte Säcke mit Papierschnipseln voller brisanter Details über die Auslandsaktivitäten der Stasi – Aktenreste, die wohl nur zufällig einer Vernichtung entgangen sind.
Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Debatte über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen fortgeführt. Im Jahr 1991 verabschiedete der Deutsche Bundestag das »Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik«, bekannt als Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG). Die bzw. der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) erhielt den Auftrag, diese Dokumente zu verwalten. In den Medien wurde diese Behörde nach ihren jeweiligen Leitern Joachim Gauck und Marianne Birthler zunächst als »Gauck-Behörde« und später als »Birthler-Behörde« bezeichnet.
Das Gesetz differenziert zwischen Tätern, Opfern und weiteren Betroffenen. Insbesondere den gezielt ausgespähten Opfern wurde das Recht eingeräumt, Einsicht in ihre über sie gesammelten Akten zu erhalten. Für ehemalige Stasi-Mitarbeiter und Begünstigte besteht nur ein eingeschränktes Auskunftsrecht; ihnen ist insbesondere jeglicher Zugang zu personenbezogenen Daten Dritter verwehrt – selbst wenn diese Informationen in ihren Personalakten enthalten sind.
Besonders heikel ist bis heute die Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie von Bewerbern für solche Positionen, ebenso wie von Abgeordneten und anderen Personengruppen hinsichtlich möglicher Stasi-Kontakte.
Interessenvertretungen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter sprachen in diesem Zusammenhang sogar von »Siegerjustiz«, insbesondere wenn Personen aufgrund von Stasi-Akten aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden.
Bereits in den 1990er Jahren forderten Politiker aus Ost und West einen »Schlussstrich« unter die individuelle Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit – darunter Eberhard Diepgen (CDU), ehemaliger Regierender Bürgermeister Berlins, sowie SPD-Politiker Egon Bahr. Noch Ende 2006 wurde darüber diskutiert, ob Bewerber für den öffentlichen Dienst weiterhin per Regelanfrage auf mögliche Stasi-Verstrickungen überprüft werden dürfen. Letztlich einigten sich die Bundestagsparteien – mit Ausnahme der PDS – darauf, dass solche Überprüfungen auch künftig möglich sein sollen, allerdings beschränkt auf herausgehobene Positionen und nicht als Standardverfahren für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Die Lehren aus der DDR-Geschichte prägten auch unmittelbar vor und nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 die Verfassungsdebatte maßgeblich. Der vom »Zentralen Runden Tisch« erarbeitete Verfassungsentwurf für die DDR – welcher allerdings nicht mehr von der Volkskammer verabschiedet wurde – beinhaltete ein Grundrecht auf Datenschutz. Alle neuen Bundesländer integrierten den Datenschutz in ihre Landesverfassungen.
Auch im Grundgesetz wurde das Thema Datenschutz später behandelt – insbesondere bei den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern. Vorschläge von SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen fanden jedoch keine Zweidrittelmehrheit zur ausdrücklichen Aufnahme eines Datenschutzartikels. Dennoch waren sich alle Beteiligten einig, dass Datenschutz als »Recht auf informationelle Selbstbestimmung« gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dessen Entscheidung zum Volkszählungsurteil von 1983 auch ohne explizite Nennung im Grundgesetz als Grundrecht gilt.
Wie bedeutsam eine ausdrückliche Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz gewesen wäre, zeigt sich aktuell immer wieder deutlich: Vertreter von Sicherheitsbehörden kritisieren regelmäßig datenschutzfreundliche Urteile des Bundesverfassungsgerichts als »überschätzt«. Sie fordern von Bundesregierung und Gesetzgebern, dem Gericht Gelegenheit zu geben, seine Haltung zu revidieren. Aufgrund politischer Mehrheitsverhältnisse erscheint es jedoch wenig wahrscheinlich, dass in naher Zukunft noch ein eigenständiger Artikel zum Datenschutz ins Grundgesetz aufgenommen wird.