“Ohne Not, er war gar kein Pazifist” – Verteidigungsfall: Wo könnten Zivildienstleistende am Ende landen?

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Die Wehrpflicht ist abgeschafft, also scheint das Thema Kriegsdienstverweigerung weit weg zu sein? – Eigentlich ist die Wehrpflicht nur ausgesetzt und dies kann wieder rückgängig gemacht werden.

Weshalb an der rechtlichen Konstrukt der Kriegsdienstverweigerung erhebliche Zweifel angebracht sind?

Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht haben sich viele Männer für Zivildienst entschieden. Je weiter die Zeit voran schritt, desto unpopulärer wurde der Dienst an der Waffe. Allerdings sind am ganzen rechtlichen Konstrukt der Kriegsdienstverweigerung erhebliche Zweifel angebracht.

“Gemäß Artikel 4 Absatz 3 des deutschen Grundgesetzes darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden”

>>Kanzlei SHB<<

“Gemäß Artikel 4 Absatz 3 des deutschen Grundgesetzes darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden (Kriegsdienstverweigerung). Auch nicht nach der Aussetzung der Wehrpflicht. Dies ist der politische Wille vom Staat. Dies ist nach dem ersten Weltkrieg und zweiten Weltkrieg historisch gewachsen und vom Deutschen Bundestag in dem Rahmen so entschieden worden.”

“Kriegsdienstverweigerung” – “Auch nicht nach der Aussetzung der Wehrpflicht”

Angesichts des Zweiten Weltkrieges und der vorangegangenen NS-Herrschaft wollte man offenbar eine Art von Gegenpol zur Abgrenzung setzen. – Wie auch immer. Auf alle Fälle müssen gute Juristen nicht zwangsläufig auch gute Soldaten sein. Denn an diesem Konstrukt sind unter – militärischen Gesichtspunkten – erheblich Zweifel angebracht. Etwas vergleichbares hat seinerzeit ebenso die damalige DDR geschaffen: Der Bausoldat.

Bausoldat: “”Er war in der DDR nicht dafür und nicht dagegen gewesen”

>>1989. Alles auf Anfang. Lebenswege Taschenbuch von Rainer Schneider (Buch) <<

“Er war in der DDR nicht dafür und nicht dagegen gewesen. Er hatte Abwägungen getroffen. Er hatte den Armeedienst nicht verweigert, aber er hatte sich auch nicht für länger verpflichtet. Er hatte gesagt, er mache mit, wenn er nicht schießen müsse. Er hatte um die Nachteile gebeten und auf die Vorteile verzichtet. Er war Bausoldat auf Rügen geworden. Ohne Not, er war gar kein Pazifist.”

“Er war Bausoldat auf Rügen geworden” – “Ohne Not, er war gar kein Pazifist” 

Eigentlich zeigt diese kurze Passage schont das Dilemma auf. Alleine schon der Begriff “Bausoldat” legt den militärischen Impetus offen. Oder anders: Das militärische Gegenstück zum Bausoldat dürfte der Pionier sein. Vereinfacht: Die Pioniertruppe des Heeres tragen Waffen und führen letztlich die selbe Tätigkeit aus. Vergleichbares trifft auf Zivildienstleistende in der BRD auf Feuerwehr, Katastrophenschutz oder im medizinischen Sektor zu.- Um nur einige Beispiele zu nennen.

Verteidigungsfall: Wo könnten Zivildienstleistende am Ende landen?

Besonders die rein praktische Geschichte der Kriege hat gezeigt: Am Ende bleibt vom rechtlichen Konstrukt der Kriegsdienstverweigerung nicht viel übrig. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden diese Kriegsdienstverweiweigerer – im Verteidigungsfall – in die militärischen Strukturen eingebunden, nur dass sie sich mit keiner Waffe verteidigen könnten. Eine Totalverweigerung ist – trotz Gewissensfreiheit im Grundgesetz – schlicht nicht vorgesehen. Daher dürften die Beweggründe zum Zivildienst kaum jemand verwundern.

“Nach dem Interrailsommer tritt Robert Habeck in Hamburg seinen Zivildienst an”

>>Robert Habeck von Susanne Gaschke (Buch) <<

“Nach dem Interrailsommer tritt Robert Habeck in Hamburg seinen Zivildienst an. Auch damit liegt er im Mainstream: 1989 geht die Mehrheit der Abiturienten in Westdeutschland nicht mehr zur Bundeswehr. Wer sich rebellisch und intellektuell fühlt, tut es garantiert nicht.”

“1989 geht die Mehrheit der Abiturienten in Westdeutschland nicht mehr zur Bundeswehr”

Ähnlich wie bei manchen DDR-Bausoldaten hielt sich der “Pazifismus” wohl eher im engen Grenzen: An diesen Punkt war die Einheit Deutschlands also schon längst vor der offiziellen Wiedereinigung hergestellt. Zugleich war die Anzahl der Verweigerer bis zur offiziellen Aussetzung der Wehrpflicht dramatisch angestiegen.

“Zahl der Kriegsdienstverweigerer von 1961 bis 1997 um das 382-fache gesteigert habe”

>>Nutzlose Esser von Gabriele Schuster-Haslinger (Buch) <<

“Wenn das deutsche Volk tatsächlich so kriegslüstern wäre, wie ihm vorgeworfen wird, dann müssten sie sich reihenweise freiwillig zum Dienst in der Kaserne melden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, wie auch die offiziellen Zahlen zeigen. So wurde in der Ausgabe 3/97 des Magazins tilt veröffentlicht, dass sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerer von 1961 bis 1997 um das 382-fache gesteigert habe. Zum 31.12.1995 habe das Bundesamt für den Zivildienst 1.452.728 anerkannte Kriegsdienstverweigerer seit 1961 gezählt. Und das, obwohl die Soldaten zu dieser Zeit ihren Dienst nur zur Verteidigung des Landes absolvierten. Das sind im Durchschnitt über 40.000 Kriegsdienstverweigerer pro Jahr.

Doch die Verweigerung zum Krieg, die man durchaus gleichsetzen kann mit der Liebe zum Frieden, wächst noch weiter: In einem Antwortschreiben der Bundesregierung steht, dass in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2012 beim BAZ/BAFzA (Bundesamt für Zivildienst/Bundesamt für Familie und zivil- gesellschaftliche Aufgaben) 1.179.691 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eingegangen seien. Das entspricht einer Zahl von durchschnittlich 117.969 Anträgen pro Jahr, also nochmals einer Steigerung um ca. 290 Prozent. Die Anzahl der Verweigerer hat sich demnach innerhalb von 10 Jahren fast verdreifacht. Wie war das noch mit dem kriegerischen Volk?”

“Anzahl der Verweigerer hat sich demnach innerhalb von 10 Jahren fast verdreifacht”

Nicht nur die Begeisterung zum Kriege, sondern ebenso an der Wehrpflicht dürfte sich demnach in engen Grenzen halten. Das lässt sich an ganz praktischen Dingen festmachen und das hat sich seit der DDR-Zeit nicht grundlegend geändert.

“Auch längere Abwesenheiten des Ehemanns wegen Wehrpflicht hatten negative Auswirkungen”

>>Liebe, Sex & Sozialismus von Josie McLellan (Buch) <<

“Auch längere Abwesenheiten des Ehemanns wegen Wehrpflicht hatten negative Auswirkungen. Junge Männer waren zu mindestens 18 Monaten Wehrdienst verpflichtet, und diejenigen, welche eine Universität besuchen oder besondere Berufszweige wählen wollten, mussten sich sogar für drei Jahre verpflichten. Entschied man sich für die zivile Alternative als »Bausoldat«, musste man mit einschneidenden Konsequenzen für künftige Berufspläne und Ausbildungen rechnen. Die Wehrpflichtigen fürchteten, während ihrer langen Abwesenheit könnten ihre Frauen ihnen untreu werden – ein Szenario, das im Kinofilm Ete und Ali (1985) thematisiert wurde. Frau Ns Beziehung scheiterte während des Militärdienstes ihres Freundes. Sie erinnert sich: »Rückblickend denke ich: Diese armen Schweine! 18 Monate Wehrdienst, es war so wichtig für sie, zu Hause eine Freundin zu haben, die man am Wochenende besuchen konnte, um sich zu motivieren und um etwas zu haben, auf das man sich freuen konnte. Und wir sagten: ›18 Monate? So lange kann ich nicht warten.”

“Wehrpflichtigen fürchteten, während ihrer langen Abwesenheit könnten ihre Frauen ihnen untreu werden”

Wie viele Beziehungen wegen der Wehrpflicht gescheitert sind, darüber hat niemand eine Statistik aufgestellt. Auch die Konsequenzen für künftige Berufs-, Studienpläne und Ausbildungen werden genauso konsequent ausgeblendet. Am Ende bleibt sogar noch ein Loch beim Rentenanspruch übrig.

“Übernimmt der Bund als pauschalen Beitrag in die Rentenkasse 60 % des Durchschnittseinkommens aller Versicherten”

>>Beamte – Was die Adeligen von heute wirklich verdienen von Torsten Ermel (Buch) <<

“Für die Zeit, in der ein Arbeitnehmer Wehr- oder Zivildienst leistet, übernimmt der Bund als pauschalen Beitrag in die Rentenkasse 60 % des Durchschnittseinkommens aller Versicherten (vor 1981 waren es noch 100 %, danach ist der Wert immer mehr reduziert worden). … Für Beamte hingegen zählen Wehr- und Zivildienstzeiten komplett als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten.”

“Für Beamte hingegen zählen Wehr- und Zivildienstzeiten komplett als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten”

Inwieweit diese offensichtliche Ungleichbehandlung mit den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar sei: Dies wurde nie wirklich aufgegriffen. Auf alle Fälle wirken sich sowohl Zivildienst, als auch Wehrpflicht negativ – sofern man kein Beamter sei – auf die Altersbezüge aus.