Geheime Kulte? – Stellen die Katakomben tatsächlich Rückzugsorte für die frühen Christen dar?

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem im Jahr 311 nach Christus das Toleranzedikt des Kaisers Galerius erlassen wurde, befand sich die christliche Religion in einer äußerst prekären Situation. Sie war damals kaum mehr als eine religiöse Bewegung, die zwischen Erlaubnis und Verbot schwebte. Für Christen war das Leben in dieser Zeit geprägt von Unsicherheit, ständiger Gefahr und einer Vielzahl von Verfolgungen, die systematisch und mit zunehmender Brutalität durch das römische Reich geführt wurden. Die ersten größeren Verfolgungswellen wurden unter Kaiser Decius im Jahr 249 eingeleitet, der die Christen gezielt ins Visier nahm, um sie ihrer Gemeinschaft und ihrer Rituale zu berauben. Wenige Jahre später, unter Kaiser Valerian, verschärfte sich die Lage nochmals erheblich. Die schlimmste Phase begann jedoch mit Kaiser Diokletian und der sogenannten Tetrarchie, in der Christen systematisch verfolgt wurden, um sie ihrer Religion zu berauben und sie aus der Öffentlichkeit zu drängen. Diese Repressionen waren von einer Grausamkeit geprägt, die kaum mit den vorherigen Maßnahmen vergleichbar war. Viele Christen wurden gefoltert, verhaftet oder öffentlich gedemütigt, weil man ihnen unterstellte, im Verborgenen Unheil zu schmieden und die Gesellschaft zu destabilisieren. Es kursierten zahlreiche Verschwörungstheorien, die den Christen eine geheimnisvolle Macht zuschrieben, ja sogar die Fähigkeit, Kannibalismus zu betreiben, weil man die Wandlung von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi nicht nachvollziehen konnte. Diese Vorurteile und Misstrauen führten dazu, dass Christen in der Öffentlichkeit oft misstrauisch beäugt und verfolgt wurden.

Unterirdische Begräbnisstätten: Katakomben und ihre vielfältige Nutzung

Die sogenannten Katakomben waren jedoch keine Zufluchtsorte im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr Begräbnisstätten, die eine lange Geschichte haben und längst vor der Ausbreitung des Christentums in Italien existierten. Sie waren keine ausschließlich christlichen Anlagen, sondern dienten schon lange vor der christlichen Epoche als Begräbnisorte für verschiedenste Bevölkerungsgruppen. Die Etrusker, eine der bedeutendsten antiken Kulturen Italiens, hatten ihre Verstorbenen bereits in unterirdischen Grabkammern bestattet. Die Römer, die später die Vorherrschaft in der Region erlangten, bevorzugten anfangs die Feuerbestattung, bei der die Asche der Verstorbenen in Urnen aufbewahrt wurde. Diese Urnen wurden in sogenannten Kolumbarien, das sind große Gemeinschaftsgräber, gelagert oder in individuellen Grabmalen auf Friedhöfen platziert. Entlang der alten Straßen, wie der berühmten Via Appia, findet man noch heute beeindruckende Anlagen dieser Art, die die Vielfalt römischer Bestattungskultur dokumentieren. Sie sind Zeugen einer Zeit, in der die Bestattungsriten in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichem Status und religiösem Glauben standen.

Für Juden wiederum war die Feuerbestattung keine Option. Schon vor der Zerstörung des Tempels in Jerusalem hatten viele jüdische Gemeinschaften in Rom, das sich bereits vor der Zeitenwende immer stärker mit dem römischen Kulturraum verband, ihre Verstorbenen in großen, komplexen, oft mehrstöckigen unterirdischen Grabkammern beigesetzt. Diese Anlagen waren tief im Boden verankert, weit verzweigt und meist sehr aufwendig gestaltet. Auch die Christen übernahmen zunächst die Praxis der Körperbestattung und nutzten in Rom die öffentlichen Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern. Als jedoch im zweiten Jahrhundert nach Christus die Mehrheit der römischen Bevölkerung zunehmend die Feuerbestattung bevorzugte, wurden die bestehenden Friedhöfe immer enger. Angesichts der begrenzten Platzverhältnisse in der dicht besiedelten Metropole wurden die unterirdischen Begräbnisanlagen zu einer wirtschaftlich sinnvollen Lösung. Die Grabkammern wurden in den weichen, porösen Tuffstein gehauen, der relativ leicht zu bearbeiten war. Die Arbeiter, die man wahrscheinlich Sklaven nannte, gruben sich im Laufe der Zeit immer tiefer in den Fels, um weitere Ebenen anzulegen. Dabei entstanden komplexe unterirdische Systeme mit bis zu fünf Ebenen, die sich manchmal etwa zwanzig Meter unter der Oberfläche erstreckten. Die einzelnen Grabstätten, sogenannte Loculi, waren kleine Nischen in den Wänden, in die die Verstorbenen in Steinsärgen gelegt wurden. Diese Särge waren in Leinen eingewickelt und in die Nischen gestellt. Nach dem Begräbnis wurden die Loculi mit einer Steinplatte verschlossen, auf der der Name, das Alter und das Sterbedatum des Verstorbenen vermerkt wurden. Familien mit mehr finanziellen Mitteln ließen sich sogar private Räume, sogenannte Cubicula, anlegen. Diese dienten der gemeinschaftlichen Bestattung mehrerer Angehöriger und waren oft kunstvoll mit Wand- und Deckengemälden gestaltet, die den Verstorbenen und die Trauergemeinschaft in Szene setzten.

Christliche Begräbnisrituale und ihre Entwicklung in den Katakomben

Auch Christen begannen im zweiten Jahrhundert, ihre Verstorbenen in den unterirdischen Anlagen, den sogenannten Cryptae, zu beisetzen. Dabei herrschte keine strenge religiöse Exklusivität, sodass in vielen Katakomben Christen neben Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften begraben wurden. Es ist bekannt, dass manche Anlagen ursprünglich polytheistisch genutzt wurden, bevor sie von Christen übernommen wurden. Der Begriff „Katakomben“ selbst stammt von dem griechischen Wort „katá kýmbas“, was „bei den Höhlen“ bedeutet und sich auf die Flurnamen an der Via Appia bezieht. Diese Bezeichnung setzte sich im Mittelalter durch und wurde zum Synonym für die unterirdischen Begräbnisanlagen der Stadt am Tiber. Während der frühen Christenzeit waren die Katakomben vor allem Begräbnisorte, die jedoch auch als Orte des Schutzes und der Zusammenkunft dienten, besonders in Zeiten der Verfolgung. Nachdem Kaiser Valerian im Jahr 257 ein Versammlungsverbot für Christen erlassen hatte und ihnen die Nutzung öffentlicher Friedhöfe verwehrte, suchten die Gläubigen Zuflucht in den dunklen Gängen und Kammern unter der Stadt. Hier konnten sie ihre Toten bestatten und sich dennoch heimlich treffen, um ihren Glauben zu praktizieren.

Mit der Zeit, vor allem im vierten Jahrhundert, erlebten die Katakomben eine Renaissance. Die Verfolgungen ließen nach, und die Christen begannen, die Anlagen prachtvoll auszugestalten. Sie brachten Inschriften an, die den Glauben bezeugten, und dekorierten die Wände mit Wandmalereien und Symbolen, die den christlichen Glauben offen zeigten. Die Bedeutung der Katakomben wuchs, und sie wurden zunehmend auch Pilgerstätten für Gläubige, die die Gräber der Märtyrer und Heiligen besuchen wollten. Die Anlagen wurden zu einem wichtigen Bestandteil der christlichen Identität, und die unterirdischen Friedhöfe entwickelten sich zu Orten der Verehrung und Erinnerung. Die christliche Gemeinschaft zeigte damit, dass sie trotz Verfolgung und Gefahr ihren Glauben bewahren und ausdrücken konnte.

Der Mut der frühen Christen und die Herausforderungen ihres Glaubens

Doch stellt sich die Frage, wie es den Christen in dieser Zeit wirklich erging. Nicht alle verfügten über den Mut und das Vertrauen, das etwa in den Märtyrern wie Perpetua und Felicitas zum Ausdruck kommt, die im Jahr 203 n. Chr. im Amphitheater von Karthago ihr Leben für ihren Glauben ließen. Viele Christen lebten in ständiger Angst vor Verfolgung, wurden aus ihren Häusern geholt und mussten sich den bedrohlichen Situationen stellen. Es ist unklar, ob alle uneingeschränkt offen zu ihrem Glauben standen oder ob manche aus Angst ihre Überzeugungen verbergen mussten. Es gab sicherlich Christen, die ihre heiligen Schriften aus Angst vor Entdeckung versteckten, während andere sich heimlich in kleinen Gruppen trafen, um gemeinsam zu beten und ihre Gemeinschaft zu stärken. Der römische Schriftsteller Tertullian, der im späten zweiten und frühen dritten Jahrhundert lebte, schilderte in einem seiner Werke die Furcht und das Zögern vieler Christen, die nur „mit Zittern und Zagen“ zum Gottesdienst kamen. Diese Treffen fanden meist in den Hinterzimmern von Privathäusern statt, da prunkvolle Kirchen noch nicht existierten und die öffentlichen Versammlungen verboten waren. Trotz aller Unsicherheiten vertrauten die Gläubigen auf die Macht Gottes und ihr eigenes Gottvertrauen, doch waren viele von ihnen voller Angst. Auch die Würdenträger und Anführer der christlichen Gemeinschaft waren häufig zwiegespalten, was den Mut betrifft, offen zu ihrem Glauben zu stehen. Die Verfolgungen forderten ihren Tribut an Mut und Überzeugungskraft, und nicht jeder konnte oder wollte den Risiken ausgesetzt sein, die mit dem öffentlichen Bekenntnis verbunden waren. Das Bild dieser Zeit ist geprägt von einem ständigen Kampf zwischen Angst und Glauben, zwischen Verfolgung und religiöser Hingabe, der die frühen Christen in ihrem Alltag maßgeblich prägte.

 

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