Geschichte der Lausitz und der Prager Fenstersturz: Welche Auswirkungen hatte dies auf die Lausitz?

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Das Heilige Römische Reich glich einem Haus mit zahlreichen Wohnungen, in denen nicht nur materiell ein angenehmes Leben möglich war, sondern auch ohne größere Gewissenskonflikte. Eine wesentliche Voraussetzung für diese Kultur der Toleranz bestand jedoch in der Anerkennung der bestehenden Verfassungen, deren friedenserhaltender Charakter von vielen Menschen akzeptiert wurde – selbst dann, wenn ihre eigene Konfession nicht ausdrücklich geschützt war: insbesondere die Calvinisten und auch manche Morisken, die durch den religiös fanatischen Eifer Philipps III. ins Reich gedrängt wurden und dort zeitweise in Ruhe, Selbstbestimmung und Gewissensfreiheit leben konnten. Allein schon aufgrund seiner inneren Friedensregelungen stellte dieses ehrwürdige Reich der Deutschen Nation ein Vorbild für andere christliche Gemeinschaften dar, sich in Toleranz zu üben und die Vielfalt der Konfessionen nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu begreifen, die auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierte.

Dieser Gedanke fand seinen Ausdruck im Vertragswesen der vielbeschworenen, aber immer wieder von »friedhässigen Leuten« verletzten Teutschen Libertät, deren besonderer Schutz auch den Ständen in den Ländern der Wenzelskrone zukam – im Hauptland Böhmen, sowie in Mähren und Schlesien mit seinem Sonderstatus einschließlich der Lausitz. Zur freiheitlichen Substanz dieser alten Krone Europas gehörte nicht nur das Recht der landtagsfähigen Stände, gemäß der Verfassung »Innata Cordi« von 1348 bei der Wahl ihres Königs konstitutiv mitzuwirken, sondern seit 1356 auch die Beteiligung an der Kaiserwahl mit einer von sieben Kurstimmen. Zu diesem vorreformatorischen Verfassungsbestand kam nun noch die Garantie der Böhmischen Konfession hinzu, die im berühmten Majestätsbrief von 1609 durch die Habsburger bestätigt wurde. Darin wurde unter anderem erlaubt, Kirchen für den eigenen Kultus zu errichten.

Gerade dieses Recht, das auch die Verfügung über Grund und Boden einschloss, wurde den Böhmen beim Bau von Kirchen in Braunau und Klostergrab von Seiten der Römischen Kirche heftig bestritten. Auseinandersetzungen eskalierten bis hin zu Handgreiflichkeiten, und das Einlegen von Verfassungsbeschwerden führte in Prag sogar zur Verhaftung der entsandten Ständevertreter. Dieser Konflikt – einer der folgenschwersten in der Geschichte – verdeutlichte weltweit, wie eng Religio und Regio, Bekenntnis und Besitz miteinander verflochten waren und wie stark diese Verbindung das Bewusstsein einer nationalen Identität prägte. Nicht ohne Grund hatte der Landtag von 1615 in Prag unmissverständlich klargestellt, dass die bestehende Konstitution in ihrer Gesamtheit mit der Nation verbunden sei; dabei wurde die Landessprache als unverzichtbares Kriterium für Rechts-, Gerichts- und Landesfähigkeit gefordert. »Künftig und zu ewigen Zeiten«, so lautete die Entscheidung dieses historischen Landtages, dürfe kein Ausländer zum Einwohner des Landes oder zum Bürger einer Stadt zugelassen werden, wenn er nicht ausreichend böhmisch sprach und sich vor Gericht darin nicht angemessen ausdrücken konnte.

Sollte Jan Comenius – jene tragische Persönlichkeit des bevorstehenden Krieges – seine umfassende Methode zum Sprachenlernen in Tschechisch, Latein und Deutsch verfassen, wobei Deutsch damals noch zu den »Fünf edelsten Sprachen« der Christenheit zählte (1595), so spiegelte sich in diesem Beschluss ein zeitweiliger Sprach-Purismus mit politischer Zielrichtung wider: eine Abwehr gegen die »deutsche Sprache«, gegen »deutsche Pfarrer« sowie gegen die »deutsche Gemeinde« in Prag. Die Ablehnung des Fremden und die Überhöhung des Eigenen verschlechterten zunehmend das Verhältnis zur Römischen Kirche mit ihren Besitzansprüchen, belasteten das sonst gute Verhältnis zum überwiegend protestantischen deutschen Bürgertum zahlreicher Städte und vertieften den Hass gegen das Haus Habsburg. Dieses konnte als tyrannische und ungerechte Fremdherrschaft wahrgenommen werden, wenn ein König aus dieser Dynastie den Majestätsbrief oder andere Verfassungen sowie Landtagsbeschlüsse im Zuge seines gegenreformatorischen Eifers missachtete.

Im Fall des katholischen Widerstandes gegen den Kirchenbau insbesondere in Braunau sahen viele beunruhigte Ständevertreter »unter beider Gestalt« (sub utraque), wie sie aufgrund ihres Abendmahls mit Brot und Wein genannt wurden, einen klaren Bruch von Recht und Verfassung gegeben. Zur Begründung ihres libertären Widerstandes berief man sich auf eine grundlegende Drittwirkung im Staatsrecht, wie sie sich aus dem vertraglichen Charakter des Ius tertii ergab. Denn sämtliche Klöster mit ihren Ländereien galten als königliches Kammergut, über das der König »die Superiorität und das plenum dominium besitzt«. Aufgrund dieser Rechtslage durfte kein Prior eines Klosters ohne Zustimmung des Königs irgendwelche Güter verpfänden, verkaufen oder verändern. Demnach verfügte der legitime König von Böhmen über das volle Eigentum (dominium plenum) an diesen kirchlichen Gütern; der Römischen Kirche stand lediglich eine Art Nießbrauch (dominium utile) zu – ohne daraus jedoch eine feudale Stellung als politischer Stand im Landtag ableiten zu können. Diese Regelung ermöglichte es dem König, ohne Einwilligung geistlicher Personen Teile dieser Güter an Bewohner des Königreichs zu veräußern oder erblich zu übertragen.

Bei diesem Verfahren musste stets das Recht des vertraglichen Dritten zwischen König und Ständen – also die Krone als absoluter Obereigentümer – berücksichtigt werden. Der König war trotz seiner starken Position lediglich ein Treuhänder des Staatseigentums und hatte als solcher die Rechte der Stände – des Adels und der Städte –, nicht jedoch des katholischen Klerus zu wahren. Eine solche Auslegung setzte voraus, dass das Königtum in seiner vertraglichen Substanz den Bedingungen eines Erblehens (Emphyteuse) folgte und folglich auch bei Kirchengütern Mitwirkungsrechte der Stände verlangte. Daran jedoch zeigte Habsburg nach der erzwungenen Annahme Ferdinands II. als Erbe Matthias’ kein Interesse mehr: Das Königtum in Böhmen wurde nicht mehr libertär im Sinne von 1348, 1547 und 1609 verstanden, sondern patrimonial ausgelegt. Was dies unter dem Habsburgischen Hausspruch – »Pfaffenhab ist mein Kammergut« – bedeutete, hatte Ferdinand bereits in der Steiermark demonstriert: Er beanspruchte für sich die Stellung eines »natürlichen Erbherrn« und verfügte somit über Land und Leute wie über ein Patrimonialgut mit »unumschränkter Gewalt« – ein »dominium absolutum«, wie es etwa Sultan oder Moskauer Zar kannten.

In einem solchen System patrimonialen Absolutismus gab es keinen Raum mehr für das bisherige Beratungs- und Zustimmungsrecht der politischen Stände. Stattdessen trat eine Hausdiktatur mit Bürokratie an deren Stelle, welche zusammen mit dem stehenden Heer einen Zustand permanenten Kriegsrechts sicherstellte und jede weitere vertragliche Grundlage mit den Ständen ablehnte. Einige feierten dieses kriminelle Vorgehen als Geburtsstunde des »modernen Staates«. Die Verteidiger (Defensores) der libertären Verfassung Böhmens hingegen erkannten in den Rechtsverletzungen und Gewalttaten Ferdinands II. nichts anderes als eine wachsende Besitzgier sowie einen Akt kämpferischer Gegenreformation. Was dieser Habsburger hinter dem Rücken seines altersschwachen Adoptivvaters Kaiser Matthias rechtswidrig anrichtete, wollten die böhmischen Stände nicht länger hinnehmen. Seit 1611 zog sich der Konflikt um Braunau hin; alle Versuche einer gütlichen Einigung waren gescheitert – nun schien das Maß endgültig voll.

So ließen daher die betroffenen Stände sowie die Verteidiger des Majestätsbriefes von 1609 am 20. Mai 1618 in Prag von allen Kanzeln auf Deutsch und Böhmisch verkünden, dass für den folgenden Tag eine lebenswichtige Versammlung einberufen werde. Es gelte zu beraten, wie man jenen »heimlichen Listen und Praktiken« wirksam entgegentreten könne, die »in diesem Königreich den heilsamen Frieden sowie alle Liebe und Einigkeit unter uns zerstören« drohten. Diese Kräfte scheuten sich nicht einmal davor zurückzuschrecken, eigens errichtete Kirchen feindselig zu verschließen oder gar bis auf den Grund niederzureißen; sie seien sogar fähig, Menschen ins Gefängnis zu werfen oder gewaltsam zum Abfall von göttlicher Wahrheit zu zwingen – kurzum: sie bedrohten uns aufs Höchste mit Vernichtung des Majestätsbriefes sowie der Religionsfreiheit.

Diese Worte drücken religiöse wie politische Gewissensnot schwerster Verzweiflung aus: Alle rechtlichen Einwände sowie Bitten um Einhaltung zentraler Artikel der libertären Verfassung hatten nichts bewirkt. Somit waren alle legalen Mittel erschöpft worden, um den inneren Frieden zu wahren und einen offenen Widerstand hinauszuzögern. Es wäre zu kurz gegriffen, im Umfeld Graf Thurns bloß Vertreter einer »vagen Rittervolksjustiz« zu sehen; vielmehr verteidigten diese politischen Akteure mit ihrem Einsatz verfassungsmäßige Errungenschaften der Libertät – ein Selbstverständnis, das aus dem dritten Wirkungsbereich fundamentaler Herrschaftsverträge lebte; jener Grundbedingung liberalen Verfassungsdenkens.

Mit dem Singen von Psalmen – ähnlich wie es die Niederländer im nationalen Widerstand gegen Habsburg-Spanien praktizierten – stärkten sich die Ständevertreter gegenseitig ihren Mut. Sie waren entschlossen, Glauben und Besitz notfalls mit Leib und Leben zu verteidigen. Am 23. Mai 1618 drangen sie bewaffnet mit Pistolen und Degen in den Prager Hradschin ein. Dort forderten sie vom Grafen Slawata – dessen Bruder unter den Aufständischen war –, eine genaue Erklärung darüber einzufordern, wer tatsächlich Autor jener schlimmen kaiserlichen Antwort vom März desselben Jahres sei. Die Aufständischen erklärten entschlossen: Von weit entferntem Wien werde so anmaßend und schändlich mit Freiheit sowie Rechten Böhmens umgegangen, dass Ehre und Ruf es nicht länger zuließen, diese Schmach ungesühnt hinzunehmen.

Ein Wort führte zum anderen; Drohungen wurden ausgesprochen; die Gemüter erhitzten sich immer mehr. Doch eine klärende Auskunft erhielten die aufgebrachten Widerständler von den anwesenden Räten der Zehn-Männer-Regierung Böhmens nicht. So vollzog sich jenes Ereignis – bereits am Vortag im Palast des freiheitsbewussten Albrecht Smiřický für den Fall falscher Ausreden beschlossen –, das als Defenestration (Fenstersturz) bekannt wurde: Im tumultartigen Handgemenge wurden Slawata selbst sowie Martinitz und ein Sekretär kurzerhand auf böhmische Weise (po staročesku) aus einem Fenster der Prager Burg gestoßen – eine deutliche Mahnung daran, wer im böhmischen Haus wirklich herrschte und wie man Friedensstörer behandeln musste, damit das libertär festgefügte Gefüge nicht zerbrach.

Den Vorwurf willkürlicher Selbstjustiz wiesen sie zurück mit Berufung auf ein Widerstandsrecht aus dem Herrschaftsvertrag selbst; provoziert durch Habsburgs Verfassungsbruch. Auf gegnerischer Seite hingegen galt es als besonderes himmlisches Zeichen, dass alle drei Opfer des Zornes der Stände ihr Leben überlebten: Wie auf Engelsflügeln oder vom Mantel Mariens getragen fühlten sie sich beim Sturz; tatsächlich verdankten sie ihr Überleben wohl eher einem Misthaufen unter dem Fensterboden. Wien wollte lieber an ein Wunder glauben – besonders Ferdinand II., welcher keine Gelegenheit ausließ, seine Gefolgschaft gegenüber Amtskirche zur Schau zu stellen oder für eigene Machtziele auszunutzen. Es heißt sogar von ihm: Er würde zuerst einen Priester begrüßen wollen, sollte er ihm zusammen mit einem Engel begegnen dürfen. Verständlich genug: Die Kontrolle über kirchliche Institutionen war ihm wichtiger als ein Wesen unbekannten Wesens.

Dieser machtbewusste Habsburger aus steirischer Nebenlinie scheute daher nicht davor zurückzuknien vor einem Geistlichen im Straßenstaub beim Vorbeitragen des Allerheiligsten; bei Prozessionen trug er bereitwillig Windlichter bis sein Arm anschwoll.

War dies echte Demut vor Gott und einer Kirche, welche fast jedes Mittel recht war zur Sicherung von Haus und Hof sowie Leib und Seele gegen Ketzer? Oder lediglich eine taktische List dieses Machthabers zur besseren Verbindung seiner Gegenreformationspolitik mit eigenen Besitzansprüchen? Fest steht jedenfalls: Er ging über Leichen hinweg um sich seinen Platz im Himmel zu sichern. Und angesichts des Fenstersturzes jener Prager Räte sprach er unheilvolle Worte aus – Worte deren Umsetzung ganz Mitteleuropa auf lange Zeit ins Unglück stürzen sollte. Am Ende des darauffolgenden Krieges wurde die Lausitz geteilt.