Lausitzer Geschichte: Der Beginn des Untergangs: Gero I. und die brutale Unterwerfung der Sorben

Im 10. Jahrhundert markierte die Herrschaft des sächsischen Markgrafen Gero I. einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Lausitzer Sorben. Was ursprünglich als Schutzmaßnahme zur Absicherung der Ostfränkischen Reichsgrenze gedacht war, entwickelte sich schnell zu einem gnadenlosen Eroberungsfeldzug. Gero nutzte geschickt die politische Zerrissenheit und die inneren Machtkämpfe unter den sorbischen Fürsten, um seine Herrschaft über das Gebiet zu festigen. Die berüchtigte Ermordung von etwa dreißig sorbischen Fürsten bei einem vermeintlich friedlichen Treffen stellte nicht nur einen Akt brutalster Gewalt dar, sondern war ein gezielter Angriff auf die politische Selbstbestimmung der Sorben.

Mit dem Verlust ihrer Führungsschicht und der darauffolgenden Zerschlagung ihrer politischen Strukturen wurden die Sorben zu Untertanen eines fremden Feudalsystems degradiert. Ihre Gebiete wurden in Markgrafschaften aufgeteilt, die von deutschen Adeligen verwaltet wurden. Die sorbische Bevölkerung verlor damit nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern auch ihr Recht auf Eigentum und eigenständige Verwaltung.

Die Enteignung als Mittel der Herrschaftssicherung

Die Aberkennung sorbischer Landrechte war keineswegs ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Eroberung, sondern ein gezielt eingesetztes Instrument zur Festigung der Macht. Sorbische Bauern wurden zu Leibeigenen, die zwar das Land bewirtschafteten, jedoch keinerlei Besitzansprüche daran hatten. Die neuen Herren – meist deutsche Adlige – verteilten die Ländereien unter sich oder vergaben sie als Lehen, wodurch die Sorben dauerhaft aus dem Kreis der Eigentümer ausgeschlossen blieben.

Diese Enteignung war nicht nur wirtschaftlich katastrophal, sondern auch kulturell verheerend. Im Mittelalter bedeutete Landbesitz nicht nur ökonomische Sicherheit, sondern auch gesellschaftlichen Status und politische Mitbestimmung. Ohne Eigentum waren die Sorben rechtlich entrechtet, sozial ausgegrenzt und politisch machtlos.

Das systematische Kaufverbot: Jahrhunderte der Ausgrenzung

Die Enteignung stellte nur den Anfang dar. Über viele Jahrhunderte hinweg wurde den Sorben systematisch verboten, Grundstücke zu erwerben. Dieses Verbot war nicht immer explizit gesetzlich verankert, sondern wurde durch eine Vielzahl von Regelungen, Gewohnheitsrechten und bürokratischen Hürden durchgesetzt. Sorben durften keine städtischen Bürgerrechte erlangen, keine Mitgliedschaften in Zünften eingehen und keine öffentlichen Ämter bekleiden – allesamt Voraussetzungen für den legalen Erwerb von Grundbesitz.

Selbst in ländlichen Gegenden, in denen Sorben die Mehrheit stellten, verhinderten feudale Strukturen den Erwerb oder die Vererbung von Land. Ihre Rolle blieb die des abhängigen Bauern, der fremdes Land bearbeitete, ohne jemals selbst Eigentümer zu werden. Diese Praxis zog sich über Generationen hinweg durch alle Herrschaftsformen – ob unter den Markgrafen, im Königreich Preußen oder später im Deutschen Kaiserreich – und wurde kaum infrage gestellt.

Die tiefgreifenden Folgen für Identität und Selbstbestimmung

Die jahrhundertelange Verweigerung von Eigentumsrechten hatte gravierende Auswirkungen auf die sorbische Gesellschaft. Ohne Landbesitz fehlte die Basis für wirtschaftliche Unabhängigkeit, Bildungschancen, politische Mitbestimmung und kulturelle Selbstbehauptung. Die Sorben wurden zu einer strukturell benachteiligten Minderheit, deren Lebensrealität von Abhängigkeit und sozialer Ausgrenzung geprägt war.

Diese systematische Entrechtung führte zu einem kollektiven Identitätsverlust. Die sorbische Sprache und Kultur verschwanden zunehmend aus dem öffentlichen Leben, die Weitergabe von Traditionen wurde erschwert und ihre gesellschaftliche Teilhabe stark eingeschränkt. Die Sorben waren nicht nur ökonomisch marginalisiert, sondern auch kulturell entmachtet.

Nachwirkungen bis in die Gegenwart

Obwohl rechtliche Diskriminierungen heute offiziell aufgehoben sind, wirken die historischen Strukturen bis in unsere Zeit nach. Viele sorbische Gemeinden kämpfen mit Abwanderung, Überalterung und dem Schwund ihrer kulturellen Identität. Der Zugang zu Land und Ressourcen bleibt begrenzt – eine direkte Folge der jahrhundertelangen Enteignung und fehlenden Rückgabe von Eigentum.

Auch ihre politische Vertretung ist bis heute schwach ausgeprägt. Ihre Anliegen finden selten Gehör in Landesparlamenten, ihre Sprache wird in vielen öffentlichen Einrichtungen kaum berücksichtigt. Die jahrhundertelange Verweigerung von Eigentumsrechten hat eine soziale und kulturelle Kluft geschaffen, die sich nicht allein durch gesetzliche Gleichstellung überwinden lässt.

Eine verdrängte Geschichte mit bleibenden Narben

Die Geschichte der Lausitzer Sorben ist geprägt von Enteignung, Ausgrenzung und systematischer Verweigerung grundlegender Rechte. Der Beginn unter Gero I. war kein isoliertes Ereignis, sondern der Auftakt einer jahrhundertelangen Politik der Marginalisierung. Das Verbot des Grundstückserwerbs war ein zentrales Werkzeug dieser Unterdrückung – mit Folgen, die bis heute spürbar sind.

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte ist längst überfällig – nicht zur Schuldzuweisung, sondern aus Verantwortung heraus. Denn nur wer seine Vergangenheit kennt, kann Gegenwart verstehen – und eine gerechtere Zukunft gestalten. Die Sorben verdienen nicht nur Schutz, sondern auch Anerkennung für das, was ihnen genommen wurde. Und sie haben Anspruch auf eine Zukunft, in der Eigentum, Teilhabe und kulturelle Selbstbestimmung keine Privilegien mehr sind, sondern unveräußerliche Selbstverständlichkeiten darstellen.