“Grundfreibetrag soll das Existenzminimum steuerfrei lassen” – Warum Hartz IV auch die Mittelschicht betrifft?

Screenshot youtube.com Screenshot youtube.com

Die Anhebung des soziokulturelle Existenzminimums wird allzu gerne mit einer Erhöhung des Hartz-IV-Satzes gleichgesetzt. Doch davon sind nicht nur Hartz-IV-Bezieher, sondern auch weite Teile der Mittelschicht betroffen. Das soziokulturelle Existenzminimum ist auch im Steuerrecht bekannt und die Kleinrechnung des Hartz-IV-Satzes kann also sehr weite Kreise ziehen.

“Bundesregierung “unverschämtes Kleinrechnen” der Regelsätze in Hartz IV vorgeworfen”

>>Spiegel<<

“Lebensfern und in keiner Weise bedarfsgerecht” … Die Sätze würden vom Ministerium “unverschämt kleingerechnet”. … Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat der Bundesregierung “unverschämtes Kleinrechnen” der Regelsätze in Hartz IV vorgeworfen. In dem Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Neuermittlung der Regelsätze würden Fehler und Schwächen der bisherigen Methodik fort- und festgeschrieben, erklärt der Sozialverband.”

Hartz IV: “Regelsätze würden Fehler und Schwächen der bisherigen Methodik fort- und festgeschrieben”

Schon seit der Einführung wird Hartz IV kleingerechnet. Am Deutlichsten sticht dieser konsequenter Herunterrechnung beim – tatsächlichenStrompreis hervor und eine Änderung dieser Schieflage ist kaum absehbar.

“Stromkosten” – “Ärmere Haushalte sind von dem Anstieg besonders stark betroffen”

>>Verixox<<

“Die Stromkosten steigen zum Jahreswechsel auf ein neues Rekordhoch. Ärmere Haushalte sind von dem Anstieg besonders stark betroffen. Trotz der leichten Anhebung des Hartz-IV-Satzes bleibt der Anteil, der für die Stromkosten vorgesehen ist, viel zu gering. … Die tatsächlichen Stromkosten sind also rund ein Drittel (32 Prozent) höher als die dafür vorgesehenen Zuwendungen.”

“Tatsächlichen Stromkosten sind also rund ein Drittel (32 Prozent) höher als die dafür vorgesehenen Zuwendungen”

Das soziokulturelle Existenzminimum taucht nicht nur bei Hartz IV, sondern auch im Steuerrecht auf. Das Kindergeld wird nur zu gerne öffentlichkeitswirksam als “Sozialleistung” des Staates verkauft: Das dazu passende Gesetz ist aber nicht im Sozialgesetzbuch, sondern im Einkommensteuergesetz verankert. Die Gründe hierfür sind sehr einfach.

“Das Kindergeld ist rein rechtlich gesehen eine Steuervergütung”

>>Beamte – Was die Adeligen von heute wirklich verdienen von Torsten Ermel (Buch) <<

“Das Kindergeld ist rein rechtlich gesehen eine Steuervergütung. Seine Aufgabe ist es, das Existenzminimum des Kindes steuerfrei zu stellen. … Das heißt, dass es ein eigentliches »Kindergeld« in Deutschland nicht gibt. Die Bezeichnung ist irreführend. Es handelt sich ganz überwiegend nur um eine Erstattung von zu viel gezahlten Steuern. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass das Existenzminimum von Kindern steuerfrei ist. Das ist keine besondere soziale Leistung des Staates.”

“Existenzminimum von Kindern steuerfrei” – “Das ist keine besondere soziale Leistung des Staates”

Das soziokulturelle Existenzminimum ist also im Steuerrecht sehr wohl bekannt. Mehr noch: Die Regelung leitet sich direkt aus dem Grundgesetz ab und die nötigen Artikel sind sogar durch die Ewigkeitsklausel Ewigkeitsgarantie geschützt. Demzufolge fällt die Diskussion rum um das soziokulturelle Existenzminimum so lebhaft aus.

“Soziokulturelle Existenzminimum” – “Was Armut überhaupt sein soll und wo sie beginnt” 

>>Kampf um die Armut von Ulrich Schneider (Buch) <<

“Die Sozialrechtler prägten in dieser Auseinandersetzung rund um die Frage, was Armut überhaupt sein soll und wo sie beginnt, den sperrigen Ausdruck vom »soziokulturellen Existenzminimum«. Er sollte zu einem Schlüsselbegriff werden in diesem Kampf um die Deutungshoheit über die Armut und besagt: Zum Existenzminimum gehöre mit Blick auf das Gebot der Menschenwürde nicht nur das, was man zum Überleben zwingend brauche, also Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf oder Energie. Das soziokulturelle Existenzminimum umfasse auch das, was notwendig sei, um bei sparsamer Haushaltsführung am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Als Anfang der 1960er Jahre die Sozialhilfe eingeführt wurde, sollte damit genau das sichergestellt werden: ein Leben, das der Würde des Menschen entspricht, wie es im Gesetz heißt.”

“Soziokulturelle Existenzminimum” – “Um bei sparsamer Haushaltsführung am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben” 

Vereinfacht: Das allgemeine Steuerrecht und soziokulturelle Existenzminimum hängen also unmittelbar zusammen: Der Grundfreibetrag im Steuerrecht leitet sich direkt davon ab und eine Anhebung dessen würde besonders die unteren Einkommensschichten zugute kommen. Ferne wären noch ganze andere Dinge möglich.

“Grundfreibetrag soll das Existenzminimum steuerfrei lassen”

>>Unsere Steuern Wer zahlt? Wie viel? Wofür? von Stefan Bach (Buch) <<

“Ferner gibt es einen Kinderfreibetrag: Im Rahmen des steuerlichen Familienleistungsausgleichs wird dessen Steuerersparnis mit dem Kindergeld verrechnet. Bei höheren Steuersätzen ist der Kinderfreibetrag günstiger, sodass er eine zusätzliche Steuerentlastung bringt. Das wird seit Langem kritisiert, weil damit die Kinder der Reichen mit den höheren Steuersätzen mehr »wert« sind als die Kinder der Armen, die keine oder nur geringe Steuer zahlen. Allerdings ist die progressive Abzugswirkung Konsequenz des progressiven Steuertarifs. Höhere Werbungskosten oder Sonderausgaben entlasten Reiche ebenfalls stärker als Arme. Das resultierende »zu versteuernde Einkommen« wird dann progressiv besteuert, das heißt, die Steuerbelastung steigt mit höherem Einkommen. Der Grundfreibetrag soll das Existenzminimum steuerfrei lassen, … .”

“Kinder der Reichen mit den höheren Steuersätzen mehr »wert« sind als die Kinder der Armen”

Die Anhebung des soziokulturelle Existenzminimums und Grundfreibetrags würde also unmittelbar die ärmeren Bevölkerungsschichten entlasten. Aber auch die Mittelschicht würde davon profitieren. Die Grundfreibetrag stellt im Steuerrecht eine wesentliche Schwelle dar: Erst ab dieser Höhe müssen – theoretisch – überhaupt Steuern gezahlt werden.