“Überhaupt über die Runden zu kommen” – Weshalb das “Leben auf Kredit” für viele Menschen bereits vorgezeichnet ist?

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Das “Leben auf Kredit” ist ein Unterhaltungsfilm und für viele Menschen stellt es gleichzeitig die bittere Realität dar. Steigende Lebenshaltungskosten, Inflation und eine prekäre Wirtschaftslage greifen ineinander.

“Der Trend geht zum Zweit- und Drittjob”

>>Spiegel<<

“Der Trend geht zum Zweit- und Drittjob – Das Leben ist teuer, der Verdienst häufig gering. Immer mehr Menschen arbeiten deshalb in mehreren Jobs. Einer Studie zufolge hat die Zahl der Mehrfachbeschäftigten drastisch zugenommen – vor allem in strukturschwachen Regionen.”

“Leben ist teuer, der Verdienst häufig gering” – “Immer mehr Menschen arbeiten deshalb in mehreren Jobs”

>>Lexware.de<<

“Mehr verdienen und an weiteren Arbeitsplätzen neue Erfahrungen sammeln, das klingt nach guten Möglichkeiten. Tatsächlich aber multijobben aktuell noch die wenigsten Menschen, um sich selbst zu verwirklichen oder in andere Aufgabengebiete hineinzuschnuppern: Geldknappheit bzw. ein niedriger Lohn im Hauptjob sind in den meisten Fällen der Grund dafür, die stressige Zeitplanung und Doppelbelastung in Kauf zu nehmen. Nicht, um dann über große Reichtümer zu verfügen – sondern um überhaupt über die Runden zu kommen.”

“Überhaupt über die Runden zu kommen” – “Geldknappheit bzw. ein niedriger Lohn”

Die allgemeine Geldknappheit tritt auch an anderen Stellen auf: Um noch irgendwie über die Runden zu kommen, nehmen viele Menschen Schulden auf. – Schulden die sie häufig nicht mehr zurückzahlen können. Folglich: Die Überschuldung ist vorprogrammiert.

“Somit sind 6,6 Millionen Deutsche überschuldet – nahezu jeder zehnte Volljährige”

>>Wirtschaftswoche<<

“Somit sind 6,6 Millionen Deutsche überschuldet – nahezu jeder zehnte Volljährige. Als überschuldet gilt laut Creditrefom, wer seine fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und dabei weder über Vermögen noch andere Kreditmöglichkeiten verfügt.”

Überschuldung: “Wer seine fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann”

Da der Begriff “Überschuldung” nirgends klar definiert ist, geistern entsprechend – teils sehr unterschiedlicheZahlen herum. Zumal die offenen Insolvenzen hierbei meistens nicht mal mitgezählt werden. Zwar wurde die Schuldknechtschaft formal abgeschafft und diese stellt sogar eine offizielle Straftat dar: Nur, wie wirkt es sich auf die gelebte Praxis aus? – Immerhin war das Phänomen der Schuldknechtschaft oder Schuldsklaverei bereits in der Antike bekannt. Und auch die daraus resultierenden gesellschaftlichen Debatten kommen doch so sehr aktuell und vertraut vor.

Antike: “Durfte der Gläubiger auf die Person eines mit der Rückzahlung säumigen Schuldners zugreifen”

>>Der Aufstieg Roms von Kathryn Lomas (Buch) <<

“Durch den Anstieg der Zahl von Schuldnern sowie der Zinsen geriet besonders die sogenannte Schuldknechtschaft (nexum) ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei durfte der Gläubiger auf die Person eines mit der Rückzahlung säumigen Schuldners zugreifen und sich seiner für Zwangsarbeit bedienen (ihn im Grunde versklaven), bis die Schuld abgearbeitet war. Das Schuldenproblem sollte im fünften und vierten Jahrhundert regelmäßig Gegenstand von Protesten des Volkes sein, trotz zahlreicher Bemühungen, Zinsen und Rückzahlungsbedingungen zu regulieren.”

Antike: “Zahlreicher Bemühungen, Zinsen und Rückzahlungsbedingungen zu regulieren”

Das moderne Insolvenzrechtinsbesondere Privatinsolvenz – ruft sicherlich hierzu einige Erinnerungen wach. Auch heute noch werden Diskussionen über Zinsen und Rückzahlungsbedingungen geführt. Die Leitzinsen sind sogar an höchster behördlicher Stelle angesiedelt. Nichtsdestoweniger muss das zeitgenössische Insolvenzrecht aus irgendeiner historischen Erfahrungen herkommen und diese ist vermutlicher direkt in der Schuldsklaverei zu suchen.

“Mesopotamische und ägyptische Stelen zeugen von endlosen Kreisläufen aus dem Anhäufen von Schulden und der Versklavung”

>>Kapital und Ideologie von Thomas Piketty (Buch) <<

“Die Schuldsklaverei war in der Antike eine verbreitete Praxis. Und die Bibel wie auch mesopotamische und ägyptische Stelen zeugen von endlosen Kreisläufen aus dem Anhäufen von Schulden und der Versklavung, zuweilen unterbrochen von Phasen des Schuldenerlasses und der Sklavenbefreiung, um den sozialen Frieden wiederherzustellen. Die Bedeutung der historischen Beziehung zwischen Sklaverei und Verschuldung illustriert im Englischen der Begriff bondage, der auf die kennzeichnende Abhängigkeit von Leibeigenschaft oder Sklaverei verweist. Bond bezeichnet so ab dem 13. Jahrhundert sowohl die rechtlichen und finanziellen Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner als auch die der Abhängigkeit zwischen Grundherr und Bauer. Die Rechtssysteme, die im 19. Jahrhundert errichtet wurden, schafften am Ende die Sklaverei gleichzeitig mit dem Schuldgefängnis und vor allem der Übertragung von Schulden an die nachfolgenden Generationen ab.”

Thematik der Jahrtausende: “Übertragung von Schulden an die nachfolgenden Generationen”

Die Abschaffung von Schulden an die nachfolgenden Generationen ist eher mit sensibler Vorsicht zu genießen: Noch heute können Schulden vererbt werden. Selbst Sozialämter können Forderungen über mehrere Generationen hinweg stellen. Nicht mal das Taschengeld der Enkel ist wirklich sicher.

“Sozialamt fordert von Oma an Enkel verschenktes Geld zurück!”

>>Rechtsanwalt Gerhard Rahn<<

“Sozialamt fordert von Oma an Enkel verschenktes Geld zurück! – Die „zum Kapitalaufbau geleisteten Zahlungen stellen weder eine Pflicht- noch eine Anstandsschenkung dar“, befand der 6. Zivilsenat. Solche seien zwar anlassbezogene Geschenke zu Weihnachten oder zum Geburtstag, hier spreche „die Summe der geleisteten Beträge in Anbetracht der finanziellen Verhältnisse der Großmutter“ jedoch dagegen. Auch der Zweck „Kapitalaufbau“ zeige klar, dass es eben nicht nur Taschengeld war.”

Weshalb das “Leben auf Kredit” für viele Menschen bereits vorgezeichnet ist?

Ob mit solchen geringen Beträgen ein “Kapitalaufbau” wirklich möglich sei, kann mal hier unbeantwortet bleiben. Doch der Fall legt die Transparenz von Zahlungsströmen und Konten gegenüber offen. Und eines wird durch das Urteil deutlich: Das “Leben auf Kredit” ist – ohne finanzielle Rücklagen – praktisch schon vorgezeichnet.