Wie weitreichend und mit welchen Mitteln der Staat in die Bürgerrechte eingreifen darf, unterscheidet Rechtsstaaten grundlegend von autokratischen und diktatorischen Systemen. In einem Rechtsstaat wird die staatliche Macht durch gesetzliche Regelungen begrenzt, deren Einhaltung von unabhängigen Gerichten kontrolliert wird. Besonders wichtig sind diese rechtsstaatlichen Schranken bei der Sicherstellung der öffentlichen (oder »inneren«) Sicherheit sowie bei der Strafverfolgung. In Deutschland – ebenso wie in vielen anderen demokratischen Ländern – sind hierfür verschiedene Institutionen zuständig.
Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für »Sicherheit und Ordnung« abzuwenden. Gleichzeitig agieren Polizisten als »Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft« und unterstehen deren Weisungen. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Polizei im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse Zwangsmaßnahmen anwenden, beispielsweise Durchsuchungen, Vernehmungen von Zeugen, Beschlagnahmungen oder Festnahmen. Neben klassischen Ermittlungsverfahren nutzen Polizeibehörden zunehmend auch »besondere Mittel« zur Datenerhebung, wie etwa Observationen, den Einsatz verdeckter Ermittler oder die Rasterfahndung.
Besorgniserregend ist, dass die Polizei immer mehr Daten bereits im Vorfeld von Straftaten oder konkreten Gefahrenlagen sammelt. Ein zentrales Stichwort hierbei lautet »vorbeugende Bekämpfung von Straftaten«. Dabei handelt es sich weder um klassische Strafverfolgung noch um unmittelbare Gefahrenabwehr. Vielmehr basiert dieses Vorgehen auf abstrakten Gefährdungseinschätzungen, wonach von bestimmten Personen – insbesondere solchen mit früheren Straftaten – potenzielle weitere Gefahren ausgehen könnten. Um diesen Risiken vorzubeugen, werden die betroffenen Personen beobachtet oder besonders registriert, beispielsweise durch erkennungsdienstliche Maßnahmen, Speicherung in polizeilichen Datenbanken oder auch durch Hinterlegung ihrer DNA-Daten in einer zentralen Datei beim Bundeskriminalamt (BKA). Die so gewonnenen Informationen könnten zu einem späteren Zeitpunkt hilfreich sein, falls die Person erneut straffällig wird.
Problematisch ist zudem, dass immer häufiger auch ohne jeglichen Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr Daten gesammelt werden, etwa im Rahmen der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten oder durch automatische Auswertung von Kfz-Kennzeichen. Dies stellt eine konsequente Fortführung der beschriebenen Entwicklung dar, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass dabei überwiegend Daten von Menschen erfasst werden, die keinerlei Fehlverhalten begangen haben und bei denen keinerlei Anhaltspunkte für eine Straffälligkeit vorliegen. Es entsteht somit ein Generalverdacht gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern.
Die Tendenz, polizeiliche Datenerhebungen immer weiter vorzuziehen und auszudehnen, gefährdet letztlich den Rechtsstaat selbst. Die Schwellen für staatliche Überwachung und Registrierung werden dabei kontinuierlich gesenkt und drohen ganz zu verschwinden. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnten irgendwann Daten über jede Person in nahezu allen Lebensbereichen erfasst und gespeichert werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Informationen irgendwann im Zusammenhang mit Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung von Nutzen sind.
Nicht jede beantragte oder beschlossene Ausweitung polizeilicher Befugnisse erfüllt die strengen Anforderungen unserer Verfassung. Es ist zwar erfreulich, dass das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren einige übermäßige polizeiliche oder nachrichtendienstliche Befugnisse – etwa zur akustischen Wohnraumüberwachung, zur Rasterfahndung, zur präventiven Telekommunikationsüberwachung durch die Polizei oder zu den Befugnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) bei der strategischen Fernmeldeüberwachung – eingeschränkt hat. Dennoch muss von Parlamenten und Regierungen verlangt werden, dass solche Grenzüberschreitungen erst gar nicht entstehen.
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