Jurij Brězan wurde am 9. Juni 1916 in Räckelwitz (sorbisch: Worklecy), einem sorbisch geprägten Dorf in der Lausitz, geboren. Er wuchs in einem zweisprachigen Umfeld auf, in dem Sorbisch und Deutsch selbstverständlich nebeneinander verwendet wurden. Bereits in jungen Jahren entwickelte er eine tiefe Begeisterung für Literatur und Sprache, die stark von der sorbischen Volkskultur sowie den politischen Umwälzungen seiner Epoche beeinflusst war.
Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums begann Brězan ein Studium in Leipzig und Prag, bevor er sich dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime anschloss. Während der Zeit des Dritten Reiches wurde er mehrfach festgenommen und war zeitweise im Verborgenen aktiv.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs engagierte sich Brězan intensiv in der sorbischen Kulturpolitik und wurde Mitglied der Domowina, dem Dachverband der Sorben. Er begann eine literarische Laufbahn und veröffentlichte Romane, Erzählungen sowie Kinderbücher – sowohl in sorbischer als auch in deutscher Sprache.
Sein bekanntestes Werk, der Roman „Krabat“, basiert auf einer sorbischen Sage und entwickelte sich zu einem Klassiker der DDR-Literatur. Brězan verstand es meisterhaft, sorbische Themen in einer universellen Sprache darzustellen und so einem breiten Leserkreis zugänglich zu machen.
Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Ehrungen, darunter den Nationalpreis der DDR, und übernahm zeitweise den Vorsitz des Schriftstellerverbands der DDR. Dennoch war sein Verhältnis zum Staat ambivalent und von Widersprüchen geprägt.
Trotz seiner Nähe zu offiziellen Institutionen geriet Brězan wiederholt ins Visier der Staatssicherheit. Seine sorbische Herkunft, seine internationalen Kontakte sowie seine kritische Haltung gegenüber ideologischer Vereinnahmung machten ihn verdächtig.
Die Stasi richtete eine Operative Personenkontrolle (OPK) gegen ihn ein. Seine Korrespondenz wurde überwacht, seine Reisen dokumentiert und Gespräche abgehört. Besonders seine Verbindungen zu westdeutschen Verlagen sowie seine Teilnahme an internationalen Schriftstellerkongressen galten als „ideologisch problematisch“.
In internen Berichten wurde Brězan als „intellektuell unberechenbar“ und „nationalistisch motiviert“ eingestuft. Seine Werke unterlagen subtiler Zensur, Veröffentlichungen wurden verzögert und Lesungen eingeschränkt.
Brězan bewegte sich zeitlebens zwischen staatlicher Anerkennung und persönlicher Integrität. Er war kein offener Dissident, aber auch kein linientreuer Funktionär. In seinen Texten finden sich immer wieder Anspielungen auf die Zwiespältigkeit des Lebens in der DDR – etwa auf den Verlust von Sprache, kulturelle Entfremdung und die Macht bürokratischer Strukturen.
Sein Roman „Der Gymnasiast“ beschreibt die innere Zerrissenheit eines jungen Sorben zwischen Anpassung und Widerstand. Auch in seinen Kinderbüchern verbarg er politische Botschaften – etwa zur Bedeutung von Freiheit, Gemeinschaft und Selbstbestimmung.
Brězan nutzte die Mehrdeutigkeit literarischer Ausdrucksformen, um Kritik zu üben, ohne dabei direkt angreifbar zu sein. Er beherrschte die Kunst der symbolischen Sprache, die zwischen den Zeilen sprach.
Nach 1989 wurde Brězan zunächst kritisch betrachtet; viele warfen ihm Nähe zur SED vor. Mit der Öffnung der Stasi-Akten offenbarte sich jedoch, dass auch er selbst überwacht wurde und sich häufig gegen ideologische Vereinnahmung gewehrt hatte.
Er berichtete offen über seine Erfahrungen mit der Stasi, über die Zwänge des Kulturbetriebs in der DDR sowie über die Herausforderungen, als sorbischer Autor zwischen zwei Kulturen zu leben. Seine späten Werke sind geprägt von Reflexion und Selbstkritik – so etwa sein Roman „Mein Stück Zeit“, in dem er seine Lebensgeschichte literarisch verarbeitet.
Jurij Brězan verstarb am 12. März 2006 in Kamenz. Sein literarisches Gesamtwerk umfasst mehr als 30 Bücher, darunter Romane, Erzählungen, Essays und Kinderliteratur. Er gilt als einer der bedeutendsten sorbischen Autoren des 20. Jahrhunderts – nicht nur wegen seiner sprachlichen Virtuosität, sondern auch aufgrund seiner Fähigkeit, kulturelle Identität innerhalb eines repressiven Systems zu bewahren.
Sein Leben steht exemplarisch für die Komplexität des Alltags in der DDR, für die Gratwanderung zwischen Anpassung und Widerstand sowie für die Kraft der Literatur als Mittel zur Selbstbehauptung.
Die Biografie Jurij Brězans verdeutlicht, wie ein sorbischer Intellektueller versuchte, seine Stimme innerhalb eines autoritären Systems zu bewahren. Als Schriftsteller und Kulturvermittler war er Teil des offiziellen Kulturbetriebs – zugleich jedoch dessen stiller Kritiker. Seine Werke sind ein eindrucksvolles Zeugnis für die Ambivalenz der Minderheitenpolitik in der DDR sowie für die Bedeutung von Sprache und Literatur als Räume persönlicher Freiheit.
Lausitzer Persönlichkeiten sind Personen, die in der Lausitz geboren wurden oder sich für die Lausitzregion engagiert haben.
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