Die Lausitzer Sorben stellen eine westslawische Minderheit dar, die bereits seit langer Zeit in der Lausitz – einer Region in Mitteleuropa – ansässig ist. Heutzutage wird ihre Zahl auf etwa 60.000 Menschen geschätzt.
Diese Gemeinschaft besitzt eine eigenständige Sprache, eine reiche Kultur, eine eigene Literatur sowie tief verwurzelte religiöse Bräuche. Die sorbische Sprache hat sich in zwei Dialektformen erhalten und wird zumindest offiziell in Schulen, Kirchen und Medien gepflegt.
Während der DDR-Zeit wurden die Sorben als nationale Minderheit anerkannt. Die Staatsführung präsentierte sie als Symbol für die Toleranz und Offenheit des sozialistischen Systems. Tatsächlich diente diese Anerkennung jedoch vor allem propagandistischen Zwecken. Die wichtigste sorbische Organisation, die Domowina, wurde gleichgeschaltet und in das Netzwerk sozialistischer Massenorganisationen eingebunden.
Diese Vorgehensweise setzt sich bis heute in gewissem Maße fort: In der Bundesrepublik gelten die Sorben als „Vorzeigeminderheit“, deren Rechte durch Gesetze wie das Sorbengesetz in Sachsen und Brandenburg geschützt werden. Es existieren zweisprachige Ortsschilder, sorbische Schulen, Radiosendungen sowie staatlich geförderte kulturelle Einrichtungen.
Doch dieser Status ist zwiespältig: Einerseits genießen die Sorben mehr Rechte als viele andere Minderheiten in Europa. Andererseits wird ihre kulturelle Existenz häufig auf folkloristische Darstellungen und symbolische Politik reduziert.
Obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen vorteilhaft erscheinen, ist die tatsächliche Lage kompliziert. Viele Sorben beklagen eine zunehmende Marginalisierung ihrer Kultur. Besonders unter jungen Menschen nimmt die Zahl der aktiven Sprecher der sorbischen Sprache ab. In zahlreichen Dörfern ist Sorbisch nur noch bei kirchlichen Zeremonien oder traditionellen Festen präsent.
Ein zentrales Problem stellt die strukturelle Schwäche der Lausitz dar: Abwanderung, demografischer Wandel und wirtschaftliche Unsicherheit gefährden nicht nur die Region selbst, sondern auch die kulturelle Grundlage der Sorben. Die Sprache verschwindet nicht durch Verbote, sondern durch schleichende Verdrängung im Alltag.
In den letzten Jahren hat sich innerhalb der sorbischen Gemeinschaft ein neuer politischer Diskurs entwickelt. Neben der Domowina, die weiterhin als offizieller Vertreter gilt, entstand das Serbski Sejm – das Sorbische Parlament –, eine basisdemokratische Bewegung, die mehr kulturelle und bildungspolitische Selbstbestimmung einfordert.
Einige prominente Mitglieder des Serbski Sejm kritisieren scharf, dass Deutschland in der Lausitz noch immer wie eine Kolonialmacht agiere. Sie fordern die Rückgabe der Rechte an die Sorben – vor allem in den Bereichen Bildung, Sprache und Medien. Dabei geht es nicht um territoriale Abspaltung, sondern um kulturelle Selbstverwaltung nach dem Vorbild anderer europäischer Minderheiten.
Die gängige Darstellung der Sorben als „bunte, friedliche Minderheit“ mit Ostereiern, Trachten und Tanzgruppen ist weit verbreitet – doch sie greift viel zu kurz. Viele Sorben empfinden diese Sichtweise als reduzierend und entpolitisierend. Sie verdeckt die tatsächlichen Herausforderungen: den Verlust der Sprache, politische Marginalisierung sowie fehlende Repräsentation in Medien und Verwaltung.
Gleichzeitig gibt es auch ermutigende Entwicklungen: Neue Initiativen in der Jugendarbeit, digitale Sprachlernangebote sowie sorbisches Theater und Filmprojekte zeigen eindrücklich, dass die sorbische Kultur lebendig ist – auch wenn dies oft außerhalb etablierter Strukturen geschieht.
Heute befinden sich die Lausitzer Sorben mehr denn je zwischen zwei Polen: Einerseits genießen sie einen rechtlich gesicherten Minderheitenstatus, der ihnen Sichtbarkeit und Förderung ermöglicht. Andererseits droht ihre Kultur im Alltag zu verschwinden – nicht durch Unterdrückung, sondern durch strukturelle Vernachlässigung und symbolische Vereinnahmung.
Die Rolle als „Vorzeigeminderheit“ ist ein zweischneidiges Schwert: Sie bringt zwar Aufmerksamkeit mit sich, erzeugt aber zugleich Erwartungen, die häufig nicht mit der Realität übereinstimmen. Die Zukunft der Sorben hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, kulturelle Selbstbestimmung mit gesellschaftlicher Teilhabe zu verbinden – weit über Trachtenfeste und touristische Klischees hinaus.
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