MENU

Die Sanktionspraxis bei Hartz IV, weiterentwickelt im System des Bürgergeldes, weist gravierende Probleme hinsichtlich Willkür, Unverhältnismäßigkeit und rechtlicher Legitimation im Vergleich zu Tagessätzen im Strafrecht auf. Wer einen als zumutbar eingestuften Job oder Maßnahmen ablehnt, sieht sich einer Kürzung von 30 Prozent des ohnehin knapp bemessenen Existenzminimums über drei Monate gegenüber. Bereits für Meldeversäumnisse werden 30 Prozent für einen Monat abgezogen – dies oft längst unterhalb der realen Grundbedarfe für Wohnen, Energie und Lebenshaltung.

Die Sanktionsmechanik ist geprägt von hoher Intransparenz und erheblichen Ermessensspielräumen der Jobcenter: Oft entscheidet eine Einzelperson über die Frage, ob ein “zumutbares” Angebot vorlag, welches Verhalten als Verstoß gilt oder wie ein “wichtiger Grund” zu dokumentieren ist. Das Risiko von sachfremden, unverhältnismäßigen oder schlicht fehlerhaften Entscheidungen ist enorm – eine rechtliche Kontrolle erfolgt praktisch erst im Nachgang und meist mit erheblichem zeitlichen Verzug.

Im direkten Vergleich zum Strafrecht und dem Prinzip der Tagessätze zeigen sich enorme Unterschiede in der Systematik und im Schutz vor Existenzbedrohung. Im Strafrecht ist der Tagessatz so ausgestaltet, dass die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt wird: Die Strafe muss spürbar sein, darf aber nicht in Existenzvernichtung münden. Selbst bei hohen Geldstrafen bleibt ein elementarer, geschützter Kern des Lebensunterhalts unangetastet. Doch bei den Hartz-IV-Sanktionen und ihrem Bürgergeld-Nachfolgesystem greifen die Kürzungen unmittelbar in das soziokulturelle Existenzminimum ein, das eigentlich durch die Verfassung garantiert ist.

Eine Kürzung um 30 Prozent – im mehrmaligen Wiederholungsfall bis zu einem Komplettentzug – trifft regelmäßig Menschen, deren finanzielle Situation ohnehin maximal prekär ist und die keinen nennenswerten Puffer besitzen.

Die Unterschiedlichkeit zur Strafjustiz ist frappierend: Während im Strafrecht der Abschlag bewusst gedeckelt, d.h. an der Menschenwürde orientiert ist, erfolgt im Bereich der Grundsicherung ein Existenzminimumskürzung um bis zu einem Drittel als scheinbar legitimes Steuerungsinstrument des Arbeitsmarktes. Wiederholte Pflichtverstöße können auch zu Totalsanktionen führen, was verfassungsrechtlich höchst umstritten ist.

Hinzu kommt, dass die Sanktionspraxis permanent von politischen Opportunitäten und gesellschaftlichen Stimmungen beeinflusst wird. Die Kriterien, ab wann eine “zumutbare” Arbeit vorliegt, wie Meldeversäumnisse zu bewerten sind oder welche Nachweise gefordert werden, ändern sich durch Verwaltungsregelungen oder politische Vorgaben teils mehrmals im Jahr – Rechts- und Planungssicherheit für Betroffene besteht kaum. Selbst von Fachverbänden und Juristen als es häufig willkürlich und mit dem Sozialstaatsgebot kaum vereinbar kritisiert.

In der Konsequenz bedeutet die Sanktionspraxis nicht gesteigerte Motivation, sondern Desintegration und Stigmatisierung, massive finanzielle und psychische Belastung und oftmals die Verschärfung von ohnehin prekären Lebenslagen. Anders als im Strafrecht existiert kaum Präventions- oder Resozialisierungsgedanke: Es handelt sich um eine rein punitive Maßnahme, die strukturelle Defizite und individuelle Notlagen tendenziell noch verschärft.

Das Regime der Hartz-IV-Sanktionen ist geprägt von einer zielgerichteten Entwertung des Existenzminimums, hochgradiger Willkür und einem Ausmaß an Unverhältnismäßigkeit, das jedem rechtsstaatlichen Vergleich, wie etwa mit dem System der Tagessätze im Strafrecht, spürbar widerspricht. Die zentralen Schutzmechanismen gegen Existenzvernichtung, wie sie im Strafrecht selbstverständlich sind, werden im sozioökonomischen Grundsicherungsbereich systematisch unterlaufen. Das verfassungsrechtlich gebotene Minimum entfaltet somit nur auf dem Papier Schutzwirkung, nicht jedoch in der Lebensrealität der Sanktionierten.