Der Deutsche Bundestag will sich nach außen als moderner Rechtsstaat repräsentieren. Doch deren Grundkonzept reicht bis in die Antike des Römischen Reiches zurück: Das mag weit hergeholt klingen, aber die US-Amerikaner tragen es sogar ganz unverblümt vor: Auf dem „Kapitol“ in Rom stand einst der Senatorenpalast und das andere „Kapitol“ in Washington D.C. ist heute Sitz des US-Kongresses. Der Begriff „Senator“ übt seit der Antike – bis heute – die selbe Funktion aus.

Antike-Römische-Tradition im Bundestag: „In politischer Verantwortung für das ganze Volk zu handeln“

Doch der Deutsche Bundestag will formal vom solchen geschichtlichen Vergleichen nicht viel wissen. Allerdings die Parallelen reichen nicht nur in die Machtstrukturen, sondern sogar in die gesellschaftlichen Zusammensetzungen hinein.

Leider nicht ganz richtig: „Der Bundestag ist das einzige vom Volk direkt gewählte Verfassungsorgan“

>>Bundestag<<

„Der Bundestag ist das einzige vom Volk direkt gewählte Verfassungsorgan (Volksvertretung). … Mit der Wahl erhalten die Mitglieder des Deutschen Bundestages für die Dauer der Wahlperiode das Mandat, in politischer Verantwortung für das ganze Volk zu handeln.“

Beinahe irrelevant: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“

Laut Bundeszentrale für politische Bildung gibt es insgesamt – ohne Bundesversammlung – fünf Verfassungsorgane und nur auf dem Bundestag kann das Volk etwas an Einfluss ausüben. Doch der Satz auf Webseite des Bundestag ist nicht ganz richtig: „Der Bundestag ist das einzige vom Volk direkt gewählte Verfassungsorgan.“ – Ein erheblicher Teil der Abgeordneten zieht nicht per Wahl des Volkes, sondern per Liste von Parteien in dem Bundestag ein: Damit ist Artikel 20 des Grundgesetzes beinahe irrelevant geworden: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Bundestag als Volksvertretung: Mittelschicht in der Minderheit und Unterschicht ist praktisch ausgeschlossen

So sieht am Ende auch die Zusammensetzung des Bundestages aus. Vereinfacht: Sollte tatsächlich der Bundestag das Volk repräsentieren, dann müsste sich die Bevölkerung aus Beamten, Parteifunktionären und etablierten Geldadel zusammensetzen. Tatsächlich sind die Hürden ins Parlament einzuziehen sehr hoch und für Durchschnittsbürger nur in absoluten Ausnahmefällen zu meistern. Viele gesellschaftliche Spannungen rühren genau aus jenem Missverhältnis her. Aber vergleichbare Zerwürfnisse sind auch aus der Antike bekannt. Schon damals gab es eine Art von Parlament mit dem Namen „Senat“ und – theoretisch – konnten nach langen Ringen auch das einfache Volk dorthin einziehen.

„Freien Bauern, Handwerkern, Händlern und Tagelöhnern“ – „Von der politischen Teilhabe am Gemeinwesen ausgeschlossen“

>>Geld, Gesellschaft und Gewalt von Eugen Drewermann (Buch) <<

„Doch schon 494 v. Chr. verschärften sich die Spannungen mit den »Plebejern« (von plebs = Menge, einfaches Volk), bestehend aus freien Bauern, Handwerkern, Händlern und Tagelöhnern, die allesamt »von der politischen Teilhabe am Gemeinwesen ausgeschlossen, aber zur Zahlung von Steuern … verpflichtet« waren. »Mit einem Generalstreik, der Auswanderung (›secessio‹) auf den heiligen Berg (›mons sacer‹), legen sie das Leben in Rom lahm.« Den Patriziern (den adligen Klanführern) nebst ihrer Klientel kam ein so großes Gewicht zu, weil sie das Kriegsheer, insbesondere die Reiterei, stellten. Doch im 5. Jh. wird der Aufwand für die Hoplitenphalanx zu groß; die bäuerlichen Schichten müssen rekrutiert werden, und die Verweigerung des Kriegsdienstes wird dadurch das stärkste Druckmittel, um die wirtschaftlichen Verhältnisse für die »kleinen Leute« zu bessern.“

Heute verboten – Generalstreik in der Antike: „Mit einem Generalstreik … legen sie das Leben in Rom lahm“

Der heute verbotene Generalstreik ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern schon damals wurde faktisch auf das gleiche Mittel zurückgegriffen. Allerdings rührten die Spannungen nicht nur zwischen „Plebejern“ und „Patriziern“ her.

Peregrinen & Sklaven: Die antike Unterschicht

>>Rechtsgeschichte von Susanne Hähnchen (Buch) <<

„Außer den Patriziern und Plebejern gab es nicht zum Volk gehörende Peregrinen (peregrini = Fremde), die zwar frei aber ursprünglich in Rom rechtlos und nur durch die traditionelle Gastfreundschaft geschützt waren, sowie Sklaven.“

Harz-IV-Empfängern und prekärer Beschäftigte: Die moderne Unterschicht

Zwar fanden auch Sklavenaufstände statt, aber ansonsten nahmen die „Peregrinen“ und Sklaven keine nennenswerte politische Rolle ein. Es ist ungefähr mit den heutigen Prekariat – Harz-IV-Empfängern und prekärer Beschäftigung – gleichzusetzen. Freilich ist genauso das heutige Prekariat praktisch politisch kalt gestellt. Nicht mal die offizielle Bundestagsverwaltung – die sich selbst als „Volksvertretung“ sieht – will darüber auch nur ein Wort verlieren. Kurzum: Selbst das römische Ständesystem hat sich bis heute – unter anderen Namen – überlebt. Selbstverständlich sind auch die heutigen Konflikte durchaus mit der Antike im Römischen Reich vergleichbar.

Oberschicht gegen Unterschicht: „Erbittert hatten die adligen Patrizier ihre Privilegien gegenüber den Plebejern – Bauern und Handwerkern – verteidigt“

>>Rom von Dietmar Pieper & Johannes Saltzwedel (Buch) <<

„Erbittert hatten die adligen Patrizier ihre Privilegien gegenüber den Plebejern – Bauern und Handwerkern – verteidigt. Doch Roms schnell wachsende Armee benötigte immer mehr Kämpfer, die als Gegenleistung für ihren Kriegsdienst größere Mitsprache forderten. Schließlich konnten die Plebejer, zumindest nach den Buchstaben der Konsulatsverfassung von 367, in alle Positionen der alten Oberschicht aufsteigen.“

Plebejer: „Nach den Buchstaben der Konsulatsverfassung von 367, in alle Positionen der alten Oberschicht aufsteigen“

Die tonangebenden Politiker und Beamte haben sich auch heute mit zahlreichen Privilegien ausgestattet und das gewöhnliche Volk geht dabei meist leer aus: Dabei muss gerade die Unter- und Mittelschicht die Hauptsteuerlast tragen. – Genau dieser soziale Konflikt hat das Römische Reich während seiner gesamten Existenz begleitet. Nichtzuletzt dürfte die Begrifflichkeit über die sogenannte „spätrömische Dekadenz“ nicht ganz unbegründet sein: Denn der Kaiser Honorius soll sich mehr um das Wohlbefinden seines Lieblingshuhns Roma, als dem Untergang von Rom interessiert haben.