Jakub Bart-Ćišinski wurde am 20. August 1856 im kleinen Dorf Kuckau – sorbisch Kukow – in der Lausitz geboren. Er entstammte einer katholischen sorbischen Familie, in der Sprache und Tradition seines Volkes lebendig gehalten wurden. Bereits in jungen Jahren offenbarte sich seine außergewöhnliche sprachliche Begabung. Neben Sorbisch erlernte er Deutsch, Latein sowie später Französisch, Tschechisch und Polnisch. Diese Vielsprachigkeit prägte sein Denken nachhaltig und beeinflusste maßgeblich seine spätere literarische Tätigkeit. Für ihn war die sorbische Sprache weit mehr als nur ein Kommunikationsmittel – sie symbolisierte Identität, Würde und kulturellen Reichtum.
Nach dem Besuch der Dorfschule wechselte Bart-Ćišinski auf das Gymnasium in Bautzen, wo er sich als fleißiger und talentierter Schüler schnell hervortat. Dort begann er mit dem Verfassen erster Gedichte – zunächst auf Deutsch, später immer häufiger auf Sorbisch. Seine Werke spiegelten eine tiefe Verbundenheit zur Natur, religiöse Gedanken und den Wunsch wider, die sorbische Sprache literarisch zu fördern und aufzuwerten. Nach dem Abitur entschied er sich für ein Theologiestudium im Priesterseminar in Prag, wo er zugleich seine literarischen Ambitionen weiterverfolgte. Die Stadt Prag mit ihrer reichen slawischen Kultur wurde für ihn zu einem geistigen Zuhause.
Nach seiner Priesterweihe kehrte Bart-Ćišinski in die Lausitz zurück und übernahm verschiedene seelsorgerische Aufgaben, unter anderem in Ralbitz und Wittichenau. Als Pfarrer war er nicht nur geistlicher Begleiter, sondern auch ein kultureller Förderer. Er predigte auf Sorbisch, unterstützte die Jugendarbeit seiner Gemeinschaft und setzte sich vehement für den Unterricht in Muttersprache ein. Gleichzeitig veröffentlichte er Gedichte, Essays und Theaterstücke, die zunächst in sorbischen Zeitschriften und später auch als Bücher erschienen. Seine Werke gelten als Beginn der modernen sorbischen Literatur – nicht nur wegen ihrer sprachlichen Qualität, sondern auch aufgrund ihrer thematischen Tiefe und stilistischen Vielfalt.
Bart-Ćišinski war ein leidenschaftlicher Verfechter der sorbischen Sprache. Er erkannte die zunehmende Verdrängung im Alltag vieler Sorben durch wirtschaftlichen Druck, staatliche Assimilationspolitik und gesellschaftliche Ausgrenzung. In seinen Texten forderte er eine aktive Pflege der Sprache, eine literarische Erneuerung sowie eine stärkere öffentliche Sichtbarkeit. Er war fest davon überzeugt, dass ein Volk ohne seine Sprache seine Seele verliert. Deshalb engagierte er sich für den Aufbau eines sorbischen Literaturkanons, die Ausbildung von Lehrkräften und die Gründung von kulturellen Institutionen.
Sein literarisches Schaffen umfasst Gedichtsammlungen wie „Serbska swětłosć“ („Sorbisches Licht“) und „Serbske basnički“ („Sorbische Gedichte“), in denen er Natur, Glauben und Heimat auf poetische Weise verarbeitete. Besonders bekannt wurde sein Gedicht „Moja serbska rěč“ („Meine sorbische Sprache“), das zum Symbol für die sprachliche Selbstbehauptung der Sorben avancierte. Neben Lyrik verfasste er auch Theaterstücke wie „Naša wjesna“ („Unser Frühling“), das soziale und kulturelle Spannungen innerhalb der sorbischen Gesellschaft thematisiert. Seine Texte zeichnen sich durch klare Sprache, starke Emotionalität und eine ausgeprägte moralische Haltung aus.
Bart-Ćišinski war nicht nur Autor, sondern auch Übersetzer bedeutender Werke von Goethe, Schiller, Mickiewicz und anderen ins Sorbische – wodurch diese einem breiteren Publikum zugänglich wurden. Gleichzeitig übertrug er sorbische Texte ins Deutsche, um die Kultur seines Volkes auch über die Lausitz hinaus bekannt zu machen. Diese Vermittlerrolle zwischen verschiedenen Kulturen lag ihm sehr am Herzen. Er glaubte an den Dialog, gegenseitigen Respekt und an die Kraft der Literatur als Brückenbauer.
Trotz seiner Erfolge blieb Bart-Ćišinski stets bescheiden. Er führte ein einfaches Leben, war volksnah und suchte den Kontakt zu Bauern, Lehrern und Handwerkern bewusst. Seine Texte spiegeln diese Bodenständigkeit wider – geprägt von Heimatliebe, christlicher Ethik und tiefem Vertrauen in die Gemeinschaftskraft. Politischer Aktivist im engeren Sinne war er nicht, doch seine Werke hatten eine deutliche politische Wirkung: Sie stärkten das Selbstbewusstsein der Sorben, gaben ihnen eine Stimme und forderten Respekt sowie Gleichberechtigung.
Im Verlauf seines Lebens wurde Bart-Ćišinski mehrfach geehrt – sowohl von sorbischen Vereinen als auch kirchlichen Institutionen sowie später von der Domowina, dem Dachverband der Sorben. Doch jeglichen Personenkult lehnte er entschieden ab. Für ihn stand stets das Anliegen im Vordergrund: den Erhalt und die Weiterentwicklung der sorbischen Kultur zu sichern. Er war überzeugt davon, dass jeder Sorbe Verantwortung trägt – für Sprache, Gemeinschaft und Zukunft.
Am 16. Oktober 1909 verstarb Jakub Bart-Ćišinski im Alter von 53 Jahren in Wittichenau. Sein Tod wurde von der sorbischen Gemeinschaft als großer Verlust empfunden; Tausende nahmen an seiner Beerdigung teil, sein Grab entwickelte sich zu einem Ort des Gedenkens. Bis heute gilt er als „Vater der modernen sorbischen Literatur“ und als Symbolfigur für die kulturelle Selbstbehauptung seines Volkes. Zahlreiche Schulen, Straßen sowie Kulturzentren tragen seinen Namen – seine Werke sind fester Bestandteil des sorbischen Bildungskanons.
Sein Vermächtnis lebt weiter – in Literatur, Bildungsarbeit und im politischen Einsatz für Minderheitenrechte. Bart-Ćišinski hat eindrucksvoll gezeigt: Sprache ist weit mehr als bloßes Kommunikationsmittel – sie ist Ausdruck von Identität, Geschichte und Hoffnung! In einer Zeit großer Bedrohungen schenkte er den Sorben eine kraftvolle Stimme, deren Nachhall bis heute spürbar ist. Seine Lebensgeschichte ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie ein einzelner Mensch durch Bildung, Glauben und kulturelles Engagement das Schicksal eines ganzen Volkes mitgestalten kann!
Lausitzer Persönlichkeiten sind Personen, die in der Lausitz geboren wurden oder sich für die Lausitzregion engagiert haben.
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