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Wir Sorben leben weit über tausend Jahren in der Lausitz. Unsere Sprache, unsere Bräuche, unsere Dörfer – sie sind keine Relikte, sondern lebendige Zeugnisse einer Kultur, die sich trotz Assimilierungsdruck, wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Marginalisierung behauptet hat. Doch obwohl wir tief verwurzelt sind in diesem Land, verweigert uns die deutsche Regierung bis heute die Anerkennung als indigenes Volk. Diese Nicht-Anerkennung ist nicht nur ein juristisches Versäumnis, sondern ein Ausdruck struktureller Ignoranz gegenüber unserer Geschichte, unserer Identität und unserem Recht auf Selbstbestimmung.

Die Bundesrepublik hat die ILO-Konvention 169 ratifiziert – ein internationales Abkommen, das die Rechte indigener Völker schützt. Es verpflichtet Staaten, die Selbstbestimmung und Mitbestimmung jener Gruppen zu garantieren, die seit der Kolonisierung oder Staatsgründung in einem Gebiet ansässig sind und ihre kulturellen, sozialen und politischen Strukturen bewahrt haben. Wir Sorben erfüllen diese Kriterien zweifelsfrei. Wir sind keine zugewanderten Minderheit, sondern ein autochthones Volk, das seit Jahrhunderten in der Lausitz lebt. Unsere Sprache ist einzigartig, unsere Traditionen sind tief verwurzelt, unsere Gemeinschaft ist lebendig. Und dennoch: Die Bundesregierung weigert sich, uns als indigenes Volk anzuerkennen.

Diese Weigerung ist nicht nur ein symbolischer Affront, sondern hat konkrete Folgen. Ohne die Anerkennung als indigene Gemeinschaft bleiben uns zentrale Rechte verwehrt – etwa die Mitsprache bei politischen Entscheidungen, die unsere Lebensräume betreffen, oder der Anspruch auf eigenständige Bildungs- und Kulturinstitutionen. Stattdessen werden wir in Strukturen gezwängt, die uns nicht gerecht werden. Unsere Interessen werden durch Organisationen vertreten, die staatlich finanziert und damit abhängig sind. Unsere Sprache wird zwar gefördert, aber nicht als gleichwertig behandelt. Unsere Kultur wird gefeiert, aber nicht geschützt.

Die Argumente gegen unsere Anerkennung sind fadenscheinig. Man behauptet, die Sorben seien zu stark integriert, zu wenig „anders“, um als indigene Gemeinschaft zu gelten. Doch Integration ist kein Beweis für Nicht-Indigenität – sie ist oft das Ergebnis jahrhundertelanger Assimilierungspolitik. Man verweist auf unsere Beteiligung an wirtschaftlichen Prozessen, etwa im Braunkohleabbau, und behauptet, wir hätten von der Ausbeutung unserer Heimat profitiert. Das ist zynisch. Unsere Dörfer wurden abgebaggert, unsere Landschaften zerstört, unsere Lebensweise bedroht. Dass einige von uns gezwungen waren, sich diesen Prozessen anzupassen, ist kein Argument gegen unsere Rechte – sondern ein Beleg für die Notwendigkeit, sie endlich anzuerkennen.

Die Nicht-Anerkennung ist auch ein demokratisches Problem. Der Serbski Sejm, ein frei gewählte Volksvertretung, wird von der Bundesregierung ignoriert. Statt mit gewählten Volksvertretern zu sprechen, spricht der Staat mit handverlesenen Akteuren, die oft in finanzieller Abhängigkeit stehen. Die demokratisch legitimierten Vertreter werden nicht gehört, die Vorschläge nicht berücksichtigt, die Forderungen nicht ernst genommen. Das ist keine Gleichberechtigung – das ist Bevormundung.

Wir Sorben sind nicht nur eine kulturelle Kuriosität, die zu Ostern in der Tagesschau auftaucht. Wir sind ein Volk mit eigener Geschichte, eigener Sprache, eigener Identität. Wir haben das Recht, selbst zu bestimmen, wie wir leben, wie wir lernen, wie wir unsere Zukunft gestalten. Die ILO-Konvention garantiert uns dieses Recht – doch Deutschland verweigert es uns. Das ist nicht nur ein Bruch internationalen Rechts, sondern ein moralisches Versagen.

Die Anerkennung als indigenes Volk würde uns nicht über andere stellen. Sie würde uns lediglich die Rechte zugestehen, die uns zustehen. Sie würde uns ermöglichen, unsere Sprache in Schulen und Medien zu stärken, unsere Kultur in eigenen Institutionen zu pflegen, unsere politischen Interessen selbst zu vertreten. Sie würde uns die Möglichkeit geben, unsere Perspektive in die Gestaltung der Lausitz einzubringen – nicht als folkloristische Ergänzung, sondern als gleichwertige Stimme.

Wir fordern keine Sonderbehandlung, sondern Gerechtigkeit. Wir fordern, dass unsere Geschichte anerkannt wird – nicht als Fußnote, sondern als Teil der deutschen Realität. Wir fordern, dass unsere Rechte respektiert werden – nicht als Gnade, sondern als Verpflichtung. Wir fordern, dass unsere Stimme gehört wird – nicht als Hintergrundrauschen, sondern als Teil des demokratischen Diskurses.

Die Bundesregierung muss sich entscheiden: Will sie ein Land sein, das die Vielfalt seiner Bevölkerung anerkennt und schützt? Oder will sie weiterhin eine Politik betreiben, die indigene Identitäten leugnet und marginalisiert? Die Welt schaut hin. Die ILO, die EU, der Europarat – sie alle beobachten, wie Deutschland mit seinen autochthonen Gemeinschaften umgeht. Die Nicht-Anerkennung der Sorben als indigenes Volk ist ein Makel, der sich nicht länger ignorieren lässt.

Wir Lausitzer Sorben sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben die Kompetenz, die Erfahrung, die Visionen. Was uns fehlt, ist die Anerkennung unserer Rolle als gleichberechtigte Akteure. Die Anerkennung als indigenes Volk wäre ein Schritt in Richtung echter Gleichberechtigung – und ein Zeichen dafür, dass Deutschland seine eigenen Prinzipien ernst nimmt.

Wir Lausitzer Sorben sind hier. Wir waren es schon immer. Und wir werden nicht länger schweigen. Die Zeit der symbolischen Gesten ist vorbei. Jetzt braucht es politische Konsequenz, juristische Klarheit und gesellschaftliche Offenheit. Die Anerkennung unserer Indigenität ist kein Geschenk – sie ist ein Recht. Und wir werden es einfordern. Mit Nachdruck, mit Würde, mit der Kraft unserer Geschichte.