“Niemand will Streiks verbieten – in keinem Bereich.” – Der Satz hört sich beruhigend an. – Oder etwa nicht? Wieso ist diese Aussage überhaupt nötig? Immerhin ist das Streikrecht quasi per Grundgesetz geschützt. Tatsächlich wird im stillen schon längst an deren Aufweichung gearbeitet.
“Kritische Infrastrukturen brauchen einen besseren Schutz vor willkürlichen Arbeitsaussetzungen”
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„Niemand will Streiks verbieten – in keinem Bereich. Aber bei Energieversorgung, Rettungsdiensten, Bahn oder Flughäfen muss Streik das letzte Mittel sein“, sagt MIT-Chefin … nun. … Bei kritischer Infrastruktur, wo ohne Vorwarnung Abertausende Unbeteiligte betroffen sind, muss für mehr Fairness gesorgt werden. Kritische Infrastrukturen brauchen einen besseren Schutz vor willkürlichen Arbeitsaussetzungen.“
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Ein Streikverbot durch die Hintertür?
Die vielen aufgezählten Bereiche sollten schon mal aufhorchen lassen und bei genauer Betrachtung kann vieles zur “kritischer Infrastruktur” dazu gezählt werden. Auch ein Rettungsdienst braucht eine Tankstelle und er muss seine Fahrzeuge reparieren lassen. Wo genau soll also die “kritischer Infrastruktur” anfangen und aufhören? Genau an dieser Stelle bringt auch der Gesetzgeber eine Einschränkung des Streikrechts ins Spiel.
“Ähnlich gelagerte Fälle können im Bereich der Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und Fernwärme sowie der Müllentsorgung auftreten”
>>Deutscher Bundestag (PDF-Datei) <<
“In unserer verflochtenen und wechselseitig abhängigen Gesellschaft beschränken sich die Auswirkungen von Streiks in nahezu allen Branchen allerdings nicht allein auf die Tarifpartner. In bestimmten Bereichen beeinträchtigen sie Dritte bzw. die Allgemeinheit mitunter in erheblichem Maße. Ärzte- und Fluglotsenstreiks in der Vergangenheit sind prominente Beispiele. Ähnlich gelagerte Fälle können im Bereich der Versorgung mit Strom, Gas, Wasser und Fernwärme sowie der Müllentsorgung auftreten. Es geht letztlich insbesondere um Streiks, die die Daseinsvorsorge gefährden.”
“Es geht letztlich insbesondere um Streiks, die die Daseinsvorsorge gefährden”
So wirklich wollen die vorgetragenen Argumente nicht überzeugen. Doch darum geht es auch nicht. Sobald eine die ersten Einschränkungen des Streikrechts greifen, dann kann auf dieser geschaffenen Basis viel restriktivere Gesetze implementiert werden. Solche Dinge haben sich in der Geschichte schon einmal abgespielt.
“DDR-Geschichte” – “Absolutes Streikverbot, obwohl die Verfassung von 1949 noch ein Streikrecht garantiert hatte”
>>Rechtsgeschichte von Susanne Hähnchen (Buch) <<
“Die Gewerkschaften wurden im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) zusammengeführt, an Staat und Partei gebunden und es herrschte ein absolutes Streikverbot, obwohl die Verfassung von 1949 noch ein Streikrecht garantiert hatte. Eine der schwersten Erschütterungen der Herrschaft in der DDR-Geschichte hatte einen (auch) arbeitsrechtlichen Hintergrund. 1953 wurden in einem allgemeinen Klima der Repression und bei schlechter Versorgung der Bevölkerung auch noch die Arbeitsnormen weiter erhöht, d. h. eine gesteigerte Produktivität verlangt. Es kam – trotz Streikverbot und fehlender Meinungsfreiheit – zum Aufstand am 17. Juni. Dieser wurde zwar blutig niedergeschlagen.”
“DDR-Geschichte” – “Allgemeinen Klima der Repression und bei schlechter Versorgung der Bevölkerung”
Aus DDR-Perspektive wurde der “17. Juni” nicht als Streik, sondern als eher als Umsturzversuch wahrgenommen. Diese Sichtweise muss niemand teilen, aber so oder vergleichbar wurden schon vielfach in der Geschichte Streiks kriminalisiert und letztlich verboten. Schon im 19. Jahrhundert wurden entsprechende “Sozialistengesetze” erschaffen, um jeglichen sozialen Protest zu unterdrücken. Auch damals wurde der Begriff “Umsturz” inflationär gebraucht.
“Kaiser forderte ein neues Sondergesetz gegen die »Umsturzpartei« und griff auf die alten Staatsstreichpläne Bismarcks zurück”
>>Kaiserdämmerung von Rainer F. Schmidt (Buch) <<
“Als 1893 die Sozialdemokratie bei den Reichstagswahlen ihre Mandate um ein Viertel steigern konnte (von 35 auf 44), reiften bei Wilhelm II. die Pläne für neue Kampfmaßnahmen. Der Anlass war die Ermordung des französischen Präsidenten Carnot durch einen Anarchisten im Juni 1894. Der Kaiser forderte ein neues Sondergesetz gegen die »Umsturzpartei« und griff auf die alten Staatsstreichpläne Bismarcks zurück, um ein Klassenwahlrecht an Stelle des allgemeinen, gleichen Wahlrechts im Reich zu setzen.”
“Klassenwahlrecht an Stelle des allgemeinen, gleichen Wahlrechts im Reich zu setzen”
In dieser Epoche fand beispielsweise der Hamburger Hafenarbeiterstreik 1896/97 statt, welcher mehrere Wochen andauert. Gegen Sozialproteste kann man schlecht argumentieren, deshalb ist der Anschlag eines Anarchisten gerade recht gekommen. Jener Anarchisten wurde einfach der damaligen Sozialdemokratie hinzugerechnet und schon waren die “gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” erneut geschaffen worden. Ein vergleichbares Framing – auch wenn es das Wort damals nicht gab -musste schon bei der Einführung der Sozialistengesetze unter Bismarck herhalten. – Dieses Grundmuster taucht auch heute noch bei anderen missliebigen Gruppen auf.
“Umsturzpartei” – “Vorwand für den Ruf nach durchgreifenden Maßnahmen”
>>Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte von Thomas Vormbaum (Buch) <<
“Im Oktober 1878 erlassen und im Mai 1880, im April 1886 und im Februar 1888 verlängert, lief das Sozialistengesetz 1890 aus; eine erneute Verlängerung scheiterte letztlich an den Konservativen, die eine von den Liberalen vorgeschlagene Abmilderung nicht mittragen wollten und auf ein ganz neues, schärferes Gesetz hofften. Andererseits wollte die Reichsleitung nach Bismarcks Rücktritt zunächst versuchen, durch neue sozialpolitische Initiativen den sozialdemokratischen Einfluss auf die Arbeiterschaft zurückzudrängen. Nachdem dieser Weg sich als erfolglos erwiesen hatte, setzten in der Mitte der 90er Jahre erneut Versuche zur Unterdrückung der Sozialdemokratie ein. Eine Reihe anarchistischer Anschläge in ganz Europa lieferte den Vorwand für den Ruf nach durchgreifenden Maßnahmen gegen die „Umsturzpartei“. Ende 1894 wurde im Reichstag die sog. Umsturzvorlage eingebracht. Um dem Vorwurf einer erneuten politischen Sondergesetzgebung zu entgehen, zu der die Liberalen ihre Zustimmung verweigert hätten, wurde diesmal eine Änderung des Strafgesetzbuches ins Auge gefasst. Zu den zahlreichen Änderungsvorschlägen gehörte u.a. eine Änderung des § 130 StGB, wonach denjenigen Strafe treffen sollte, „welcher in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise die Religion, die Monarchie, die Ehe, die Familie oder das Eigentum durch beschimpfende Äußerungen öffentlich angreift“.
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“Änderung des Strafgesetzbuches ins Auge gefasst” – “Ende 1894 wurde im Reichstag die sog. Umsturzvorlage eingebracht”
Der § 130 StGB ist bis in die Gegenwart – mit anderen Wortlaut – ein sogenannter Gummiparagraph geblieben und er soll vornehmlich – auch wenn darin etwas anderes steht – die Regierungspolitik schützen. Sollte das Streikrecht weiter eingeschränkt werden, dann dürften Polizei, Staatsanwälte und Gerichte genau von diesen Paragraphen regen Gebrauch machen.
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