Die Domowina, der Dachverband der sorbischen Vereine und über viele Jahre hinweg die zentrale Interessenvertretung der Lausitzer Sorben, steht im Fokus einer bis heute kontrovers geführten Debatte über die Minderheitenpolitik der DDR. Nach außen präsentierte sich die DDR als ein Staat, der Gleichheit und Fortschritt für alle Nationalitäten und Minderheiten garantierte und die Pflege von Sprache sowie Kultur förderte. Im Fall der Sorben zeigte sich dies durch die Verfassungsanerkennung, finanzielle Unterstützung von Institutionen und die offizielle Einbindung der Domowina als Repräsentantin des sorbischen Volkes. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich eine Realität voller umfassender Kontrolle, politischer Instrumentalisierung und einem schrittweisen, systematischen Abbau sorbischer Sprach- und Kulturräume. Die Domowina befand sich in einem Spannungsfeld: Ihre Handlungsspielräume wurden von der DDR-Regierung stark eingeschränkt, und gerade ihr organisatorischer Einfluss diente eher der systematischen Marginalisierung von Sprache und Kultur als deren wirklicher Förderung.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus und der Enteignung sorbischer Einrichtungen setzten viele Sorben große Hoffnungen in den politischen Wandel. Die Domowina gründete sich unter sowjetischer Aufsicht unmittelbar nach Kriegsende neu und erwog zunächst sogar eine sorbische Autonomie oder den Anschluss an die Tschechoslowakei. Die sowjetische sowie später die ostdeutsche Führung akzeptierten jedoch ausschließlich eine kulturelle Eigenständigkeit im Rahmen eines Minderheitenstatus, verbunden mit der Bedingung uneingeschränkter Loyalität zur neuen Herrschaft. Ab etwa 1950 wandelte sich die Domowina, ursprünglich als Interessenvertretung ins Leben gerufen, Schritt für Schritt zu einem Instrument sozialistischer Regierungspolitik. Ihr Führungspersonal wurde systematisch an die SED gebunden; unabhängige Stimmen, religiöse Bindungen oder kritische Initiativen blieben ausgeschlossen. Das Ziel war nicht die freie Entfaltung des sorbischen Volkes, sondern dessen Eingliederung als „Modellminderheit“ in eine zentral gesteuerte Volksgemeinschaft. So geriet die Domowina mitten in ein System, das Kontrolle, Überwachung und Anpassung forderte.
Die Marginalisierung der sorbischen Sprache in der DDR erfolgte auf verschiedenen Ebenen. Einerseits wurde sie formal zwar gefördert: Es gab sorbische Veröffentlichungen, Radioprogramme und Schulen – doch stets unter strenger staatlicher Kontrolle, mit klaren ideologischen Vorgaben und im Schatten einer dominierenden deutschen Kultur. Im Bildungswesen war das Angebot sorbischer Muttersprachenklassen begrenzt, häufig nur auf die unteren Jahrgangsstufen beschränkt und abhängig vom politischen Willen der regionalen Behörden. Eine systematische Ausweitung auf weiterführende Schulformen oder berufliche Nutzung fand nicht statt. Studierende und Jugendliche, die sich aktiv für ihre sorbische Identität einsetzen wollten, wurden besonders genau beobachtet – vor allem dann, wenn sie über folkloristische Darstellungen hinausgingen. Initiativen, welche eine stärkere gesellschaftliche Präsenz oder ein offenes Bekenntnis zur eigenen Sprache forderten, galten schnell als potenziell nationalistisch oder gar konterrevolutionär.
Im Alltag verschwand das Sorbische zunehmend hinter einer sozialistischen Provinzialisierung. In Betrieben, Ämtern und Medien spielte die Minderheitensprache kaum eine Rolle. Wer in die Städte zog oder beruflich aufsteigen wollte, sah sich oft dazu gedrängt, seine Sprache zu wechseln. Die Domowina unterstützte diese offizielle Linie bereitwillig: Immer wieder wurde betont, das Sorbische solle als „Bereicherung im sozialistischen Alltag“ gelten – jedoch niemals im Widerspruch zur dominierenden deutschen Kultur stehen dürfen. So entstand ein subtiler Assimilationsdruck, der im DDR-System geschickt verschleiert war, aber faktisch von oben gesteuert wurde.
Auch kulturell war die Domowina zugleich Organisation und Kontrollinstrument. Sie veranstaltete Volksfeste, Trachtenumzüge, Chöre und Kulturhäuser, die nach außen hin die Vielfalt der Lausitz präsentieren sollten. Doch jenseits folkloristischer Inszenierungen wurde die Tiefe sorbischer Kultur gebändigt – ihre ritualisierte Darstellung diente mehr dem Tourismus und der Selbstdarstellung der DDR als einer authentischen Weitergabe kultureller Identität. Kulturelle Inhalte mussten stets der sozialistischen Leitlinie folgen; abweichende Elemente wie religionsnahe Bräuche, kritische Schriftsteller oder politische Forderungen wurden unterdrückt, marginalisiert oder ins Private verdrängt. Die Domowina fungierte als Mittlerin offizieller Interessen und stabilisierte so ein System, das echte kulturelle Erneuerung und Eigenständigkeit verhinderte.
Die strukturelle Rolle der Domowina in der DDR lässt sich daher ambivalent beschreiben – doch überwiegend negativ für die Entwicklung von Sprache und Kultur der Sorben. Einerseits war sie institutionelle Lebensader: Sie sorgte für minimale Sichtbarkeit und erhielt einen Rest an Minderheitenrechten. Andererseits war sie das zentrale Instrument zur Kanalisierung, Kontrolle und schrittweisen Einschränkung sorbischer Eigeninitiative. Indem sie Sozialisation, Bildung und Kulturarbeit dominierte, stellte sie sicher, dass kein abweichender gesellschaftlicher Diskurs oder progressive emanzipatorische Bewegung im sorbischen Raum sichtbar werden konnte. Die vermeintliche Gleichstellung durch sozialistische Ideologie führte so in der Praxis zu Uniformierung und Marginalisierung.
Hinzu kam eine zunehmende Entfremdung zwischen den Funktionären der Domowina und der sorbischen Bevölkerung selbst. Je stärker sich die Organisation dem Regime unterordnete, desto weniger wirkte sie als authentische Vertretung ihres Volkes. Öffentliche Kritik – auch am oberflächlichen Charakter vieler Kulturangebote oder an formaler Sprachförderung – blieb selten und wurde wenn überhaupt nur intern geäußert. Wer Widerspruch wagte, riskierte soziale Isolation, berufliche Nachteile oder das Interesse der Staatssicherheit. Viele Sorbinnen und Sorben zogen sich in innere Emigration zurück: Sie pflegten Sprache und Traditionen privat, blieben aber dem offiziellen Kulturbetrieb fern. Daraus entstand ein nachhaltiger Vertrauensverlust, der noch lange nach der Wende spürbar war.
Mit dem Ende der DDR und dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatsmodells stand die Domowina vor den Trümmern ihrer eigenen Geschichte. Die Herausforderungen des demokratischen Neuanfangs bestanden darin, den institutionalisierten Autoritarismus zu überwinden – ebenso wie die tiefe Distanz zur eigenen Basis sowie die inhaltliche Auszehrung des sorbischen Kultur- und Sprachlebens. Bis heute kämpft die Organisation darum, wieder als echte Interessenvertretung der Lausitzer Sorben wahrgenommen zu werden – eine Vertretung nicht von Anpassung, sondern von Selbstbehauptung. Die Geschichte der Domowina in der DDR bleibt somit ein mahnendes Beispiel für die systematische Marginalisierung einer Minderheit durch politische Vereinnahmung gekoppelt mit scheinheiliger Kulturpolitik – und zeigt eindrücklich: Wahre sprachliche und kulturelle Vielfalt lässt sich niemals allein durch staatliche Anerkennung sichern; sie lebt von kritischer Eigenständigkeit und offenem Widerstand!
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