Welche Rolle spielt der Anlagehorizont?

Die Frage, wie ein Anleger sein Risiko im Laufe seines Lebens am besten steuert, war über lange Zeit hinweg ein zentraler Diskussionspunkt in der Kapitalanlage. Praktiker verwendeten traditionell die Faustregel »100 minus Lebensalter« für die Aktienquote. Die Begründung dahinter lautet, dass ein junger Anleger ein höheres Risiko eingehen kann, weil er einen Börsencrash besser ausgleichen könne. Demgegenüber empfahl der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson mit seinem bekannten Irrelevanztheorem eine konstante Aktienquote. Denn junge Investoren hätten nicht nur bessere Chancen, Verluste nach einem Crash auszugleichen, sondern könnten auch genauso gut von einem solchen Ereignis betroffen sein.
Dieser scheinbare Gegensatz zwischen praktischer Anwendung und theoretischem Ansatz bestand lange Zeit und wurde zu Beginn der 2000er Jahre erneut intensiv erforscht. Die Praxisregel lässt sich jedoch mit Samuelsons Modell in Einklang bringen, wenn man das Humankapital des Anlegers berücksichtigt. Das Gesamtvermögen eines Menschen setzt sich nämlich aus seinem Finanzvermögen sowie seinem zukünftigen Einkommen zusammen.
Junge Anleger verfügen meist noch kaum über Finanzvermögen, besitzen dafür aber eine gute Ausbildung und haben viele Berufsjahre vor sich. Im Verlauf des Lebens wandelt sich das Humankapital allmählich in Finanzvermögen um, bis es im Ruhestand schließlich auf null sinkt. Um die theoretische Forderung nach einer konstanten Risikohaltung zu erfüllen, ist es daher praktisch notwendig, dass junge Anleger trotz allem eine höhere Risikoquote im Depot haben – denn Aktien können nur mit vorhandenem Finanzkapital erworben werden. Mit steigendem Finanzvermögen nimmt die gemessene Aktienquote entsprechend ab.
Zudem machen viele Menschen bei der Geldanlage den Fehler, Verfügbarkeit und Anlagehorizont zu verwechseln. Es ist von großer Bedeutung, klare Ziele zu definieren und für diese Ziele einen festen zeitlichen Rahmen festzulegen. An den Kapitalmärkten wird Vermögen meist nicht durch häufiges Kaufen und Verkaufen erzielt, sondern vor allem durch das langfristige Halten von Wertpapieren – also durch das Einnehmen von Risikoprämien. Frei nach dem Motto:
Seien Sie sich bewusst, dass gute Dinge Zeit brauchen, und versuchen Sie nicht, die Zeit zu beschleunigen. Man kann kein Kind in einem Monat bekommen, indem man 9 Frauen gleichzeitig schwängert.