Zurück zu Leibeigenschaft: Wie Fronarbeit wieder salonfähig werden soll

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Das dunkle geschichtliche Kapitel der Leibeigenschaft und der damit verbundene Frondienst schienen historisch abgeschlossen zu sein. Doch einige Politiker fordern eine Wiederbelebung dessen und – zum Teil – feiern die schon untergegangenen Hand- und Spanndienste eine neue Auferstehung.

Die neue Auferstehung der Hand- und Spanndienste

>>Rheinische Post<<

„Nach Überzeugung des FDP-Politikers Karlheinz Busen sollten auch Arbeitslosen im Gegenzug zu staatlichen Leistungen mehr rangenommen werden. … „Bis zum 35. Lebensjahr würde bei mir kein gesunder Bürger einen Cent Arbeitslosengeld II ohne Gegenleistung bekommen. Außer bei Krankheit könnte jeder auch Spargel stechen“, sagte Busen unserer Redaktion. „Die Menschen müssen einfach mehr rangenommen werden.“ … „Der Arbeiter, der 40 Stunden in der Woche schrubbt, ist frustriert, wenn Hartz-IV-Empfänger mit Mietzuschuss und Freibeträgen für andere Leistungen ähnlich viel Geld haben, ohne einen Finger zu rühren.“ … „Ich sehe mit Sorge, dass die Gesellschaft auseinanderfällt. Der Zusammenhalt bröckelt. 80 Prozent der Bevölkerung leben gut. Und trotzdem sind gefühlt fast alle unzufrieden.“ Politiker zerredeten alles, ohne schnell zu Entscheidungen zu kommen.“

Einführung der Leibeigenschaft? Wenn frustrierten Politkern nichts mehr einfällt

Was der Politiker hier anspricht, sind klassische Formen des Hand- und Spanndienste aus der dunklen Vergangenheit: Die schon heute zur neuen Blüte gelangen – und das nicht nur für unter 35jährige.

>>Mitteldeutsche Zeitung<<

„Schäden nach Unwetter Saalekreis verpflichtet Arbeitslose zu Aufräumarbeiten … Über einen Träger werden die Hartz-IV-Empfänger in sogenannte Arbeitsgelegenheiten untergebracht. Die sind auch als Ein-Euro-Jobs bekannt. Ihre Aufgaben reichen dort von Aufräumarbeiten auf kommunalen Flächen bis zur Beseitigung von Müll und Unrat.“

Hand- und Spanndienste neu erklärt: „Beseitigung von Müll und Unrat“

Zu dem ganzen Ungemach gibt es sogar eine offizielle Definition (verkürzt): „Arbeitsgelegenheiten sind eine Hilfestellung auf dem Rückweg ins Berufsleben für Empfänger und Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II.“ …“eine Hilfestellung auf dem Rückweg ins Berufsleben“ – man höre und staune. Frank Bannert von der CDU findet dazu eine hemdsärmeligere Beschreibung: „Durch das unbürokratische Handeln des Eigenbetriebs für Arbeit können unsere Gemeinden tatkräftig unterstützt werden.“ Keine Silbe mehr von irgendeiner Rückkehr ins Berufsleben. Dafür klingt das alles nur allzu vertraut, nach der „guten“ alten Fronarbeit in der Leibeigenschaft.

Arbeitsgelegenheiten, Leibeigenschaft und Sklaverei – Begründung: Die tatkräftige Unterstützung der „guten“ Sache

>>Als Deutschland noch nicht Deutschland war: Reise in die Goethezeit von Bruno Preisendörfer (Buch) <<

Leibeigenschaft und Fronarbeit Die europäischen Bauern waren de jure keine Sklaven, de facto jedoch unmittelbar von den Menschen abhängig, die über sie, ihre Kinder, ihr Land, ihr Vieh, ihr Ackergerät und ihre Arbeitskraft herrschten.

Das Leibeigenschaft und Sklaverei irgendwas miteinander zu tun haben – wurde seiner Zeit – weit von sich gewiesen. Auch heute noch – sind Historiker emsig bemüht – die Unterschiede mühsam heraus zu arbeiten. Jedoch bei nüchterner Betrachtung: Die Unterscheidungsmerkmale dieser beiden – Formen der Unterdrückung von Menschen – sind in der Praxis kaum relevant.

Formen der Unterdrückung von Menschen: Unterscheidungsmerkmal in der Praxis irrelevant

>>Weltgeschichte der Sklaverei von Egon Flaig (Buch) <<

„Läßt man Sklaven in Pseudo-Familien sich reproduzieren, dann muß man ihnen mehr freie Zeit zugestehen. Praktisch entsteht dann eine Pseudo-Leibeigenschaft. Doch in der Leibeigenschaft ist die Verfügung über den verknechteten Menschen eingeschränkt und die Rate der Ausbeutung scheinbar deutlich niedriger. Dagegen könne – so Meillassoux – die Ausbeutung des Sklaven bis zum Maximum getrieben werden: er muß nicht für seine eigene Reproduktion sorgen, weil sein Nachfolger militärisch, sozial oder juristisch produziert wird; die Akkumulation von Profiten sei in der ‹reinen› Sklaverei viel höher.“

Auch Sklaven waren als Vorabeiter tätig und brachten es zu bescheidenen Wohlstand

Die Ausbeutung von Sklaven soll – im Vergleich zu Leibeigenschaft – also höher gewesen sein. Allerdings gab es auch Sklaven, die im Haushalt arbeiteten und es ihnen somit verhältnismäßig gut ging. Wiederrum andere Sklaven beaufsichtigen – quasi als Vorarbeiter – andere versklavte Menschen und brachten es sogar zu bescheidenen Wohlstand: Die Grenze zur Leibeigenschaft verschwimmt also im Nirgendwo.

>>Als Deutschland noch nicht Deutschland war: Reise in die Goethezeit von Bruno Preisendörfer (Buch) <<

„Die Leibeigenschaft, die Hörigkeit, die Gutsuntertänigkeit, die Erbuntertänigkeit und die ›Schollengebundenheit‹ prägten sich in den deutschen Gebieten unterschiedlich aus, von den vielfältigen und in ihrer Vielfalt nur schwer überblickbaren Formen der Grundherrschaft in Nord-, West- und Süddeutschland über die landesherrlichen Domänen in den Fürstentümern bis zu den Gutsherrschaften östlich der Elbe. Die Rechte, Gewohnheiten und Gewohnheitsrechte waren so bunt wie die territorialen Verhältnisse.“

Abschaffung der Sklaverei war in Wahrheit nur Werbetrick

Sklave oder Leibeigener: In der Praxis war es viel bedeutender, welchen Unterdrücker man hatte. Die vermeintliche „Abschaffung der Sklaverei“ war in Wahrheit mehr ein Werbetrick. Zwar ist selbst heute Sklaverei und Leibeigenschaft – pro formaverboten, aber die juristische Durchsetzung hiervon: An dieser Stelle sind die meisten Juristen auf beiden Augen blind. Stattdessen tauchen rhetorische Floskeln zur behördlichen Erklärung auf: Wie die vermeintliche „Rückkehr ins Berufsleben“ . Und derweilen sorgen Politiker unterschiedlicher Couleur schon mal dafür, wie das alles zu rechtfertigen sei: Von „schnellen Entscheidungen“ ist da die Reden oder wahlweise „unbürokratische Handeln“ im Sinne der „gutenSache.