Warum ein Etuikleid nur selten für sich allein steht?

Wenn es um Kleider geht, ist es fast unmöglich, sich kurz zu fassen. Die Vielfalt an Kleidern ist schier grenzenlos, ebenso wie die zahllosen Möglichkeiten, mit diesem Kleidungsstück zu experimentieren. Als Designer haben wir das unglaubliche Privileg, ständig neue Silhouetten und Formen zu kreieren.
Ein Kleid definiert sich im Grunde als eine stoffliche Verbindung von Rock und Oberteil oder als ein aus zwei Teilen bestehendes Textilstück. Doch Kleider sind weit mehr als das! Sie sind tief mit uns Menschen verwoben und gehörten von Anfang an zur textilen Sozialisation – getragen von Männern und Frauen gleichermaßen. Noch heute existieren Kulturen, in denen Männer lange Kleider mit Ärmeln tragen. Durch alle Epochen unserer Zivilisation hinweg waren Kleider nicht nur praktischer Schutz, sondern auch ein deutliches Zeichen von gesellschaftlichem Rang und Status.
Um die Geschichte des Kleides umfassend zu erzählen, bräuchte es eine lange Liste von Fakten. Deshalb überspringe ich einiges und beginne mein Erzählen im Jahr 1820 – einem Wendepunkt in der Welt der Kleider, die uns bis heute begleiten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterschieden sich Putz- und Tageskleider vor allem für das einfache Volk. Doch ein neuer Zeitgeist kündigte eine tiefgreifende Veränderung in Stil und Mode an. Flanieren und Spaziergänge im Park wurden zum gesellschaftlichen Spektakel, das auf neue Kleider verlangte. Promenadenkleider, Stadtkleider, Reisekleider, Ballkleider, Teekleider und Morgenkleider entstanden – die Geburtsstunde des Negligés war eingeläutet. Das Hauskleid avancierte zum Symbol für eleganten Lifestyle und Weiblichkeit. Ab 1885 setzte sich dann auch die Sportmode durch: Tenniskleider wurden getragen, Radkleider fürs Fahrradfahren entworfen. Das Reitkleid der Amazonen mit hosenähnlichem Unterbau war ein Meilenstein in der Frauenmode. Diese Schnittmuster waren Vorläufer unserer heutigen Kleider und veränderten das Frauenbild nachhaltig. Die heutigen Designs sind so vielfältig wie ihre Trägerinnen – doch einige möchte ich genauer vorstellen.
Etuikleid
Das Etuikleid hat sich einen festen Platz im Kleiderschrank nahezu jeder Frau erobert. Mit seinem schlichten Schnitt und klaren Design ist es wahnsinnig vielseitig – ob im Büro oder beim Abendessen. Es musste jedoch erst seinen 40. Geburtstag feiern, bevor es endgültig zum Modeklassiker wurde. In den 1960er-Jahren gewann das Modell mit enger Passform und zurückhaltendem Stil enorm an Popularität. Ein großer Anteil daran gebührt der damaligen First Lady Jackie Kennedy, die in ihrer Freizeit gerne die Entwürfe ihrer alten Schulfreundin Lilly Pulitzer trug. Als internationale Medien Fotos von Jackie Kennedy in einem dieser Etuikleider zeigten, war ein neues It-Piece geboren – jede Frau wollte plötzlich genau dieses Kleid besitzen.
Lilly Pulitzer schrieb später: »Jackie hat eines meiner Kleider getragen, das aus Stoff für Küchenvorhänge gemacht war, und die Leute waren verrückt danach. Alle liebten sie und ich rutschte so ins Modegeschäft.« Der schlichte Schnitt und die züchtige Länge (knapp über dem Knie) passten perfekt zu den offiziellen wie privaten Auftritten der legendären First Lady.
Der elegante Schnitt ist zeitlos; der zurückhaltende Ausschnitt und die kurzen Ärmel zeigen nie zu viel Haut. Dazu passen ideal ein Cardigan und Kitten Heels – so wurde das Etuikleid zur »Uniform« der US-amerikanischen First Ladies. Nancy Reagan, Laura Bush und Michelle Obama trugen diesen Look mit Stolz bis heute.
Das Shiftkleid
… wird oft mit dem Etuikleid verwechselt, doch es ist ein stiller Begleiter mit deutlich weiterem Schnitt an Taille und Hüfte. Häufig besitzt es einen waagerechten Ausschnitt, aber niemals horizontale Teilungsnähte. Dieses meist ärmellose Kleid eignet sich hervorragend für Frauen, die an Bauch oder Hüfte etwas kaschieren möchten. Es harmoniert bestens mit geraden kurzen Mänteln und Stiefeln – ein absolutes Must-have für jeden Kleiderschrank! Leider erreicht es nicht dieselbe Popularität wie das Etuikleid, ist aber ein treuer Helfer bei der Figurkorrektur.
Das Sheatkleid ist ein Schlauchkleid
Das Sheatkleid, was sowohl begeisterte Anhänger als auch Kritiker hat. Wer einmal von einem Schlauchkleid überzeugt ist, möchte es nur ungern missen. Es gibt Varianten ohne Nähte – rund gestrickt –, was das Anziehen besonders unkompliziert macht, aber auch Modelle mit einer oder zwei Nähten sind verbreitet. Aus festem Jersey gefertigt wirken diese Kleider schlanker und sind äußerst praktisch: Sie lassen sich als langer Rock, kurzes Kleid oder Minikleid tragen. Kombiniert mit einem guten Schuh sowie Top, Bluse oder Blazer entsteht im Handumdrehen ein stilsicherer Look. Sheatkleider harmonieren wunderbar mit weiten Pullovern und sehen fantastisch aus! Einziger Hinweis: Man sollte mit seiner Figur zufrieden sein, wenn man dieses Kleid solo trägt. Damen mit etwas Bauch oder Po können mit geschickten Kombinationen kleine Problemzonen geschickt kaschieren. Sehr schlanke Frauen sollten Sheatkleider meiden – sie lassen sie noch dünner erscheinen. Ausnahmen bilden Modelle mit auffälligen Mustern oder Animalprints; ob ein Raubtier-Motiv allerdings die beste Wahl ist, bleibt jedem selbst überlassen.
Wie trage ich welches Kleid – und wer sollte welches wählen?
Die wichtigsten Grundformen sind: Trapezkleid (A-Linie), Hemdkleid (H-Form), Dreieckskleid (V-Form) sowie Ballonkleid (O-Form). Die Schnitte können glockig oder gerade sein; sie verfügen über Träger oder Neckholder oder enden oberhalb der Brust in Bustiers oder Gummizügen. Mini-, Midi- und Maxilängen sind ebenso vertreten wie alle Zwischenlängen – abhängig von Proportionen und Körpergröße der Trägerin. Auch Hautfarbe und Haarlänge spielen bei manchen Modellen eine wichtige Rolle.
Etuikleider
Etuikleider sind für nahezu alle Frauen geeignet – außer für jene, die ihre Beine nicht zeigen möchten; dafür gibt es ja lange Röcke oder Hosen! Diese Kleider passen perfekt zu spitzen Pumps, kleinen Ballerinas oder eleganten Ankle-Booties. Schmuck sollte dezent gewählt werden; Perlen bleiben der Klassiker schlechthin. Seidenstrümpfe sind ein Muss – sie zaubern ebenmäßige Beine! Die Tasche dazu? Immer klein und fein!
Shiftkleider
Shiftkleider sind ideal für Frauen mit etwas mehr Bauch oder Poform. Alles gilt hier ähnlich wie beim Etuikleid – nur dass großer Schmuck wunderbar funktioniert! Stiefel oder wollige Strümpfe verleihen einen modernen, lässigen Touch.
Sheatkleider
Sheatkleider sind perfekt für alle Ladies, die es eng anliegend und sexy mögen – aber Vorsicht: Niemand möchte wie eine gepresste Wurst aussehen! Wenn mein Begriff »Rollbraten« irgendwo herkommt, dann sicher vom falschen Schlauchkleid an der falschen Frau. Kombiniert man das Kleid mit einer langen Bluse, Jacke oder Mantel in dunklen Farben, kann es auch bei kurvigen Damen toll wirken.
Minikleider
Mini bedeutet klein – wer nicht nur groß gewachsen ist, sondern auch kräftiger gebaut ist, sollte Mini besser meiden! Schlanke junge Frauen können Mini jederzeit tragen; je älter eine Frau wird, desto länger darf ihr Rock gern sein. Mini an einer reiferen Dame wirkt oft ungewohnt …
Ballonkleider
Etwas aus der Mode gekommen waren sie in den 80er-Jahren ein echter Hit! Diese Form muss man lieben – ich tue es nicht wirklich –, denn meiner Meinung nach stehen Ballonkleider vor allem großen schlanken Frauen am besten. Schlichte Stoffe wirken am schönsten; dezenter Schmuck ergänzt den Look perfekt. Wilde Muster lassen bei diesem Schnitt schnell auftragen und sollten nur von Frauen mit schmaler Taille getragen werden. Ein Miniballonkleid mit Gummizug über dem Busen kombiniert mit Stiefeln an einer kleinen molligen Frau (wie ich erst gestern sah) ist leider ein modischer Albtraum!
Hängekleidchen
Diese praktischen Kleider sind wahre Freigeister unter den Modellen: Sie legen sich locker über die Figur und lassen deren Form einfach Form sein! Es gibt sie in allen Varianten: Rundhalsausschnitt, tiefem Dekolleté, Carmenausschnitt, Stehkragen mit Knopfleiste sowie Bubikrägen; mit Trägern oder Bändern zum Knoten; vom Hippie- bis hin zum Uniformstil; mit kleinen oder großen Taschen – beliebt sind sie so oder so! Einzige Ausnahme: Farbe, Muster oder Ihre Körperform passen einfach nicht dazu! Frauen, die gerne ihre Kurven betonen wollen, sollten besser Abstand nehmen.
Schwangere lieben diese Kleider hingegen umso mehr; auch im Sommer sind sie unverzichtbar! Für mich lösen Hängekleidchen bei erwachsenen Frauen oft Assoziationen zu Sarah Kay oder den Kindern aus Bullerbü aus – als hätten sie den Absprung ins Erwachsenenleben nicht geschafft. Landhausstil-Hängerchen sind definitiv etwas für Fortgeschrittene: Meine Nachbarin trägt sie oft – ich warte nur auf den Tag, an dem Bosse und Lasse zu Besuch kommen und »Hallo Guido« rufen.
Ball-, Cocktail- und Abendkleider sowie das kleine Schwarze verdienen ein eigenes Thema – denn sie haben es wahrlich verdient!