„Alle Macht den Räten?“ – Wie die „ausgelagerte Demokratie“ zur neuen Wirklichkeit wird

Screenshot youtube.com Screenshot youtube.com

Die neue Zeit soll angebrochen sein: Moderne Bürgerräte sollen den schwerfälligen Parlamentarismus ablösen. Wahlkämpfe und auch Wahlen wären überflüssig machen. Bei Licht betrachtet ist die Idee „ Alle Macht den Räten“ zu geben keinesfalls neu.

“Gewinn für die Demokratie sind diese hinter verschlossenen Türen tagenden Gremien aber nicht”

>>Cicero<<

„Alle Macht den Räten? – Deren Teilnehmer diskutieren heikle Themen und geben politische Empfehlungen ab. Ein Gewinn für die Demokratie sind diese hinter verschlossenen Türen tagenden Gremien aber nicht.“

“Teilnehmer diskutieren heikle Themen und geben politische Empfehlungen ab”

Der leicht eingängige Spruch: „Alle Macht den Räten“ rührte aus der revolutionären Umbruchphase am Ende des Ersten Weltkrieges her. Diese Form des „Parlamentarismus“ konnte zwar in Deutschland nicht Fuß fassen, aber in Russland haben sich diese Räte durchgesetzt.

“Die »neue Zeit«, von der im Parlament in Wien die Rede gewesen war”

>>1917 Österreichische Stimmen zur Russischen Revolution von Verena Moritz (Buch) <<

„Die »neue Zeit«, von der im Parlament in Wien die Rede gewesen war, hatte selbstverständlich viel mit dem zu tun, was in Russland passierte. Dort ging es längst nicht nur mehr um die Wandlung von der Monarchie zur Republik oder die vermeintliche Herrschaft der Räte, sondern um eine beispiellose Veränderung der bis dahin bestehenden Gesellschaftsordnung und um eine Politik, die nationalen Begehrlichkeiten Rechnung trug.“

“Beispiellose Veränderung der bis dahin bestehenden Gesellschaftsordnung”

Die Räte wollten also nicht nur eine neue Herrschaftsform einführen, sondern die gesamte Gesellschaft umbauen. Doch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit – oder realer Machtausübung – zeichnet sich schon am Anfang ab.

“Räte allein hatten Macht hinter sich”

>>1917 Österreichische Stimmen zur Russischen Revolution von Verena Moritz (Buch) <<

“Die Räte allein hatten Macht hinter sich: die Soldaten, die den Arbeiter- und Bauerndeputierten unbedingte Gefolgschaft leisteten. Es war also ein klaffender Widerspruch zwischen der formalen Macht der Bourgeoisie und der tatsächlichen Allmacht der Demokratie, der zum offenen Konflikt führen mußte und geführt hat.”

“Klaffender Widerspruch zwischen der formalen Macht der Bourgeoisie und der tatsächlichen Allmacht” 

Vielleicht hat rein formal eine Form der Demokratie bestanden, aber eine wirkliche Mehrheit der Bevölkerung hatten sie kaum hinter sich. Am Ende dieses Prozesses musste sich die Sowjetunion auflösen. Ungeachtet der Geschichte: In moderner Zeit kann sich diese Form der Herrschaft auf ganz neuen Zuspruch verlassen.

“Der Bürgerrat soll Deutschland im Kleinen abbilden”

>>Bürgerrat Klima<<

„Der Bürgerrat soll Deutschland im Kleinen abbilden. Das heißt, dass im Verhältnis zum Beispiel so viele alte und junge Menschen im Bürgerrat vertreten sind, wie in der Gesamtbevölkerung.“

“Im Verhältnis zum Beispiel so viele alte und junge Menschen im Bürgerrat vertreten”

Diese nicht gewählten Vertreter sollen zufällig per Los-verfahren gewählt werden. – Allerdings wird nirgends wirklich ersichtlich: Wie dieses Prinzip an Zufall überhaupt funktionieren soll?

“Personen aus verschiedenen Regionen” – “Ein mehrstufiges Verfahren”

>>Süddeutsche Zeitung<<

„Ein mehrstufiges Verfahren soll sicherstellen, dass Personen aus verschiedenen Regionen, sozialen Schichten und Informationsblasen dabei sind – und vor allem auch jene, die sonst nicht an solchen Debatten teilnehmen. Das Ziel des Auswahlprozesses: ein “Mini-Deutschland” abbilden.“

“Ziel des Auswahlprozesses: ein “Mini-Deutschland” abbilden”

Zumindest ist dieser „Bürgerrat Klima“ bisher kaum durch kontroverse Debatten aufgefallen. Aber auch die Zweifel an anderen Räten sind durchaus berechtigt. Der Verdacht: Einen persönlich nahestehende Günstlinge „per Los“ in Ämter zu helfen: Jener Verdachtsmoment schwingt nun mal immer mit. Zumal die „ausgelagerte Demokratie“ längst in der Realität angekommen ist. Die Rundfunkrätewählen“ sich quasi selbst in gut-dotierte Ämter hinein und haben sozusagen vom Parlament – durch den Rundfunkstaatsvertrag – eine Blankovollmacht erhalten.