Politische Weiterbildung & Haltungsampel: “Nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte”

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Schon mal etwas von der “Bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt” gehört? Ist es eine neue Technologie? – Weit gefehlt. Sollte die Antwort darauf unbekannt sein, dann wurde wohl bei der politische Weiterbildung nicht aufgepasst. Mit solchen Begrifflichkeiten – wie “Bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt für Ampel – wird eine bewusste Abgrenzung von der übrigen Bevölkerung durch Sprache praktiziert und es kommt noch viel mehr hinzu.

“Bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt” für Ampel – Die abgrenzende Sprache der Verwaltung

>>Gewerkschaft der Polizei Nordrhein-Westfalen<<

“Politische Weiterbildung für Polizisten – Immer wieder werden Polizistinnen und Polizisten im Berufsalltag mit den Folgen politischer Entscheidungen konfrontiert  … . Die aktuelle politischen Herausforderungen sind deshalb eines der Themenschwerpunkte des neuen Bildungsprogramms des Landesbezirks für das kommende Jahr.”

“Bildungsprogramms des Landesbezirks” – “Polizisten im Berufsalltag mit den Folgen politischer Entscheidungen konfrontiert”

>>Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung<<

“In Bayern gibt es zum Themenspektrum der Politischen Bildung ein breites Fortbildungsangebot. Zu unterscheiden ist hierbei generell zwischen Angeboten der Staatlichen Lehrerfortbildung auf zentraler (an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) Dillingen), regionaler (Regierungen, Ministerialbeauftragte), lokaler (Schulämter) sowie schulinterner Ebene und dem Angebot externer Anbieter.”

“In Bayern gibt es zum Themenspektrum der Politischen Bildung ein breites Fortbildungsangebot”

Bei vermutlich vielen Staatsbedienstete – sprich Lehrer, Polizisten und sonstige Beamte – stellt die “Politischen Bildung” einem wesentlichen Teil des Dienstalltags dar. Nicht nur die Fortbildung an sich, sondern das “Gelernte” sollte möglichst im Verwaltungsalltag integriert werden. Es reicht bis in die Sprache hinein und bei manchen Menschen werden da vielleicht Erinnerungen an die ehemalige DDR wach gerufen.

“Viele Ausdrücke des offiziellen Sprachgebrauchs der DDR dienen dazu, das eigene System zu idealisieren”

>>Geschichte der deutschen Sprache von Thorsten Roelcke (Buch) <<

“Gerade der Sprachgebrauch der DDR ist oft polarisierend, um die eigene politische Position gegenüber der Bundesrepublik zu stärken. So wird etwa der wirtschaftliche Erfolg im eigenen Land als sozialistischer Gewinn geadelt, während derjenige im Nachbarland etwa als kapitalistischer Profit diffamiert wird. Viele Ausdrücke des offiziellen Sprachgebrauchs der DDR dienen dazu, das eigene System zu idealisieren. Als Beispiele für solche Fahnenwörter können Arbeiter- und Bauernstaat, Friedenskampf, nationale Volksarmee, Volkseigentum und andere mehr gelten. Charakteristisch für den Sprachgebrauch der DDR ist im Weiteren die ständige Wiederholung zentraler Wörter, durch die so etwas wie eine öffentliche Sprach-Wirklichkeit erzeugt wird. … Eine solche Redeweise provoziert in der Bevölkerung dann leicht die Erfindung systemkritischer bzw. parodistischer Euphemismen wie etwa Rotlichtbestrahlung für politische Beeinflussung oder Jahresendflügelfigur für Weihnachtsengel.”

“Sprachgebrauch der DDR” – “Rotlichtbestrahlung für politische Beeinflussung”

Die Begrifflichkeit “Rotlichtbestrahlung” wurde übrigens im offiziellen DDR-Sprachgebrauch so nicht verwendet. Vielmehr hätte man bei der Verwendung solcher Bezeichnungen aufpassen sollen: Ansonsten wäre die Karriere schnell zu Ende gewesen. Denn die “sozialistische Karriereleiter” in der DDR war mit großer Folgsamkeit und wenigen Widerworten verbunden, was manches Beispiel eindrücklich zeigt.

“Die ideologische „Rotlichtbestrahlung“ in seinem Betrieb war ihm zuwider”

>>Über die Ostsee in die Freiheit: Dramatische Fluchtgeschichten von Christine & Bodo Müller (Buch) <<

“Der 38jährige Geophysiker Georg Malz aus Greifswald führte in seinem Betrieb, dem VEB Geophysik Leipzig mit Sitz in Greifswald, ein unauffälliges Dasein als Wissenschaftler und Praktiker. Weil er nicht in die SED eintreten wollte, weil er obendrein eine in Westdeutschland lebende Mutter hatte und sich von ihr nicht lossagen wollte, blieb ihm ein Aufstieg auf der sozialistischen Karriereleiter verwehrt. Doch von einer Karriere im SED-Staat versprach sich der Geophysiker ohnehin nichts. Die ideologische „Rotlichtbestrahlung“ in seinem Betrieb war ihm zuwider. Wo es ging, drückte er sich vor der „politischen Arbeit“. Die Parteigenossen mied er, so gut er konnte. Schon längst hatte er das verlogene SED-Regime durchschaut und hielt nur noch still. In Wirklichkeit wollte er weg.”

“Rotlichtbestrahlung” – “Schon längst hatte er das verlogene SED-Regime durchschaut und hielt nur noch still”

Vermutlich hatten insgeheim viele ehemalige DDR-Bürger das System durchschaut. Zu weit haben Wunsch und Wirklichkeit – sprich Realsozialismus – auseinandergeklafft. Nichtsdestotrotz war die “Rotlichtbestrahlung” nahezu flächendeckend etabliert.

DDR: “Land war mit einem politischen Schulungs- und Weiterbildungssystem überzogen, das viele Menschen kurz als «Rotlichtbestrahlung» verspöttelten”

>>Endspiel: Die Revolution von 1989 in der DDR von Ilko-Sascha Kowalczuk (Buch) <<

“In der DDR gab es Zehntausende Menschen an Schulen, Universitäten, in Betrieben, in Parteiinstitutionen und Einrichtungen der Massenorganisationen, in Armee und Polizei, eigentlich fast überall außerhalb der Kirchen, die dafür bezahlt wurden, dass sie die marxistisch-leninistische Theorie lehrten, weitergaben und vor allem entsprechend den aktuell-politischen Entwicklungen auslegten. Das Land war mit einem politischen Schulungs- und Weiterbildungssystem überzogen, das viele Menschen kurz als «Rotlichtbestrahlung» verspöttelten. Entziehen konnten sie sich ihr kaum. Dieses vielschichtige Schulungssystem hatte nicht nur die Aufgabe, die Menschen von der einzigen wissenschaftlichen Weltanschauung zu überzeugen. Diese Politschulungen funktionierten zugleich als Überwachungsmaßnahmen. Die marxistisch-leninistischen Lehrer und Lehrerinnen, die Staatsbürgerkundelehrer, ML-Lehrer, Pol-Ök-Lehrer und schlicht AgitProp-Sekretäre hießen, nahmen die Rolle einer Ideologiepolizei wahr. Hier konnte genau registriert werden, wer sich weigerte, die vorgestanzten Formeln nachzubeten, wer an der SED-Politik Kritik übte, wer gegen den ML argumentierte. Und gerade in den Schulen erstreckte sich so die Kontrolle unweigerlich nicht nur auf die Schüler, sondern auch auf die Eltern.”

“Rolle einer Ideologiepolizei wahr” – “Wer sich weigerte, die vorgestanzten Formeln nachzubeten, wer an der SED-Politik Kritik übte”

Zum System der “Rotlichtbestrahlung” gehörte eben auch dazu: Die “Schüler” sich genau anzusehen und mögliche Abweichler der “Ideologiepolizei” zu melden. Unverbesserliche Dogmatiker und Karrieristen zeichneten sich hierbei mit besonderer Eifrigkeit und vorauseilenden Gehorsam aus. Damit lässt sich das Wesensmerkmal des Denunziantismus erklären. Die Folgen kann sich am Ende jeder ausmalen, worauf schon Kinder hingewiesen wurden.

“Familien zum guten Ton, seinen Kindern mit auf den Weg zu geben, nach Verlassen der Wohnung anders zu sprechen als in ihr”

>>Endspiel: Die Revolution von 1989 in der DDR von Ilko-Sascha Kowalczuk (Buch) <<

“Es gehörte in Millionen Familien zum guten Ton, seinen Kindern mit auf den Weg zu geben, nach Verlassen der Wohnung anders zu sprechen als in ihr. Verlogenheit, Unehrlichkeit, Unaufrichtigkeit, gebeugte Rücken hatte der Ideologiestaat verlangt und massenhaft bekommen. Ihm ging es nicht um die innere Überzeugung, sondern um das äußerliche Mitmachen. Das verhieß Ruhe, auch für die Mitmenschen. Deshalb haben nicht selten die eigenen Kollegen, Mitschüler, Kommilitonen nicht nur zu Unrecht und Ungerechtigkeit geschwiegen, sondern auch noch den freieren Geist zur Räson gerufen, zum Schweigen ermahnt oder das, was eigentlich mutig war, verhöhnt, veralbert, verunglimpft.”

“Verlogenheit, Unehrlichkeit, Unaufrichtigkeit, gebeugte Rücken hatte der Ideologiestaat verlangt und massenhaft bekommen”

Eigentlich hat man sich – aus guten Gründen – von diesen Zeiten losgesagt. Aber eine Bestandsaufnahme der Gegenwart legt eher einem anderen Schluss nahe.

“Kollektiver Gleichmacherei, eine gedankliche Uniformität” – “In Zeiten wie diesen sei von allen unbedingte »Haltung« gefragt”

>>Meinungsunfreiheit von Wolfgang Kubicki (Buch) <<

“In Zeiten wie diesen sei von allen unbedingte »Haltung« gefragt, kann man dann hören. Es sei wichtig, sich nicht spalten zu lassen. … Wir bräuchten einen »Aufstand der Anständigen«. Und so weiter. Gemein haben alle Forderungen dieser Art, dass sie das Gute gegen das Böse setzen. Anständig gegen Unanständig. Unteilbar gegen Spalter. Dahinter steht der Gedanke: Gut sind wir. Böse sind all diejenigen, die in bestimmten Fragen nicht in völligem Gleichklang mit uns stehen. Es ist eine Art von kollektiver Gleichmacherei, eine gedankliche Uniformität, die als ängstliche Reaktion auf »das andere« ausgelöst wird. Ganz abgesehen davon ist die politische Kategorie »Anstand« oder »Haltung zeigen« die einfachste und deshalb wirkungsloseste Art, mit einem Problem fertigzuwerden. … Die Forderungen nach Gemeinsamkeit werden vielmehr selbst zu einem Problem für die Meinungsfreiheit. … Vielmehr hat die Forderung nach »Haltung zeigen« Auswirkungen auf uns selbst. Denn es wird damit suggeriert, dass es nur einen einzigen Weg gibt, bestimmte Dinge zu denken: Die Haltung oder keine. So kommen Pluralität und Meinungsvielfalt schnell unter die Räder. Wenn leicht abweichende Meinungen aus dem gemeinsamen Konsens ausgestoßen werden, ist das psychologisch vollkommen nachvollziehbar. In schweren Zeiten sind Differenzierungen nun mal nicht erwünscht, denn sie vermitteln den Eindruck von Instabilität.”

“Forderung nach »Haltung zeigen« Auswirkungen auf uns selbst” – “Nur einen einzigen Weg gibt, bestimmte Dinge zu denken”

Der KampfbegriffHaltung zeigen” und die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes wollen nicht wirklich zusammenpassen. Am Beispiel der “politischen Bildung” lässt es sich recht eindrucksvoll belegen. Zwischenzeitlich wurde auch ein Recht von Arbeitnehmern auf politische Weiterbildung eingeführt.

“Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen können sich für bis zu fünf Arbeitstage im Jahr für berufliche und politische Weiterbildung freistellen lassen”

>>Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen<<

“Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen können sich für bis zu fünf Arbeitstage im Jahr für berufliche und politische Weiterbildung freistellen lassen. Dies regelt das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG NRW). Die Freistellung erfolgt unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes. Die Weiterbildung muss an anerkannten Einrichtungen der Arbeitnehmerweiterbildung erfolgen.”

“Berufliche und politische Weiterbildung” – “Freistellung erfolgt unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes”

Tatsächlich gibt es nicht nur ein Recht auf politische Weiterbildung, sondern sogar “nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte” – Allerdings ist dieser beschriebene “nicht-jedes-Thema-Katalog” nirgends auffindbar.

Politische Bildung: “Nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte”

>>Legal Tribune Online<<

“Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich bereits mehrfach damit beschäftigen müssen und verkannte nicht, dass der Begriff des Politischen ein wandelbarer ist. So hielt es dazu fest, dass aufgrund des stetigen Wandels politischer Verhältnisse und Anschauungen ein allgemeiner Katalog geeigneter oder nicht geeigneter Themen zur politischen Weiterbildung nicht aufgestellt werden könne. Unter politische Weiterbildung fielen in jedem Fall aber nicht nur Themen der Staats- und Bürgerrechtskunde, sondern auch andere Fragen, die Aufgabe oder Ziel von Politik seien oder zur politischen Diskussion gestellt werden sollten (BAG, Urt. v. 16.3.1999, Az. 9 AZR 166/98). Ein kleines Regulativ bauten die höchsten Arbeitsrichter allerdings ein, indem sie im Urteil festhielten, dass nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte.”

“Begriff des Politischen ein wandelbarer ist”

Nur wenige Menschen im Berufsleben der freien Wirtschaft nehmen sich “Weiterbildungsurlaub” . Aber es sind sehr wohl Bestrebungen zur verpflichtenden “politische Weiterbildungerkennbar. Das Stichwort “Stärkung” wird hier sehr häufig gebraucht.