Andere Perspektive des Stockholm-Syndroms: Wie soziale Ungerechtigkeit direkt in offene Kriminalität übergeht

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Acht-neun-drei” – Es ist der Ausdruck für ein wertloses Blatt beim Kartenspiel und gleichzeitig der japanische Name für die Unterweltorganisation Yakuza. Dieser Zusammenhang ist für viele Menschen nicht wirklich ersichtlich. Genauso wie Psychologen und Kriminalitätsforscher über das Phänomen des “Stockholm-Syndrom” brüten. Das Wesen der Kriminalität mag für gewisse Kreise völlig unverständlich wirken, dabei kann es – aus einer anderen Perspektive gesehen – sehr einfach sein.

“Täter-Opfer-Umkehr” – “Zeichen von Sympathie gegenüber ihren Geiselnehmern und Antipathie gegenüber den Behörden”

>>Trauma und Traumafolgestörungen von Andreas Maercker (Buch) <<

“Diese subjektiv empfundene «Täter-Opfer-Umkehr» ist einer der überraschenden psychologischen Effekte in der Psychotraumatologie. Für in Geiselhaft gehaltene Erwachsene wurde sie unter dem Begriff «Stockholm-Syndrom» diskutiert, nachdem 1973 Geiselgefangene in einer Bank erstaunliche Zeichen von Sympathie gegenüber ihren Geiselnehmern und Antipathie gegenüber den Behörden zeigten.”

“Für in Geiselhaft gehaltene Erwachsene wurde sie unter dem Begriff «Stockholm-Syndrom» diskutiert”

Aus Sichtweise eines verblendeten Staatsbediensteten dürfte nur unverständliches Kopfschütteln herauskommen: Schließlich muss Kriminalität mit allen nur denkbaren Mitteln bekämpft werden. Nach dieser Denkweise wird schon seit Jahrzehnten verfahren: Höhere Strafen, mehr Überwachung und überall Verbote.

“In Waffenverbotszonen ist das Mitführen von Waffen untersagt”

>>Stadt Cottbus<<

“In Waffenverbotszonen ist das Mitführen von Waffen untersagt. Dazu können auch waffenähnliche Gegenstände zählen. Das Verbot gilt auch für Privatpersonen, die mit polizeilicher Genehmigung eine Waffe führen dürften. Die Einrichtung einer solchen Zone erlaubt Polizei und Behörden gezielte Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen.”

Waffenverbotszonen: “Dazu können auch waffenähnliche Gegenstände zählen”

Selbst wenn Verbote und Überwachungsmaßnahmen nichts bringen: Trotzdem wird stoisch daran festgehalten. Der Fokus ist – wie mit Scheuklappen – ausschließlich nur auf die Kriminalitätsbekämpfung gerichtet.

Waffenverbotszonen in der Praxis: “Wir wollen mehr Sozialarbeit und keine ‚Polizeibusse‘ ”

>>Leipziger Zeitung<<

„Wir wollen mehr Sozialarbeit und keine ‚Polizeibusse‘“ – Immer wieder wurde die Maßnahme kritisiert und ihre Wirkung infrage gestellt. … bezeichneten die willkürlichen Kontrollen als unverhältnismäßig und die Zone als Ganzes als ein wenig geeignetes Mittel, um die Kriminalität im Umfeld der Eisenbahnstraße einzudämmen. Und siehe da: Die Polizei stellte im Vergleich der letzten Jahre etwa gleich viele Straftaten im betroffenen Gebiet fest.”

“Polizei stellte im Vergleich der letzten Jahre etwa gleich viele Straftaten im betroffenen Gebiet fest”

Das Stichwort “Sozialarbeit” ist sehr interessant. Die Brennpunkt von Kriminalität und sozialen Problemen sind fast immer auf die selben Gebiete konzentriert. Diese Daten sind keineswegs geheim. Praktisch bei jeder Immobilienbewertung fließen diese mit hinein. Doch niemand wird gezwungen in die Kriminalität zu gehen: Immerhin steht jeden Menschen der soziale Aufstieg offen.

“Sozialer Aufstieg wird seltener – Armut und Reichtum verfestigen sich”

>>Hans-Böckler-Stiftung<<

“Sozialer Aufstieg wird seltener – Armut und Reichtum verfestigen sich. … Die Reichen in Deutschland können sich ihrer privilegierten Position immer sicherer sein. Wer hingegen arm ist, für den wird es schwieriger, aus der Armut herauszukommen.”

“Die Reichen in Deutschland können sich ihrer privilegierten Position immer sicherer sein”

Der soziale Aufstieg ist sicherlich noch temporär vorhanden, aber im weiten Teilen kann dieser als Mythos angesehen werden. Auch beim sozialen Aufstieg durch Bildung sieht es kaum anders aus.

“Pflanzen sich soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg fort”

>>Wem gehört Deutschland? von Jens Berger (Buch) <<

“Sozialer Aufstieg durch Bildung ist ein weiterer Mythos, an den wir uns gewöhnt haben. Gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- beziehungsweise Hauptschulabschluss. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine dreimal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Von 100 Akademikerkindern studieren 71, von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien nur 24,4. So pflanzen sich soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg fort. Doch statt sich darüber zu echauffieren, dass Kindern aus der Unter- und der Mittelschicht der Aufstieg in die obersten Etagen der Wirtschaft versperrt ist, arbeitet sich die Öffentlichkeit lieber an der Frage ab, wie viele Männer und wie viele Frauen aus der Oberschicht im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen sollten. Die Oberschicht lacht sich dabei ins Fäustchen: So lange die Öffentlichkeit durch solche Grabenkriege abgelenkt ist, werden ihre Privilegien garantiert nicht angetastet. Wenn nicht der Sohnemann, sondern das Töchterchen in Pappas Fußstapfen tritt, was soll’s? Hauptsache, es bleibt in der Familie.”

“9,2 Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- beziehungsweise Hauptschulabschluss”

Selbstverständlich können Einzelfälle das Gegenteil beweisen, aber die Masse der Armen sind ihre Möglichkeiten durchaus bewusst. Mit irgendeiner privilegierten Schicht können sie sich ohnehin nicht identifizieren. Vielmehr spiegelt sich deren Lebenswelt aus prekären Berufen, geringen Sozialleistungen und verständnislosen Bürokraten wider. Am Ende ist das Leben am Rande des Existenzminimums auch nicht so viel anders. Letztlich gibt es nicht wirklich etwas zu verlieren und der Schritt in die offene Kriminalität ist sehr klein. Zumal viele kriminellen Banden einem einschlägigen Ruf pflegen und sie direkt ansprechen. “Acht-neun-drei” – Es ist der Ausdruck für ein wertloses Blatt beim Kartenspiel und gleichzeitig können sie sich darin selbst wiederfinden.

“Die Yakuza gehören zu Japan wie die Geishas und die Sumo-Ringer.”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“Die Yakuza gehören zu Japan wie die Geishas und die Sumo-Ringer. … Yakuza heißt auf Japanisch “Acht-neun-drei”. Das Wort ist der Ausdruck für ein wertloses Blatt beim Kartenspiel und beschreibt den Stolz von Nippons Mafiosi.”

“Yakuza” – “Das Wort ist der Ausdruck für ein wertloses Blatt beim Kartenspiel”

Sicherlich mag die Yakuza ein paar japanische Besonderheiten haben, doch das Grundmuster von kriminellen Banden ist praktisch überall auf der Welt gleich. Nur selten wird sich jemand aus der Oberschicht einer Unterweltorganisation anschließen: Jene werden mitunter Psychologen oder höhere Kriminalkommissare und tun später öffentlich ihre Verwunderung über das “Stockholm-Syndrom” kund. Andersherum betrachtet: Das “Stockholm-Syndrom” kann auch als offenkundiger psychologischer Mangel an sozialen Einfühlungsvermögen verstanden werden. Am Ende stellt alles nur eine Sache der richtigen Perspektive dar.