“Geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen” – Die Zensur vom Wesen des Krieges

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Jugendliche müssten vor gewaltverherrlichendes Material geschützt werden: Deshalb soll – nach Willen einiger Protagonisten – das gefühlt halbe Internet gesperrt werden. Doch dabei geht es weniger um Jugendliche, sondern eher um eine breite Internetzensur für Erwachsene. Es ist schlicht technisch nicht möglich und im Endeffekt kommen bei diesem Unterfangen die Grundrechte unter die Räder. Auch das vermeintlich oberste Ziel der Jugendschutz scheint nur vorgeschoben.

“Gewalthandlungen, die per Handykamera aufgenommen werden”

>>Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes<<

“Gewalthandlungen, die per Handykamera aufgenommen werden, haben sich mittlerweile zu einem bedenklichen Trend entwickelt. Dazu kommen Mobbing, sexuelle Beleidigungen, Beschimpfungen und die Verbreitung (kinder-)pornographischer Bilder und Videos. Einige Jugendliche sehen in dieser Form der Gewaltausübung eine Möglichkeit, Anerkennung und Aufmerksamkeit in ihrer Peergroup zu erlangen. Andere betrachten sich selbst als „Darsteller“ in einem Film oder sie handeln aus Langeweile. Ein Großteil der Jugendlichen ist sich weder der Strafbarkeit ihres Handelns noch des Leids der Opfer bewusst.”

“Großteil der Jugendlichen ist sich weder der Strafbarkeit ihres Handelns noch des Leids der Opfer bewusst”

Insofern ist es fraglich: Ob die betreffenden Kinder und Jugendlichen überhaupt für ihre Taten verantwortlich seien? Immerhin setzt das Jugendstrafrecht erst bei 14 Jahren ein und setzt eine gewisse “Reife” voraus. Zugleich ist die eigentliche Verantwortung bei Gewalthandlungen oder Pornographie an ganz anderer Stelle zu suchen.

“Die Aufsichtspflicht gehört zu den wichtigsten Dienstpflichten einer Lehrkraft”

>>AXA Konzern<<

“Die Aufsichtspflicht gehört zu den wichtigsten Dienstpflichten einer Lehrkraft. Grundaufgabe der Aufsicht ist, die anvertrauten Schüler vor Schaden zu bewahren und Dritte vor Schäden zu schützen, die durch Schüler verursacht werden können. Aufsichtspflichtig ist derjenige Lehrer, dem die Schüler durch Unterrichtszuweisung oder freiwillige Übernahme anvertraut wurden. Der Schulleiter ist für die Organisation der Aufsicht verantwortlich. Grundsätzlich besteht sogar eine Aufsichtspflicht aller Lehrer gegenüber allen Schülern der Schule.”

“Grundsätzlich besteht sogar eine Aufsichtspflicht aller Lehrer gegenüber allen Schülern der Schule”

Die Aufsichtspflicht ist hier eindeutig: Nicht Jugendliche, sondern die erwachsenen-straffähigen Aufsichtspersonen an der Schule sind hierfür haftbar. Nur spiegelt es sich sehr selten in der Gerichtsbarkeit wider. Auch polizeiliche Ermittlungen sehen über diese Tatsache gerne großzügig hinweg. An dieser Stelle muss aber klar gesagt sein: Das über irgendwelche Zensurmechanismen des Internets sich die Verbreitung von Gewalthandlungen oder Pornographie nicht verhindern lässt.

“Script-Kiddies” – Wie jugendliche Hacker das Internet unsicher machen

Das Internet rührt ursprünglich vom Militär her und ist genau für solche Szenarien ausgelegt. Es ist redundant konstruiert und durch die Abschaltung oder Blockierung eines Servers läuft es trotzdem weiter. Jede Netzsperre kann genauso schnell oder langsam von Jugendlichen oder Erwachsenen gleichermaßen überwunden werden. Zumal Jugendliche gerne hierfür viel mehr Zeit verwenden: Nicht umsonst ist das Phänomen der sogenannten “Script-Kiddies” – meist jugendliche Hacker – weit verbreitet. Statt irgendwelche Zensurgesetze oder technische Hürden zu erfinden, sollte stattdessen die banale Tatsache anerkannt werden: Kinder und Jugendliche sollten grundsätzlich nicht unbeaufsichtigt im Internet unterwegs sein. Überspitzt: Ein Großraumflugzeug wird auch nicht durch einen Jugendlichen geflogen, nur weil der Autopilot oder eine IT-Lösung es schon irgendwie regeln wird. – Der Vergleich ist durchaus berechtigt: Jugendliche können als Hacker sehr wohl großen Schaden anrichten.

Welche Gefahr stellen Jugendliche als Hacker dar?

Ohnehin scheint das Jugendschutz-Argument für Internetzensur irgendwie weit hergeholt. Die Gewaltdarstellungen brauchen sich Jugendliche nicht über Umwege im Internet holen, sondern sie können es bei der Bundeswehr im echten Leben sehen.

“Um freiwilligen Wehrdienst leisten zu dürfen, muss man mindestens 17 Jahre alt sein”

>>Bundeswehr<<

“Um freiwilligen Wehrdienst leisten zu dürfen, muss man mindestens 17 Jahre alt sein, die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Auch die Bereitschaft, nach erfolgter Ausbildung an Auslandseinsätzen teilzunehmen, gehört dazu.”

“Auch die Bereitschaft, nach erfolgter Ausbildung an Auslandseinsätzen teilzunehmen, gehört dazu”

Die sonst so geltungsbedürftige Jugendschutzbehörde scheint genau hier plötzlich in Totenstarre verfallen zu sein. Vermutlich wissen die Behördenvertreter selbst nicht sich so genau, was Soldaten so tun und was Krieg überhaupt bedeutet.

“Schlächterei vom 16. März 1968 ist als My-Lai-Massaker in die Geschichte eingegangen”

>>Spiegel<<

“Zwischen 490 und 520 Ermordete, einige sind erst wenige Wochen alt, manche im Greisenalter, die meisten sind Bauern mittleren Alters. Amerikanische Verluste: Keine. Erbeutete Waffen: Angeblich vier. Die Schlächterei vom 16. März 1968 ist als My-Lai-Massaker in die Geschichte eingegangen. Vermutlich hat keine andere amerikanische Einheit binnen weniger Stunden derart viele Unbeteiligte gemeuchelt wie die “Task Force Barker”. Dass es in den Jahren 1967 bis 1971 zahlreiche weitere Massaker gegeben hat, steht indes außer Frage. Wie viele Menschen dabei getötet wurden, wird nie zu ermitteln sein – Tausende waren es in jedem Fall, möglicherweise liegt die Zahl der Opfer sogar im fünfstelligen Bereich.”

“Dass es in den Jahren 1967 bis 1971 zahlreiche weitere Massaker gegeben hat, steht indes außer Frage”

Allerdings war der Krieg im Vietnam kein klassischer Krieg mit klaren Fronten, sondern ein Guerillakrieg gewesen. Darin greift die lokale Zivilbevölkerung in den Kriegsverlauf aktiv mit ein, macht sich auf diese Weise natürlich auch selbst zum militärischen Ziel. Zu dieser Zeit hat Wehrpflichtinklusive öffentlicher Lotterie – in der USA geherrscht und viele gezogene Soldaten waren kaum richtig Erwachsen geworden. Zwar hatten sie eine militärische Ausbildung durchlaufen, aber ein richtiger Krieg ist dennoch etwas ganz anderes. Allgemein war die Öffentlichkeit wenig informiert, was der kleine Ort My Lai in Vietnam recht gut zeigte.

“Massaker in My Lai” – “Soldaten am 16. März 1968 in einem vietnamesischen Dorf über 500 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, umbrachten”

>>Die Kunst der Niederlage von Holger Afflerbach (Buch) <<

“So hat beispielsweise das Massaker in My Lai, bei dem amerikanische Soldaten am 16. März 1968 in einem vietnamesischen Dorf über 500 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, umbrachten, wohl nirgendwo so große Wirkung gehabt wie in der innenpolitischen Auseinandersetzung in den USA während des Vietnamkriegs selbst.”

“Massaker in My Lai” – “Große Wirkung gehabt wie in der innenpolitischen Auseinandersetzung in den USA während des Vietnamkriegs selbst”

Genau an dieser Stelle wird das ganze Zensur-Dilemma aller Befürworter deutlich. Vereinfacht: Bis einschließlich zum 17 Lebensjahr sollen sie vom allen Darstellungen von Gewalt oder Pornographie fern gehalten werden und mit 18 stehen sie plötzlich als aktive Protagonisten in dieser Szenerie da. Letztendlich hat dieses Problem längst akademisch-theoretischen Zirkel verlassen: Insbesondere durch die vielen Auslandseinsätze ist die Problematik der vielen Posttraumatischen Belastungsstörungen bei der Bundeswehr kaum mehr zu leugnen. Eigentlich müssten Kinder und Jugendliche begleitet an diese unschöne Welt heran geführt werden, statt ihnen eine Phantasiewelt vorzuspielen. Zugleich kommen beim Zensur-Dilemma noch rechtliche Probleme hinzu.

“Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft”

>>Bundesverfassungsgericht<<

„Dies ist indessen nicht der Sinn der Verweisung auf die „allgemeinen Gesetze“. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l“homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, „the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom“ (Cardozo).“

„Die ständige geistige Auseinandersetzung“ – „Den Kampf der Meinungen“

Gerade der kleine Ort My-Lai im Vietnam hat die “geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen” offenkundig werden lassen: Denn zu diesem Vorfall hat es Bilder gegeben und diese wurden tatsächlich auch gesendet. Am Ende hat es zu einer aktiven Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit und letztlich zum Ende des Krieges geführt. Selbstverständlich sind realistische Bilder des Krieges niemals schön anzusehen oder teils verstörend: Aber am Ende geben sie nur die Wirklichkeit wider.