Die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland – Szenarien für das Jahr 2040

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Die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland ist aus heutiger Sicht ungewiss. Technologische Entwicklungen, Innovationen, Veränderungen der Konkurrenzsituation und das Spannungsfeld zwischen gemeinwohl- und gewinnorientierten Anforderungen führen zu vielschichtigen Herausforderungen. Zudem haben die nationale wie internationale Politik, Gewerkschaften und Verbände sowie beteiligte Unternehmen diametral unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung der Eisenbahn.

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Von Trutz von Olnhausen & Simon Hofmann

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Es ist derzeit weder eine politische, unternehmerische noch gesellschaftliche Tendenz erkennbar, die der Eisenbahn eine klare Richtung vorgeben würde. Der Bedarf an gemeinsamen Leitbildern, zielgerichteten Strategien und konkreten Maßnahmen ist offensichtlich und eine Debatte über die Rolle der Eisenbahn in Deutschland überfällig.

Diese Arbeit soll dazu beitragen, eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik anzustoßen und liefert die dazu benötigte wissenschaftliche Grundlage. Um mögliche Zukünfte der Eisenbahn in Deutschland aufzuzeigen, wurde methodisch auf den explorativen Szenarioprozess zurückgegriffen und folgende Forschungsfrage formuliert: „Wie sehen mögliche Zukünfte des Schienenpersonenverkehrs in Deutschland im Jahre 2040 aus?“. Das Hauptziel der Arbeit bestand also in der wissenschaftlichen Erarbeitung von möglichen Zukünften für die Eisenbahn in Deutschland im Jahr 2040. Dazu wurden eine Vielzahl an Einflussfaktoren gesammelt, ein Wirkungsgefüge erstellt und acht Schlüsselfaktoren identifiziert. Aus den Kombinationen der erarbeiteten 31 Ausprägungen entstanden Rohszenarien, von denen drei möglichst konsistente ausgewählt und ausführlich in Zukunftsbildern beschrieben wurden. Zur Unterstützung des Prozesses wurden Expertinnen und Experten miteinbezogen und die Software Parmenides EIDOS eingesetzt.

Das Ergebnis des Prozesses sind neben wichtigen Erkenntnissen über das System Bahn drei Szenarien für das Jahr 2040: „New-Rail-Deal“, „Big Mix“ und „AUTOnomie“. In diesen wird unter anderem auf die Rolle und Relevanz der Eisenbahn, das Schienenpersonenverkehrsangebot, die Rolle der Politik, die Konkurrenzsituation, die Entwicklung der Automatisierung sowie Organisationsformen eingegangen. Die Szenarien und die gewonnenen Erkenntnisse können von großer Bedeutung für die Eisenbahn- und Mobilitätsbranche, die Politik und die Gesellschaft sein. Durch die festgehaltenen Zukünfte besteht die Möglichkeit, durch einen nachgelagerten Strategiebildungsprozess Maßnahmen abzuleiten und Planungen in der Gegenwart zu treffen. Weiterhin ergeben sich eine Vielzahl weiterer Anknüpfungspunkte für Forschungen.

1. Einleitung

Die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland ist aus heutiger Sicht ungewiss. Trotz offensichtlichen System- und Umweltvorteilen ringt die Eisenbahn um ihre Bedeutung im Verkehrsmarkt. Der seit der Bahnreform eingeschlagene Weg der Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung wurde unterbrochen.1 Täglich wird das Spannungsfeld zwischen der festgeschriebenen Gemeinwohlorientierung und dem gesellschaftlichen Auftrag der Daseinsvorsorge sowie der Gewinnorientierung auf liberalisierten Märkten deutlich. Insbesondere der in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Staatskonzern Deutsche Bahn AG geht ohne glaubhafte Visionen und Ziele der Zukunft entgegen. Im dem von der Deutschen Bahn AG im Herbst 2015 erarbeiteten strategischem Konzeptpapier mit dem Titel „Zukunft Bahn“ wird die Feststellung getroffen, dass „der Schienenverkehr das Potenzial hat, der Verkehrsträger des 21. Jahrhunderts zu sein – verlässlich, komfortabel, umweltfreundlich.“2 Im Kontext der aktuellen Probleme und Entwicklungen wirkt dieses Leitziel eher unglaubwürdig. Auch bei den beteiligten Akteuren besteht Uneinigkeit über Strategien und Ziele der Eisenbahn in Deutschland. Die nationale wie internationale Politik, die Gesellschaft und Verbände sowie beteiligte Unternehmen haben teilweise diametral unterschiedliche Vorstellungen und Ansätze über die Zukunft der Eisenbahn. Es fehlt an gemeinsamen Leitbildern, Strategien und konkreten Maßnahmen, die ein zukunftsorientiertes und zielgerichtetes Handeln ermöglichen.

Diese Ausgangslage stellt die Eisenbahn vor weitere Herausforderungen, insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden Umwälzungen durch technologische Entwicklungen und Innovationen im Bereich der intelligenten Verkehrssysteme, dem Autonomen Fahren auf der Straße und der Digitalisierung. Wir stehen heute vor umfangreichen Veränderungen bezüglich der Mobilität. Die Ausmaße der Veränderungen und Einflüsse auf die Eisenbahn sind nur schwer abzuschätzen. Zudem sind diverse Entwicklungspfade denkbar, die von Entscheidungen verschiedener Akteure abhängen und somit die Zukunft gestaltbar machen. Geschieht dies nicht, erschweren die Ungewissheiten und Unsicherheiten nicht nur den zielgerichteten Einsatz der staatlichen finanziellen Mittel in Form von Subventionen. Hier kann die Forschung mit wissenschaftlichen Analysen einen Beitrag leisten. Um eine breite und fundierte Debatte über die zukünftige Rolle der Eisenbahn in Deutschland führen zu können, ist es notwendig, mögliche Zukünfte wertneutral aufzuzeigen. Der öffentlich zugängliche und aktuelle Forschungsstand ist sehr eingeschränkt. Von privaten Unternehmen oder finanziellen Geldgebern losgelöste und somit neutrale Studien oder Forschungsarbeiten sind nicht bekannt. Auch die Berücksichtigung von technologischen Entwicklungen aller Verkehrsmittel und deren zukünftigen Einflüsse auf die Eisenbahn sind noch nicht erforscht.

Somit erfolgte eine der ersten wissenschaftlich fundierten und öffentlich zugänglichen Auseinandersetzungen mit der Zukunft der Eisenbahn in Deutschland im Rahmen der Masterarbeit, die von Simon Hofmann und Trutz von Olnhausen an der Technischen Universität Berlin verfasst wurde. Mithilfe der aus dem Bereich der Zukunftsforschung stammenden explorativen Szenariotechnik und der Unterstützung von vierzehn Expertinnen und Experten wurden drei Szenarien entwickelt. In diesem Artikel wird die verwendete Methodik umrissen, die umfangreich beschriebenen Szenarien wiedergegeben und die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Szenarioprozess zusammengefasst. Die Veröffentlichung schließt mit einem Resümee, in dem die Methodik und die Ergebnisse kritisch reflektiert sowie der Forschungsbedarf und mögliche Anschlussverwendungen aufgezeigt werden. Diese transparente Offenlegung der Arbeitsschritte ist essentieller Bestandteil des Szenarioprozesses, da nicht nur die Szenarien, sondern alle erarbeiteten Prozessschritte in der Summe das Gesamtergebnis darstellen. Durch dieses Vorgehen und das wertneutrale Aufzeigen möglicher Entwicklungen wird eine wissenschaftlich fundierte Ausgangslage geschaffen, mit der im Anschluss eine breit angelegte Diskussion um die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland erfolgen kann. Dazu soll auch dieser Artikel beitragen.

2. Die Szenariotechnik als eine Methodik der Zukunftsforschung

Die in der Arbeit verwendete Szenariotechnik ist die am weitesten verbreitete Methodik in der Zukunftsforschung3 und unterscheidet sich im Vergleich zu Trends oder Prognosen vor allem in den folgenden zwei signifikanten Punkten:4 Der erste Punkt betrifft das „zukunftsoffene Denken“. Aufgrund der Unsicherheit und Ungewissheit zukünftiger Entwicklungen im Hinblick auf einen langfristigen Horizont wird nicht versucht, die Zukunft exakt vorherzusagen, sondern es werden Zukunftsräume aufgezeigt und somit mehrere verschiedene Zukunftsbilder erzeugt. Diese Zukunftsbilder werden im Rahmen der Szenariotechnik als Szenarien bezeichnet. Der zweite Punkt betrifft das „vernetzte Denken“, das durch die gestiegene Komplexität in der heutigen Welt unabdingbar ist. Organisationen sind einem ständig wechselnden Umfeld aufgrund politischer, technologischer und sozialer Entwicklungen sowie einer zunehmend vernetzten globalen Welt auseinandergesetzt. Für die Szenarien bedeutet dies, verschiedene Entwicklungen in Betracht zu ziehen, welche sich aus „schlüssigen Kombinationen denkbarer Entwicklungsannahmen“5 zusammensetzen. Die Unsicherheiten der Zukunft werden dabei integriert und nicht ausgeklammert, was durch das zukunftsoffene und vernetze Denken unterstützt wird.

Mit voranschreiten der Zeit nimmt dabei die Unsicherheit zu, wohingegen die Vorbestimmtheit der Zukunft abnimmt. Prognosen nehmen dabei den Zeitraum in der Zukunft ein, in dem noch geringere Unsicherheiten bestehen sowie durch die Vorbestimmtheit oftmals mit Wahrscheinlichkeiten und Trends gearbeitet wird. Szenarien hingegen können nicht mehr auf eine relativ konkrete Vorbestimmtheit aufbauen und müssen zudem die in diesem Zeitraum vorhandene Unsicherheit in den Prozess integrieren. Mehr als 30 Jahre in die Zukunft zu blicken ist im Rahmen der Szenariotechnik nicht plausibel und wird deswegen als Hoffnung eingestuft.

Im Endergebnis werden in einem Szenarioprozess also Szenarien entwickelt und Zukunftsräume erkundet. Abbildung 2 zeigt dieses Vorgehen schematisch auf. Start- und Ausgangspunkt der Zukunftsforschung ist die gegenwärtige Situation. Mit Voranschreiten der Zeit eröffnen sich verschiedene Entwicklungspfade. Durch Störereignisse können sich Entwicklungspfade im Verlauf der Zeit auch umkehren. Die Punkte, an denen eine signifikante Veränderung vollzogen wird, werden als Wendepunkte bezeichnet und kennzeichnen ein Trendbruchszenario. An dem jeweiligen oberen und unteren Ende des Szenariotrichters sind die Extremszenarien zu verorten. Diese werden auch als „beste“ und „schlechteste“ Szenarien bezeichnet, wobei sich immer die Frage stellt, was eine gute und schlechte Entwicklung ist. Eine Entwicklung, die relativ konstant zur bisherigen Entwicklung läuft, wird als Trendszenario bezeichnet.

Der Szenarioprozess selbst gliedert sich, je nach Auslegung der Prozessschritte, in bis zu acht verschiedene Teilschritte und gibt das detaillierte Vorgehen bei der Durchführung des Szenarioprozesses vor.

  1. Szenarioumfeldbestimmung: Das Szenarioumfeld wird hinsichtlich der räumlichen, zeitlichen und sachlichen Begrenzung definiert und bildet den Ausgangspunkt des Szenarioprozesses. Dabei werden die geographische Ausdehnung, der Zeithorizont und die Thematik klar eingegrenzt, um den Rahmen für die weiteren Prozesse aufzuspannen und zu definieren.
  2. Einflussfaktoranalyse: Mit verschiedenen Methoden wird versucht, alle relevanten Einflussfaktoren auf die definierte Aufgaben- und Zielstellung ausfindig zu machen. Die Einflussfaktoren sind in mehreren iterativen Prozessschritten insbesondere in ihrer Granularität und Aussagekraft abzustimmen, um ein ausgewogenes Gesamtbild zu erzeugen. Das Resultat dieses Prozessschrittes ist ein umfassendes Wirkungsgefüge, in dem alle Einflussfaktoren und ihre gegenseitige Einflussnahme festgehalten sind.
  3. Schlüsselfaktoridentifikation: Aus den identifizierten Einflussfaktoren wird im dritten Prozessschritt versucht, die für die Forschungsfrage relevantesten Faktoren herauszufinden. Dazu können Interdependenz- und Wirkungsanalysen erstellt werden, die aber beide auf die im vorherigen Prozessschritt erstellte Einflussmatrix zurückgreifen. Zusätzlich können weitere Methoden bzw. auch intuitive Verfahren zum Einsatz kommen.
  4. Projektionsentwicklung: Im vierten Prozessschritt werden die Projektionen bzw. die Ausprägungen erstellt. Bei diesem Schritt werden konkret die Zukunftsmöglichkeiten für jeden einzelnen Schlüsselfaktor aufgespannt. Insbesondere in diesem Prozessschritt wird die Integration von Expertenwissen empfohlen, um einen weiteren Grundstein für qualitativ hochwertige Szenarien mit möglichst hoher Validität zu legen.
  5. Rohszenariogenerierung: Nach der Entwicklung der Projektionen werden die Kombinationen der Projektionen auf Konsistenz und Plausibilität überprüft und bewertet. Mithilfe geeigneter Softwareunterstützung können alle denkbaren Kombinationen von Ausprägungen überprüft und in iterativen Schritten die Rohszenarien ausgewählt werden. Dabei ergibt ein Bündel von plausiblen Projektionen einen Zukunftsraum, der in sich möglichst konsistent sein muss.
  6. Szenariobeschreibung: Die ausgewählten Rohszenarien werden aufbereitet und beschrieben. Dabei wird nicht nur das Szenario selbst kontextualisiert, sondern auch der Weg dahin. Je nach Zielgruppe können bei der weiteren Darstellung auch andere Kommunikationsformen Anwendung finden.
  7. Robustheitsprüfung: Im siebten Schritt des Szenarioprozesses werden die gefundenen Szenarien auf ihre Robustheit gegenüber Störereignissen, sogenannten „Wildcards“, überprüft. Dadurch werden explizit einschneidende oder sogar disruptive Ereignisse und Unsicherheiten in den Prozess integriert. Je nach Ergebnis der Überprüfung kann ein Szenario dem Störereignis standhalten oder zusammenbrechen.
  8. Szenariotransfer: Im letzten Prozessschritt folgt der Transfer des Szenarios in die Gegenwart. Dies kann Diskussionen und strategische Elemente für Organisationen und Individuen beinhalten. Hierbei wird insbesondere deutlich, dass ein Szenarioprozess nur dann auch etwas bewirkt, wenn die Ergebnisse durch Validität überzeugen und ernst genommen werden. Der Schritt kann deswegen auch als „Prozess strukturierter Kommunikation“ bezeichnet werden.

Der gesamte Szenarioprozess ist nicht als ein eindimensional ausgerichteter Prozess zu verstehen, der nach der Durchführung endet. Einerseits können nach der Erstellung der Szenarien in weiteren Schritten durch Strategieprozesse Maßnahmen und Handlungen für Unternehmen untersucht werden, was als Szenariomanagement bezeichnet wird. Andererseits verändert sich durch das Fortschreiten der Zeit auch die Gegenwart und somit müssen die Veränderungen in den Prozess integriert werden.

Die Methodik der Zukunftsforschung kann den Irrglauben wecken, die Zukunft vorhersagen zu können. Zudem besteht die Gefahr der Vernachlässigung von allgemeingültigen Kriterien der Wissenschaft im Bearbeitungsprozess. Aus diesen Gründen bedarf es einer Erläuterung der wissenschaftlichen Gütekriterien und Standards, dank denen die Wissenschaftlichkeit des Szenarioprozesses gewährleistet und die Validität der Ergebnisse maximiert werden können. Insbesondere die Transparenz des Prozesses sowie das Kriterium der Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen ist in nur sehr wenigen öffentlich zugänglichen Studien zur Genüge umgesetzt.11

Für die Zukunftsforschung lassen sich die folgenden drei übergeordneten Leitprinzipien ableiten: Die Zukunftsangemessenheit, Wissenschaftlichkeit und Effektivität müssen im Hinblick auf Zielerreichung und Aufgabenstellung betrachtet werden. Daraus lassen sich Gütekriterien ableiten, die folgend in Anlehnung an einen Vorschlag von Gerhold gebündelt wiedergeben werden:

  • Modalität, Argumentative Prüfbarkeit
  • Gestaltungs- und Handlungsbezug
  • Interdisziplinarität und Transdisziplinarität
  • Nachvollziehbarkeit
  • Methodenwahl und Methodenkombination
  • Möglichkeit des Transfers und Kommunikation der Ergebnisse

Folglich kommen der Einbeziehung von Gestaltungsambitionen und Handlungsbezügen genauso wie der Betrachtung des Problems mithilfe verschiedener Disziplinen sowie der Integration von lebenspraktischen Perspektiven eine erhöhte Bedeutung zu. Die Integration von Expert_innen aus unterschiedlichen Fachkreisen deckt diese Anforderungen ab und erhöht somit die Validität der Ergebnisse. Dabei können Expertinnen und Experten zu unterschiedlichen Phasen eingebunden werden. In vorliegender Arbeit wurde im vierten Prozessschritt, der Entwicklung der Projektionen, eine Expert_innenrunde durchgeführt. Das Hauptziel dieses Prozessschrittes ist es, für alle Schlüsselfaktoren jeweils mindestens zwei Ausprägungen festzuhalten. Die Ausprägungen umschreiben einen möglichen und denkbaren Zustand des Schlüsselfaktors im Jahr 2040. Der konkrete Entwicklungspfad dahin wird nicht festgehalten, aber vor dem Hintergrund, dass die Ausprägungen möglich sein müssen, in der Erarbeitung berücksichtigt. Für diese Erarbeitung eignen sich verschiedene Methoden, wobei in vorliegender Arbeit die Form des Brainstormings kombiniert mit Diskussionen in Gruppen zur Anwendung kam. Um eine möglichst hohe Validität zu erreichen, wurde dieser Prozessschritt von Expert_innen aus verschiedensten Bereichen und Themenfeldern unterstützt. Der Grund für die Zusammensetzung der Expert_innen lag im Ziel, die Themengebiete Eisenbahn und Mobilität, Automobilbranche, Akteurskonstellationen und Geschäftsmodelle, Soziales und Umwelt, Politik, Volkswirtschaft und technologische Entwicklungen abzudecken. Am Prozess nahmen folgende 12 Expert_innen teil:

  • Maje Basten M.Sc., Mitarbeiterin Nachhaltigkeitsmanagement und Zukunftsforschung, Deutsche Bahn AG
  • Prof. Dr. Christian Böttger, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
  • Dr.-Ing. Florian Eck, Stellvertretender Geschäftsführer, Deutsches Verkehrsforum e.V.
  • Manuel Gerres B.A., ehemals Schweizerische Bundesbahnen AG heute Managing Director bei der Deutschen Bahn Digital Ventures GmbH & Leiter New Digital Business bei Deutsche Bahn AG
  • Dipl.-Ing. Susanne Henckel, Geschäftsführerin, Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH
  • Dipl.-Ing. Steffen Kümmell, Senior Consultant, IAV Automotive Engineering
  • Martin Roggermann Mag., Referent für Verkehrspolitik, Allianz pro Schiene e.V.
  • Dipl.-Ing. Frederik Ropelius, Direktor und Partner, SMA und Partner AG
  • Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes, Studiengangleiter und Dozent, Zürich Hochschule für Angewandte Wissenschaften
  • Dipl.-Kfm. Michael Schramek, Geschäftsführer, EcoLibro GmbH
  • Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Siegmann, Fachgebietsleitung, Technische Universität Berlin
  • Dipl.-Verw.-Betriebsw. Peter Tröge, Geschäftsführer Europäischen Akademie für umweltorientierten Verkehr, Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft

Die Expert_innenrunde, die von den Autoren vorbereitet und moderiert wurde, fand am 25.05.2016 in Berlin statt und dauerte insgesamt vier Stunden. Der erste von drei Blöcken beinhaltete die Begrüßung, eine Vorstellungsrunde sowie eine Präsentation der Moderatoren über die Methodik und den Stand der Arbeit. Im zweiten Block wurden in drei Gruppen mit je drei bis fünf Expert_innen verschiedene Projektionen pro Schlüsselfaktor erarbeitet, wofür ca. 100 Minuten zur Verfügung standen. Dazu wurden den Teilnehmenden die in dem vorhergehenden Kapitel beschriebenen „Onepager“ sowie die „Langversionen“ zur Verfügung gestellt. Das Ziel dieser Diskussionsgrundlagen war es, dass alle Teilnehmenden ein ähnliches Verständnis des Schlüsselfaktors aufbauen konnten, wodurch die Effizienz der Diskussionen und der Gruppenarbeiten erhöht werden konnte. Im Anschluss wurden im dritten Block die Ausarbeitungen der Projektionen im Plenum während ca. 90 Minuten präsentiert sowie anschließend diskutiert und ergänzt. Als Ergebnis der Expert_innenrunde resultierten insgesamt 31 Projektionen. Die Titel dieser Projektionen sind in Abbildung 5 einzusehen. Für jeden Schlüsselfaktor konnten vier bis fünf trennscharfe Ausprägungen erarbeitet und festgehalten werden.

3. Szenarien für die Eisenbahn in Deutschland im Jahr 2040

Das Ergebnis des Prozesses sind neben wichtigen Erkenntnissen über das System Bahn folgende drei Szenarien für das Jahr 2040: „New-Rail-Deal“, „Big Mix“ und „AUTOnomie“. In diesen wird unteranderem auf die Rolle und Relevanz der Eisenbahn, das Schienenpersonenverkehrsangebot, die Rolle der Politik, die Konkurrenzsituation, die Entwicklung der Automatisierung sowie Organisationsformen eingegangen. Abbildung 4 stellt die beschriebenen Szenarien in einem Zukunftsbild dar.

Im Folgenden werden die drei Szenarien umschrieben. Sie sind alle identisch gegliedert und beginnen mit einer kurzen Zusammenfassung, dank der ein erstes Verständnis über das jeweilige Zukunftsbild gewonnen werden kann. Im Anschluss daran folgt jeweils eine Auflistung der grundlegenden Ausprägungen der Zukunftsbilder, eine umfassende Beschreibung des Zukunftsbildes und die Entwicklung im Rückblick. Dabei gelten über alle Szenarien hinweg folgende Grundannahmen:

  • Stabiles wirtschaftliches Wachstum.
  • Keine extremen Bevölkerungszunahmen oder –abnahmen.
  • Keine aktiven und signifikanten von der Raum- und Siedlungsstruktur ausgehenden Veränderungen.
  • Keine signifikanten Abweichungen von den allgemein bekannten Annahmen bezüglich der Verkehrsnachfrage, die sich parallel zur Bevölkerungszunahme entwickelt.
  • Störereignisse oder Diskontinuitäten wie z. B. Konflikte oder Umweltkatastrophen werden im Rahmen der Störereignisanalyse betrachtet.

3.1 Szenario „New-Rail-Deal“

Zusammenfassung des Szenarios

Der von der Politik initiierte sogenannte „New-Rail-Deal“ nimmt in diesem Szenario die prägende Rolle ein. Dieser schreibt eine grundlegende Standardisierung und Vereinheitlichung in der Eisenbahnbranche vor. Die Ausschreibung aller Verkehrsleistungen auf der Schiene löst eine wahre Goldgräberstimmung aus. Neue Akteure dringen in den deutschen Schienenverkehrsmarkt ein und sorgen für eine Verringerung der Mobilitätskosten. Autonome Straßenfahrzeuge scheiterten aufgrund rechtlicher Haftungsfragen und der Akzeptanz der Bevölkerung, sodass diese Entwicklung sich nicht durchsetzen konnte. In urbanen Räumen fördern Fahrverbote und andere Reglementierungen die öffentlichen Verkehrsmittel.

Grundlegende Projektionen

  • Das System Bahn profitiert von einer starken Governance: Die Bahn wird gegenüber anderen Verkehrsmitteln politisch priorisiert.
  • Die Einführung des „New-Rail-Deals“ verhilft der Bahn zu neuem Schwung.
  • Das System Bahn wird generell standardisiert und vereinheitlicht, sowohl die Infrastruktur als auch die Fahrzeuge.
  • Starke Regulierung des Schienenpersonenverkehrsmarktes durch eine Ausschreibung aller Verkehre sorgt für mehr Wettbewerb und neue Akteure.
  • Der in Mobilitätsplattformen eingebundene Einheitstarif macht die Bahn attraktiv.
  • Die Mobilitätskosten der Bahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern fallen gering aus.
  • Die Technologie des Autonomen Fahrens auf der Straße hat sich nicht durchgesetzt.

Zukunftsbild 2040

Die Eisenbahn im Jahr 2040 ist ein Garant für die Mobilität der Bevölkerung. Das einst staubige Image von alten und verschmutzen Zügen ist längst abgelegt. Probleme mit Ticketautomaten, Verspätungen oder Zugausfällen – Fehlanzeige. Die Bahn ist ein in allen Gesellschaftsbereichen und sozialen Milieus akzeptiertes und genutztes Fortbewegungsmittel. Wer im Jahr 2040 eine Bahn besteigt, erinnert sich nur noch vage daran, dass es einmal nötig war, das günstigste Ticket ausfindig zu machen. Dies erledigen nun diverse Mobilitätsplattformen wie „Go and Ride as you like“, „Just drive it“ oder „Cheap and Mobile“. Diese Anbieter kombinieren verschiedenste Verkehrsmittel untereinander und finden je nach vorheriger Priorisierung (Reisedauer, Komfort, Preis, aktuelle Verkehrssituation, Umwelteinschränkungen) den besten Mobilitätsmix. Die Abrechnung erfolgt digital bei marginalen Vertriebskosten. Der Zugang zum System ist auch im Jahr 2040 ohne Zugangssysteme umgesetzt, denn die Ticketkontrolle passiert nun digital über die Positionsbestimmung. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung nutzen diese Mobilitätsplattformen. Dies ist auch ein Grund dafür, dass die Preise für Mobilität im Vergleich zur Inflation anderer Güter günstiger geworden sind. Die erfolgreiche Integration der Bahn und damit der Durchbruch von Mobilitätsplattformen wurde durch eine staatliche Vorgabe erreicht. Der unter dem Titel „Einheitstarif“ eingeführte simple Tarif ist nur ein Baustein bei der Vereinheitlichung der Eisenbahn. Die Preisberechnungen und die zum Teil auch politisch geforderten Anreizsysteme laufen dabei unbemerkt im Hintergrund. Die Anreizsysteme fördern die Nutzung des öffentlichen Verkehrs außerhalb der Hauptverkehrszeiten und bei Tagen starker Umweltbelastungen mit Mobilitätsgutschriften.

Im Rahmen der Neuaufstellung der Eisenbahn in Deutschland erfolgten politische Entscheide, welche der Maxime „Regulierung für mehr Wettbewerb“ folgen. Dieser zuerst widersprüchlich erscheinende Satz sorgte anfangs für angeregte Diskussionen, doch der eingetretene Erfolg gab ihm seine Berechtigung. Die auch als „New-Rail-Deal“ in die Geschichte eingegangene Veränderung kennzeichnete eine Abgrenzung von der sonst üblichen Bahnpolitik der europäischen Nachbarstaaten. Dabei orientiert sich die deutsche Politik anfänglich am Beispiel der Schweiz, welche auch im Jahr 2040 noch den stärksten politischen Einfluss auf das Bahnsystem ausübt. Eine geordnete europaweite Politik war im Eisenbahnsektor nicht mehr möglich, wodurch jedes Land stärken Einfluss auf den Rechtsrahmen der Eisenbahn nehmen konnte. Deutschland ging weit über die Regulierung in der Schweiz hinaus und beschritt damit einen eigenen Weg. So wurde die Zukunft der Eisenbahn mit dem sogenannten „New-Rail-Deal“ auf eine neue Basis gestellt. Die tragenden Säulen des „New-Rail-Deals“ sind die Bereiche Infrastruktur, Fahrzeuge, Tarif, Organisation und Innovation. Der wesentliche Erfolg wird durch eine flächendeckende Standardisierung und Harmonisierung erreicht. In allen Bereichen sind einheitliche Schnittstellen und Normen definiert und das einst so komplexe Bahnsystem ist wesentlich vereinfacht. Daraus resultieren günstigere Instandhaltungs- und Produktionskosten, welche sich in niedrigeren Mobilitätskosten niederschlagen. So wurde bezüglich der Infrastruktur eine einheitliche Bahnsteighöhe festgelegt und auch die Leit- und Sicherungstechnik auf einen Standard vereinheitlicht. Dies war mit erheblichen Investitionskosten verbunden, doch die Vorteile überwogen schnell. Ein modulares System ohne Signale und dichten Blockabständen ermöglichten eine massive Ausweitung der Kapazität ohne teuren Neubau von Strecken. Das neue Kollisionsschutzprogramm verhindert durch GPS-Ortung zuverlässig Unfälle, wodurch das Ziel von null Verkehrstoten bei der Eisenbahn seit fünf Jahren erreicht ist. Auch im Jahr 2040 ist die Energieversorgung auf elektrischer Basis durch die Oberleitung umgesetzt. Die Innovation erfolgte auf den vielen bis dato nicht elektrifizierten Nebenstrecken, die nun auf relativ kurzen Abschnitten teilelektrifiziert sind. Durch den in den Fahrzeugen eingebauten Energiespeicher, der während des Befahrens dieser Abschnitte aufgeladen wird, kann nun der gesamte Schienenverkehr umweltfreundlich betrieben werden.

Neben den Neuerungen in der Infrastruktur legte der „New-Rail-Deal“ seinen zweiten Schwerpunkt auf die Fahrzeuge selbst. Der Schlüssel zum Erfolg war auch hier die Standardisierung. Die Politik setzte sich im „New-Rail-Deal“ gegenüber den Herstellern durch und sorgte damit für eine nie da gewesene Harmonisierung der Fahrzeuge. So wurden drei Plattformfahrzeuge entwickelt. Diese decken jeweils den Anwendungsbereich S-Bahn, Regionalverkehr und Fernverkehr ab. Alle Fahrzeugtypen sind untereinander kuppelbar und bilden flexible Einheiten. Die Fahrzeuge des Typs „Regional“ und „Fern“ sind jeweils auch als Doppelstockfahrzeug im Einsatz. Im Zuge der Standardisierung wurden auch die Fahrzeuggeschwindigkeiten grundlegend harmonisiert. So sind die festgelegten Geschwindigkeiten bei der „S-Bahn“ bei maximal 100 km/h, im Regionalverkehr bei maximal 160 km/h und im Fernverkehr bei 250 km/h. Aus Kapazitätsgründen gilt jedoch auf dem jeweils zu befahrenen Streckenabschnitt die Höchstgeschwindigkeit des langsamsten Zuges. Dadurch verlängert sich zwar die Reisezeit einzelner Züge. Da diese jedoch besser miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt sind, bleiben die Systemzeiten auf dem gleichen Niveau wie heute. Um die Fahrzeugtypen unabhängig vom Hersteller untereinander flexibel einsetzbar zu machen, wurden auch Schnittstellen in der Fahrzeugsteuerung und Kupplung definiert. Jegliche Flexibilität ist dadurch gewährleistet. Die Innenraumgestaltung orientiert sich je nach Fahrzeugtyp an den Bedürfnissen und der Aufenthaltsdauer der Reisenden. Der Fahrzeugtyp „S-Bahn“ überzeugt durch eine kompakte Anordnung der Sitze, wohingegen der Fahrzeugtyp „Fern“ mit einem angenehmen Komfort für lange Reisen ausgelegt ist. Entgegen der Erwartungen sorgte dies nicht für einen Rückgang bei der Anzahl der Zughersteller, sondern für eine Planungssicherheit und einen regen Wettbewerb, da mehr Fahrzeuge bestellt wurden.

Die bereits angesprochene Säule „Tarif“ vereinheitlicht den ehemals vorherrschenden „Tarifdschungel“ der verschiedenen Anbietenden. So gibt der Staat einen festgelegten Höchstpreis je gefahrenen Kilometer vor. Bahnfahren wird durch die staatliche Intervention deutlich günstiger und kalkulierbarer. Dies ist auch der Grund dafür, dass verschiedenste Plattformanbieter die Eisenbahn einfach und zuverlässig in ihr Angebot integrieren. Die Tarif- und Ticketbarrieren sind gänzlich abgeschafft. Die Vergünstigung der Tickets wird aber nur durch eine gleichzeitige Neuordnung der staatlichen Subventionen erreicht. Konkret geschieht dies durch die Ausschreibung von Konzessionen. Alle Nah- wie Fernverkehre unterliegen der Aufsicht der Stabsstelle „NewRail“, kurz „NR“. Diese setzt sich aus verschiedenen Akteuren aus der Gesellschaft zusammen und beschließt auf demokratischem Wege die Verteilung der Subventionen, plant Zielkonzepte für zukünftige Verkehrskonzepte und Infrastrukturmaßnahmen und vergibt weiter die Konzessionen an die Verkehrsunternehmen. Deswegen wird es aber auch für Verkehrsunternehmen wieder attraktiv, Leistungen auf der Schiene anzubieten. Dadurch kann gewährleistet werden, dass das zusätzliche Geld an den richtigen Stellen eingesetzt wird und nur dort Infrastruktur gebaut wird, wo dies auch notwendig ist. Bei der Vergabe der Verkehrsleistungen wird stets ein Grundtakt zwischen 5, 15, 30 und 60 Minuten, je nach Dichte des Bevölkerungsgebiets und des Zeitraums der Erbringung der Verkehrsleistung, vorgeschrieben. Der maximale Kilometerpreis garantiert dabei immer einen bezahlbaren öffentlichen Verkehr. Je nachdem, ob die ausgeschriebenen Strecken ertragreich sind oder subventioniert werden müssen, geben die vielen Anbieter an, wie viel Geld sie bereit sind, für die Konzession zu zahlen oder an Subventionen benötigen. Dreh- und Angelpunkt der gesamten Eisenbahnorganisation ist dabei die „NR“. Der Leitspruch „Starke Regulierung für starken Wettbewerb“ gibt dabei die Richtung vor. Dadurch kann das Angebot insbesondere im Fernverkehr und ländlichen Regionalverkehr deutlich ausgebaut werden. Es entsteht weiter eine Vielzahl von neuen Linien und insbesondere umsteigefreier Verbindungen. Um mehr Verkehre auf der bestehenden Infrastruktur zu fahren, wird sich von dem Konzept zentraler Knoten in Ballungsgebieten gelöst. Dies bedeutet, dass weder der Regionalverkehr noch der Fernverkehr immer den Hauptbahnhof ansteuern, sondern vor allem in den Randbereichen der Stadt Umsteigepunkte entstehen. Dadurch können die Reisezeiten beschleunigt und Kapazitäten für Fahrzeuge des Typs „S-Bahn“ und „Regional“ freigehalten werden. In den Innenstädten existieren auch weiterhin U-Bahnen sowie ein gut ausgebauter und funktionierender ÖPNV. Auch der Nachtzugverkehr wird durch Konzessionen vergeben. Grundlage dafür bieten speziell umgebaute Fahrzeuge des Typs „Fern“, die aber auch im Tagesverkehr eingesetzt werden können. Die verschiedenen Komfortklassen wurden aufgehoben und vereinheitlicht gemäß dem Motto „Ein Preis eine Klasse – für alle“.

Die Politik fördert die Schiene aktiv und stellt der Eisenbahnorganisation „NR“ erhebliche Mittel zur Verfügung. Das Pro-Kopf-Fördervolumen in die Eisenbahn ist im weltweiten Vergleich auf einem Spitzenwert. Im Vergleich zum Straßenverkehr fließt nun erstmals mehr Geld in die Schiene als in die Straße, um die aus früherer mangelnder Berücksichtigung entstandenen Nachteile auszugleichen. Hierdurch werden vor allem auch der Umbau der Infrastruktur, des Stromsystems und der Leit- und Sicherungstechnik finanziert. Deswegen wird auch in der Eisenbahnorganisation „NR“ eine spezielle Forschungsabteilung gegründet. Diese vergibt Forschungsgelder und betreibt eigene Forschungsabteilungen zur Weiterentwicklung der Eisenbahn in allen Bereichen. Die Eisenbahn im Jahr 2040 steht für Qualität, Pünktlichkeit und Sicherheit und ist deswegen eines der beliebtesten Verkehrsmittel.

Grund für diesen Kurswechsel der Politik hin zu einer massiven Unterstützung der Eisenbahn war mitunter das Problem des Automobilbereichs, keine Lösungen für die dringenden Probleme der Zeit aufzeigen zu können. Das Autonome Fahren auf der Straße setzte sich aufgrund technischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Probleme und Widerstände nicht durch und blieb ein Nischenprodukt im hochpreisigen Sektor. Hackerangriffe und systembedingte Unfälle schmälern das Vertrauen in das System. Dadurch, dass der Mensch jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug behalten muss, ist das Argument der Zeitersparnis nicht mehr gegeben. Auch auf der Schiene wurden die Bemühungen für eine komplette Automatisierung vorerst nicht weiter forciert, da die Probleme bei den autonomen Straßenfahrzeugen eine abschreckende Wirkung hatten. Weiterhin sind die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen deutlich spürbar, woraufhin der Fokus in der Verkehrspolitik auf nachhaltige Verkehrsmittel gelegt wird. In urbanen Zentren zogen Debatten um die Aufteilung des öffentlichen Raums und den Umgang mit Straßenlärm flächendeckende Verbote für private Personenkraftwagen nach sich. Deswegen ist in verdichteten Räumen der ÖPNV in optimaler Abstimmung mit dem Schienenpersonenverkehr in das Umland und dem Fernverkehr zur Verknüpfung der urbanen Zentren das zentrale Verkehrsmittel. Die optimale Verknüpfung und Vernetzung der Verkehrsmittel untereinander ist dabei oberstes Ziel. Dies wird besonders durch die bereits beschriebenen Mobilitätsplattformen unterstützt. Dazu verteuerte sich die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs im Vergleich zur Eisenbahn, welche auf erneuerbare Energien umgestellt wurde, deutlich. Auch der Flugverkehr innerhalb von Deutschland wird durch die Internalisierung externer Kosten stärker belastet, weswegen im Jahr 2040 kaum noch innerdeutsche Flüge durchgeführt werden.

Diese Entwicklungen sorgten für eine Vielzahl neuer Akteure auf der Schiene. Die Standardisierung der Infrastruktur und Fahrzeuge auf drei Typen reduzierte die Einkaufspreise für das Rollmaterial. In Verbindung mit dem Konzessionsmodell, also der Ausschreibung aller Verkehre in kleineren Losen, wurden die Eintrittsbarrieren für neue Markteintritte reduziert. Darunter finden sich auch Akteure aus ehemals fachfremden Branchen. Doch wer im Jahr 2040 einen Zug betritt, bekommt von dem herrschenden Wettbewerb äußerst wenig mit. Die Züge verkehren in einem deutschlandweit einheitlichen Design und das Personal trägt eine deutschlandweit vorgegebene Arbeitskleidung. Bahn fahren ist durch diese und die vielen anderen Maßnahmen wesentlich simpler und klarer geworden, als es das früher einmal war.

Die Entwicklung im Rückblick

Innerhalb der Jahre 2016 bis 2018 entwickelte sich die Eisenbahn in Deutschland kaum weiter. Der inzwischen monopolistische Fernbusmarkt sowie die immer stärkeren Mitfahrvermittlungsdienste markierten die untere Preisgrenze und setzten dadurch insbesondere den Fernverkehr unter Druck. Die im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) einst eingeleitete Fernverkehrsoffensive erfuhr dadurch einen herben Dämpfer. Die neu gestalteten Linien, welche insbesondere kleinere Städte wieder an das Fernverkehrsnetz anschließen sollten, brachten beständig Verluste ein und mussten wie auch andere Linien eingestellt werden. Die Nahverkehrsgesellschaften waren nicht bereit, diese Verkehre durch schnelle Regionalverkehre zu kompensieren, was von der Bevölkerung gefordert wurde. Das System Bahn drohte seine Netzwirkung im Fernverkehr zu verlieren. Dies führte in der Gesellschaft zu vermehrten Protesten. Weiterhin gab es immer wieder Proteste gegen die Einstellung des Nachtzugverkehrs, der nämlich nur teilweise von der österreichischen Bundesbahn übernommen wurde. Im Regionalverkehr verlief die Entwicklung positiver. Das Modell der Ausschreibungen führte zu einer weiteren Intensivierung des Wettbewerbs. Doch auch hier gab es mahnende Worte seitens der Gesellschaft, nicht immer nur auf die Wirtschaftlichkeit zu achten, sondern auch soziale Standards in die Ausschreibungskriterien zu integrieren. Trotz der massiven finanziellen Unterstützung der Deutschen Bahn AG verbesserte sich die Pünktlichkeit der Züge nicht. Sowohl von der Infrastruktur als auch von den Fahrzeugen her traten immer wieder technische Probleme auf, die zu einer nicht akzeptablen Instabilität des Gesamtsystems Bahn führten. Trotz der massiven Probleme blieben die Diskussionen um die Zukunft der Eisenbahn im Jahr 2018 noch innerhalb der Bahnbranche und bahnaffinen Akteuren. Somit war der Druck für weitreichende Veränderungen noch nicht gegeben.

Dies änderte sich jedoch in den darauffolgenden Jahren. Insbesondere das Thema Mobilität und Verkehr tangierte immer mehr Menschen. Die Anzahl der Personenkraftwagen in Deutschland blieb konstant hoch. Gleichzeitig konnten keine adäquaten Lösungen für Lärm- und Stauprobleme gefunden werden. Die Innenstädte wurden zunehmend weniger lebenswert, was zu Protestaktionen von Bürger_innen führte. Das automatisierte Fahren auf der Straße wie auch die Elektromobilität waren in ihrer Entwicklung nicht wie erwartet eingetreten. Rechtliche Probleme und vereinzelte Unfälle sorgten für eine sinkende Akzeptanz. Da die Kosten für Autonomes Fahren und Elektromobilität jedoch weit über den realistisch tragbaren Kosten für den größten Teil der Bevölkerung lagen, konnte das Verkehrssystem Automobil auf die Fragen und Problem der Zeit keine Antworten liefern. Die vermehrten klimatischen Veränderungen, Lärm- und Stauprobleme sorgten für eine Sensibilisierung für das Thema Verkehr. Dabei rückte auch die Eisenbahn in den Fokus. So diskutierte die Gesellschaft und Politik intensiv über mögliche weitere Wege. Die wenig zufriedenstellende Situation der deutschen Eisenbahn, welche sich im Vergleich zu den Jahren 2016 bis 2018 noch weiter verschlechtert hatte, war der potentiellen Aufmerksamkeit nicht gerade förderlich.

Vor den Jahren der nächsten Bundestagswahl rückte das Thema Mobilität in den Fokus der Öffentlichkeit. Dabei wurde auch intensiv über die Rolle der Eisenbahn in Deutschland diskutiert, da festgestellt wurde, dass die aktuellen Gesetze und Verordnungen der damaligen Bahnreform veraltet sind. Insbesondere der Fernverkehr und die aufgegebenen nachfrageschwachen Fernverkehrslinien belasteten die Bevölkerung noch schwer. Alle waren sich einig, dass der Verkehrssektor neu geregelt werden musste. Die Bundestagswahlen 2021 gingen zu Gunsten einer der Eisenbahn positiv eingestellten Koalition aus. Diese setzte mit dem neuen Bundesministerium für Mobilität und Raumplanung neue Akzente. Innerhalb des Bundesministeriums wurden schon nach einem Jahr ein „New-Rail-Deal“ des Eisenbahnsystems beschlossen. So wurde im Jahr 2022 die staatliche Eisenbahnorganisation NR gegründet. Als ein Schwachpunkt wurden die fehlende Standards und Normen rasch erkannt und in Abstimmung mit der europäischen Union wurden diese in weiten Bereichen der Infrastruktur und Fahrzeuge neu definiert. In Kombination mit der Umstrukturierung und Ausschreibung aller Verkehrsleistungen auf der Schiene durch Konzessionen, prägte sich in dem Bewusstsein der Gesellschaft der eingetretene Wandel als „New-RailDeal“ ein. Von der ehemaligen Deutschen Bahn AG wurden die Infrastruktursparte (Bahnhöfe und Bahnsteige, Gleise und Bahngrundstücke) ausgegliedert und unter die Kontrolle der „NR“ gestellt. Der Nah- und Fernverkehr wurde in kleinere Strukturen unterteilt und als eigene privatwirtschaftliche Unternehmen geführt.

In den Jahren 2025 bis 2040 setzten sich mit der Neuorganisation des Bahnsystems weitere weitreichende Veränderungen durch. So konnte die Leit- und Sicherungstechnik sowie die Herstellung von Fahrzeugen deutschlandweit vereinheitlicht werden und es wurde auch ein großer Fahrzeugpool für flexiblere An- und Verkäufe geschaffen. Weitere wichtige Meilensteine waren die Vereinfachung der Ticketstruktur und die Eröffnung gängiger Mobilitätsplattformen im Jahr 2033. Dies brachte der Eisenbahn einen positiven Schub, da viele ehemalige Kund_innen durch die optimale Verknüpfung der Reiseketten zurückkehrten. Auch in den Innenstädten sorgte das Bundesministerium für Mobilität für eine Stärkung der Eisenbahn. Durch die grundlegende Veränderung der Städte hin zu lebenswerten und lebensfreundlichen Zentren nahm der ÖPNV und altbewährte Fortbewegungsmittel wie der Fuß- und Radverkehr wie auch neuartigen umweltfreundlichen Fortbewegungsmittel tragende Rollen ein und lösten das Automobil in der Stadt sukzessive ab.

3.2 Szenario „Big Mix“

Zusammenfassung des Szenarios
Die Politik hat in den letzten Jahren für alle Verkehrsträger zur Verfolgung der beiden Leitziele „intermodale Waffengleichheit“ und „neutraler Wettbewerb“ einschneidende Vorgaben erlassen. Davon profitiert am meisten die unterdessen größtenteils automatisierte Eisenbahn, aber auch generell der ÖV, dessen Qualität in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur und die Automatisierung von Fahrzeugen ist vorangeschritten: Im Jahr 2040 sind neben konventionellen auch teilautomatisierte Fahrzeuge im Einsatz. Dies betrifft sowohl den IV als auch den ÖV. Universaldienstleister vermitteln und verkaufen verkehrsmittelübergreifende All-in-One-Angebote über ihre Plattformen, während sich Verkehrsunternehmen hauptsächlich auf ihre Kernkompetenz, die Erbringung von Verkehrsleistungen, fokussieren.

Grundlegende Projektionen

  • Relativ strenge Vorgaben für alle Verkehrsträger zur Verfolgung folgender politischer Leitziele: intermodale Waffengleichheit und neutraler Wettbewerb.
  • Das System Bahn ist teilautomatisiert, auf Teststrecken verkehren erste vollautomatisierte Züge.
  • Die Qualität des ÖV hat generell leicht zugenommen, wovon insbesondere der suburbane Raum profitiert.
  • Sowohl konventionelle Kraftfahrzeuge als auch neuartige teilautomatisierte Fahrzeuge sind parallel im Einsatz.
  • Universaldienstleister drängen in den Markt ein und bieten All-in-one-Angebote über neue Plattformen an.
  • Die Idee „ein Ticket für alles“ ist umgesetzt, deutschlandweit können alle Mobilitätsangebote nach einmaliger Registrierung genutzt werden.
  • Die Mobilitätskosten sind verkehrsmittelübergreifend auf ähnlichem Niveau und sind somit für den Kunden nicht weiter entscheidungsrelevant.

Zukunftsbild 2040

Die Entwicklungen der Digitalisierung und der Automatisierung haben in den letzten Jahrzehnten ihre erwartete Fortsetzung gefunden und im Jahr 2040 einen neuen Höhepunkt erreicht: Die sogenannte „Rail 6.0“ ist umgesetzt. Parallel zur Entwicklung zur „Industrie 6.0“ werden auch im System Bahn Big Data nicht nur in der Cloud abgespeichert, sondern auch ausgewertet und im operativen Geschäft direkt verwendet. Die Infrastruktur ist mit Messsensoren und das Rollmaterial mit Transpondern ausgestattet, die über Funk-Kommunikation in Echtzeit Funktionsstörungen oder z. B. Verschleißerscheinungen aufzeichnen. Dadurch werden Latenzzeiten verkürzt und Instandhaltung und Wartung zeitnah und punktgenau realisiert. Zudem sind alle Fahrzeuge mit GPS-Ortung ausgestattet, um in Kombinationen mit den Transpondern die Sicherheit signifikant zu erhöhen, insbesondere auf eingleisigen Strecken. Dies hat natürlich neben dem angesprochenen neuen Level an Sicherheit auch positive Auswirkungen auf die Effizienz und die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur. Die Produktionskosten konnten dadurch signifikant reduziert werden, wovon am Ende die Kundinnen und Kunden profitieren. Die größten Einsparungen in den Produktionskosten werden jedoch durch die Automatisierung des Betriebs erreicht. Die strategischen Ziele der Deutschen Bahn wie zum Beispiel der vollautomatische Zugbetrieb ohne manuelle Steuerung aus dem Führerstand heraus wurden zwar nicht wie geplant im Jahr 2030 erreicht, jedoch sind unterdessen im SPFV und auch im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) Fahrzeuge im Einsatz, die mit dem Fahrassistenzsystems „Fassi 6.0“ ausgestattet sind. „Fassi 6.0“ unterstützt den Triebfahrzeugführer in der Zugsteuerung in erheblichem Maße und kann sogar auf gewissen Teilstrecken die Steuerung komplett übernehmen. Mit den Informationen aus der Betriebszentrale wird automatisch das richtige Geschwindigkeitsprofil ausgewählt um möglichst selten vor einem Halt zeigenden Signal zum Stillstand zu kommen. Dadurch konnte nicht nur die Streckenkapazitäten erhöht, sondern auch Energieverbrauch und Verschleiß drastisch reduziert werden. Zudem verkehren bereits auf einigen Teststrecken erste vollautomatisierte Fahrzeuge, die vielversprechende Ergebnisse liefern und das Ziel vom vollautomatischen Zugbetrieb realistisch erscheinen lassen. Dafür wurde das bestehende Schienennetz mit den modernsten Leit- und Sicherungstechniken aufgerüstet. Das Schienennetz ist bis auf wenige Neubaustrecken zwischen Erfurt und Nürnberg sowie Stuttgart und München vergleichbar mit jenem aus dem Jahr 2016. Diese Aussage trifft sowohl für das Fernverkehrsnetz als auch für die Strecken in Ballungsräumen und U-Bahnen zu. Die Kapazität auf dem Schienennetz konnte durch weiterentwickelte Technologien der Automatisierung und Digitalisierung leicht erhöht werden, was sich allerdings nur marginal im tatsächlich gefahrenen Angebot wiederspiegelt. Die Verkehrsleistungen, der Fahrplan und die Anzahl beförderter Passagiere entsprechen in ihrer Höhe in etwa dem Jahr 2016 oder fallen auf einigen Strecken leicht höher aus.

Wohnen in den sogenannten zweiten Speckgürteln der Städte ist der Puls der Zeit. Auch weil der nicht endende Zustrom in die urbanen Räume sowie die Gentrifizierung in einer weiteren Ausdehnung der Städte resultierte. Die Politik ist gezwungen, ihrer Daseinsvorsorgepflicht nachzukommen, wodurch das ÖV-Angebot auch außerhalb der Ballungsgebiete in weiten Teilen erhalten ist. Zusammen mit der insgesamt leicht zunehmenden Verkehrsnachfrage konnte die Flächeneffizienz im SPNV verbessert werden. Dies alles führte dazu, dass die Qualität im ÖV im Vergleich zu früher verbessert oder zumindest auf gleichem Niveau gehalten werden konnte. Alles in allem ist die Bahn im Jahr 2040 ein essentieller Bestandteil des Mobilitätsangebots und nimmt in der Gesellschaft und in der Politik eine bedeutende, aber nicht prägende Rolle ein. Die Situation ist mit derjenigen zu Beginn des Jahrtausends zu vergleichen. Dies zeigt sich auch im Modalsplit, der sich seit 40 Jahren leicht zugunsten des Umweltverbundes verschoben hat, wobei die Anzahl Wege mit der Bahn auf gleichem Niveau verharren.

Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, deren Entwicklung beschleunigt wurde, ist unterdessen von einer „Connected World“ die Rede. Fahrzeuge kommunizieren verkehrsmittelübergreifend miteinander (Car-to-Car) und die Infrastruktur (Car-to-X-Communication) ist ebenso vernetzt wie Kleinstteile. Die Technisierung des Alltags hat ein neues Level erreicht. So werden Datenübertragungsraten und die Verfügbarkeit von Datennetzen Jahr für Jahr gesteigert. „Smart Clothes“ und „Smart Wearables“ sind heute ähnlich verbreitet wie Smartphones zu Beginn des Jahrhunderts. Für die neue Generation ist das „Internet of things“, sprich die ständige Verfügbarkeit von Datennetzen und das kontinuierliche Outsourcen auf Clouds, nicht mehr wegzudenken. Diese Entwicklung unterstütze dann auch der Implementierung neuer Ticketing-Systeme. „Check-in/Check-out“ gilt bereits als überholt und auf Grund der erzwungenen aktiven Handlung der Nutzenden als unbeliebt. Neuerdings wird auf „Bein/Be-out“ gesetzt, mit automatisierter Registrierung beim Betreten eines Fahrzeuginnenraums und Abrechnung nach Bestpreismodus beim Verlassen des Eisenbahnfahrzeuges.

Des Weiteren ist die von politischer Seite geforderte und unterstützte Idee „ein Ticket für alles“ umgesetzt. Dafür sind die Schnittstellen und Datenbanken harmonisiert, damit nach einmaliger Registrierung alle Angebote im ÖV sowie weitere Mobilitätsangebote genutzt werden können – deutschlandweit. Buchungen und der Kauf von Fahrkarten sind damit hinfällig geworden. Für die Wahl der Fahrt werden nicht mehr wie früher Fahrpläne konsultiert oder verkehrsunternehmenseigene Apps geöffnet. Heute wird eine All-in-One-Plattform ausgewählt und aufgerufen, die für den Nutzer nach Eingabe von Start, Ziel, Zeitpunkt sowie Präferenzen bezüglich der Verkehrsmittel selbstständig Entscheide über die Wahl der Verbindung und somit die Verkehrsmittelwahl fällen kann. Diese Plattformökonomie sowie die Erhöhung der Qualität im ÖV resultiert in einem Trend, sodass die Nutzerinnen und der Nutzer immer mehr ihre Präferenzen gegenüber den Verkehrsmitteln und auch den konkreten Leistungserbringern ablegen. Dies alles ist zudem die Basis der Vision eines „vollständigen Services“. Die Plattformanbieter haben eine Verzahnung von Transport, Aftersale, Übernachtung, Tourismus und Freizeitangeboten im Angebot und entwickeln sich immer mehr in Richtung von Universaldienstleistern. Auf jeden Fall sind bereits heute die Vertriebskanäle der Verkehrsunternehmen nicht mehr direkt, sondern nehmen den Umweg über die Plattformen, die zudem auch das Marketing übernehmen. Die Verkehrsunternehmen und insbesondere die EVU fokussieren sich ausschließlich auf ihre Kernkompetenz, der Erbringung von Verkehrsleistungen. Jegliche weitere Tätigkeiten sind unterdessen anderweitig vergeben.

Die Technologie des Autonomen Fahrens konnte sich nur bis zu der Entwicklungsstufe von teilautomatisierten Fahrzeugen durchsetzen. Der Fahrende muss jederzeit bereit sein, lenkend und steuernd einzugreifen. Dies sind rechtliche Vorgaben, da die Technologie bei spezifischen Wetterbedingungen und Sichtverhältnissen zu fehleranfällig ist. Die nach wie vor relativ teuren Komponenten, die das Fahren vereinfachen und sicherer gestalten sollen, sind trotzdem beliebt und werden auch von Versicherungen mit entsprechenden finanziellen Anreizen gefördert. Konventionelle Kraftfahrzeuge ohne teilautomatisierte Komponenten prägen aber noch das Straßenbild. Nur teilautomatische Fahrzeuge profitieren jedoch von der neuesten Innovation „CarOnTrain“. So sind zum Beispiel erste „CarOnTrain-Züge“ zwischen Hamburg und Berlin unterwegs.

Dabei können teilautomatische Fahrzeuge mitsamt Insassen auf speziellen Eisenbahnwagen vollautomatisch verladen und transportiert werden. Diese zukunftsweisende Kombination von Schiene mit Straße ermöglicht eine Tür-zu-Tür-Beförderung ohne Umsteigevorgänge. Zudem kann so von den Systemvorteilen beider Verkehrsmittel profitiert werden und die Straßeninfrastruktur wird entlastet. Dieses „CarOnTrain-Konzept“ hat die bereits sehr geringen Mobilitätskosten noch weiter verringert. Heute sind die Mobilitätskosten wie oben beschrieben quasi nicht mehr entscheidungsrelevant, da sie für alle Verkehrsmittel ähnlich hoch sind – oder besser gesagt ähnlich niedrig. Personalkosten entfallen auf Grund der Automatisierung immer öfter und auch die Energiekosten sind dank „Fassi 6.0“ weiter gesunken. Dies ist dem Staat zu verdanken, der hier mit großem politischem Willen die Forschung und Entwicklung entsprechender Technologien vorangetrieben hat. Des Weiteren wurden Verkehrsmitteln, die auf der Technologie von Verbrennungsmotoren basieren, starke Vorgaben auferlegt. So sind zum Beispiel externe Effekte bestmöglich internalisiert, sowohl beim Automobil als auch im Flugverkehr. Mit Hilfe von rechtlichen Rahmenbedingungen wird noch immer an weiteren Schrauben gedreht, um die Leitziele einer „intermodalen Waffengleichheit“ und eines „neutralen Wettbewerbs“ zu erreichen. Diese basieren auf einer konsequenten Verfolgung von Klimazielen, einer Sensibilisierung für echte Mobilitätskosten sowie der Übergabe von gleichen Pflichten bezüglich der Daseinsvorsorge an alle Verkehrsträger. Zum Beispiel ist das sogenannte Bonus-MalusSystem verkehrsmittelübergreifend umgesetzt: Da, wo die Bahn die Funktion der Feinerschließung aus wirtschaftlichen Gründen nicht übernehmen kann, werden mit finanzieller Unterstützung Mobilitätskonzepte auf der Straße umgesetzt. Umgekehrt werden steuerrechtliche Abgaben vom Individualverkehr genutzt und in Subventionen für die Bahn überführt. Des Weiteren ist eine sogenannte Lenkungsabgabe zum Schutz der Umwelt in Kraft, die vorsieht, dass Treibstoffe wie Benzin, Diesel und Heizöl verstärkt besteuert werden und die finanziellen Einnahmen ökologischeren Verkehrsmitteln wie der Bahn zu Gute kommen.

Die Entwicklung im Rückblick

Die Deutsche Bahn hat im Jahr 2016 ihre strategischen Ziele zum vollautomatisiertem Fahren bekanntgeben und verfolgte seither das Konzernprogramm „Zukunft Bahn“. Das Fahrerassistenzsystem „Fassi“ wurde fortan kontinuierlich weiterentwickelt mit dem Ziel, im Jahr 2030 den vollautomatischen Zugbetrieb ohne manuelle Steuerung aus dem Führerstand heraus zu realisieren und damit die Produktionskosten zu senken. Dies war auch dringend notwendig, zumal die Eisenbahn immer mehr unter den Entwicklungen der intermodalen Konkurrenz litt. Der liberalisierte Fernbusmarkt konnte einen beträchtlichen Teil der Nachfrage aus dem Eisenbahnverkehr gewinnen und die Preise auf niedrigem Niveau halten. Die Bahn wurde gezwungen, flexibler zu werden, insbesondere in Bezug auf die Nachfrage. Schon bald kam der Trend zu entkoppelten Zügen auf und es wurden kürzere Garnituren eingesetzt. Damit konnte auf Nachfragespitzen flexibler reagiert und der Auslastungsgrad generell erhöht und werden.

Insgesamt setzte die Verkehrsnachfrage ihren leichten Aufwärtstrend fort, auch weil die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2025 weiterhin leicht zunahm. Auch der Trend der Urbanisierung war ungebrochen, was dazu führte, dass immer mehr Menschen in urbanen und suburbanen Gebieten wohnten. Dies hatte direkte Auswirkungen zum einen auf die Flächeneffizienz im SPNV, die dadurch verbessert werden konnte, und zum anderen auf die Länder, die in ihrer Pflicht der Daseinsvorsorge das ÖVAngebot im suburbanen Raum ausbauen mussten. Die Politik hat diesen Trend rechtzeitig erkannt und bereits im Jahr 2020 als Bestandteil der Umweltpolitik und der Energiewende konkrete Leitziele für eine „intermodale Waffengleichheit“ und einen „neutralen Wettbewerb“ im Mobilitätssektor festgehalten. In Kombination mit den Klimazielen wurden insbesondere für Verbrennungsmotoren immer stärkere Vorgaben erlassen, um zum Beispiel die Internalisierung von externen Effekten in die Mobilitätskosten miteinzubeziehen. All diese Gesetze waren die direkte Folge einer starken Governance, dank der die Verkehrswende Bestandteil der Energiewende geworden ist. Als Folge davon wurde ab dem Jahr 2025 mit großem politischen Willen der ÖV gefördert und priorisiert. Es wurden wieder vermehrt Investitionen in den ÖV getätigt und das Angebot ausgebaut, wodurch insgesamt die Qualität des ÖV zunahm. Parallel dazu setze die Politik ab dem Jahr 2020 auf die technologische Entwicklung von Alternativen zu Verbrennungsmotoren. Norwegen war dabei vorgegangen und liess ab dem Jahr 2025 nur noch Elektroautomobile zu. Auch der Trend des Autonomen Fahrens konkretisierte sich. Vor allem machten aber teilautomatisierte Komponenten das Autofahren sicherer. Ausgeweitete Test für autonome Fahrzeuge wurden unter strengen Auflagen durchgeführt. Nach mehreren Jahren musste die Automobilindustrie jedoch eingestehen, dass es bei teilautonomen Assistenzsystemen bleiben wird. So müssen auch die Fahrerenden jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug behalten.

Die Basis für all diese Entwicklungen wurde durch die Informations- und Kommunikationstechnologie gesetzt, deren Entwicklung ab dem Jahr 2016 immer weiter beschleunigt wurde. Natürlich waren dafür neue Datennetze notwendig, aber auch hier hat die Politik den Trend erkannt und früh begonnen, entsprechend zu investieren. Die rasante Steigerung der Verfügbarkeit der Datennetze sowie deren Übertragungsraten hat zu neuen Möglichkeiten geführt und das sogenannte „Check-In/Check-Out“ im ÖV war bereits 2025 Stand der Technik und überall im Einsatz. Durch die Vernetzung von Verkehrsmitteln und Infrastruktur und der GPS-Ortung, mit der jedes Fahrzeug sowohl im ÖPNV als auch im System Bahn geortet werden konnte, war es möglich, jederzeit jeden Fahrgast einer Fahrt zuzuordnen und im Anschluss daran vollautomatisch abzurechnen. Der Verkauf von Fahrkarten wurde hinfällig, was von politischer Seite so auch gefordert wurde. Bis 2030 waren alle Verkehrsunternehmen in der Pflicht, die „ein Ticket für alles“-Schnittstelle anzubieten und ihre Datenbanken zu harmonisieren. Dadurch war es ab 2030 Nutzenden möglich, mit ihrem Chip von allen Mobilitätsangeboten verkehrsmittelübergreifend und deutschlandweit zu profitieren. Auf Grund politischer Vorgaben und den gestiegenen Anforderungen der Nutzenden wurden schon sehr bald erste „Be-In/Be-Out-Systeme“ angeboten, die unterdessen im Jahr 2040 in beinahe allen Fahrzeugen standardmäßig angeboten werden.

3.3 Szenario „AUTOnomie“

Zusammenfassung des Szenarios

Die Technisierung des Alltags, die Digitalisierung und die Automatisierung haben eine rasante Entwicklung hinter sich. Technologische Innovationen haben dazu geführt, dass im Jahr 2040 die Eisenbahn in ihrer ursprünglichen Form als veraltet wahrgenommen wird. Es verkehren ausschließlich automatisierte Fern- und Nahverkehrszüge auf einem geschrumpften Bahnnetz. Des Weiteren steht die Bahn in direkter Konkurrenz mit neuartigen Verkehrsträgern, insbesondere dem Autonomen Fahren. Autonome Fahrzeuge sind unterdessen Stand der Technik und ein vollumfänglich akzeptiertes sowie etabliertes Verkehrsmittel. Das Eintreten von verschiedensten Anbietern, Leistungserbringern und Betreibern in den Verkehrsmarkt zusammen mit den unterschiedlichen regionalen Entwicklungen hat zu einer nie dagewesenen Vielfalt an Mobilitätskonzepten geführt, wobei oftmals ÖV mit IV vermischt wird und die Individualisierung des ÖPNV einen neuen Höhepunkt erreicht. Diese Vielfalt hat aber gleichzeitig auch zu einer unübersichtlichen Situation mit regional eingeschränkten technischen Insellösungen geführt.

Grundlegende Projektionen

  • Die Digitalisierung, die Informations- und Kommunikationstechnologien und die Automatisierung haben eine rasante Entwicklung hinter sich.
  • Die Technisierung des Alltags hat stattgefunden: Was immer möglich wird vernetzt und automatisiert.
  • Autonomes Fahren ist Stand der Technik und autonome Fahrzeuge sind ein akzeptiertes, etabliertes und beliebtes Verkehrsmittel.
  • Technologische Entwicklungen überholen die Bahn.
  • Das System Bahn verkehrt nur noch auf einem Schrumpfnetz.
  • Der Staat priorisiert andere Verkehrsmittel als die Bahn.
  • Die Vielfalt an Akteuren und Mobilitätskonzepten ist groß, was allerdings auch zu einer unübersichtlichen Situation geführt hat.
  • Die Individualisierung des ÖPNV erreicht neue Dimensionen.

Zukunftsbild 2040

Im Jahr 2040 wird die Eisenbahn in ihrer ursprünglichen Form als veraltet wahrgenommen. Die Technologie gilt als überholt. Der Hauptgrund dafür sind die rasanten Entwicklungen der Digitalisierung, der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Automatisierung. Gemeinsam haben diese Entwicklungen die Basis für den Durchbruch des Autonomen Fahrens gelegt. Diese Technologie ist vollständig akzeptiert und etabliert, auch weil ethische Fragen geklärt werden konnten. Die informationstechnische Sicherheit des Systems ist ebenfalls erhöht worden, so dass Störungen durch Hacker-Angriffe als unmöglich gelten. Im Falle eines Unfalles haftet der Hersteller der Software vollumfänglich, unabhängig davon, ob es sich um einen Hackerangriff oder einen Softwarefehler handelt. Für Nutzende ist Autonomes Fahren somit ohne Bedenken möglich und zudem aus verschiedenen Gründen attraktiv: Zum einen kann die Fahrzeit als gewonnene Zeit betrachtet werden, da das Lenken des Fahrzeuges vollautomatisch stattfindet und sich der Passagier anderen Tätigkeiten widmen kann. Zum anderen ist das Risiko eines Unfalles im Vergleich zum manuellen Lenken signifikant geringer, weswegen die Versicherungen finanzielle Anreize für den Wechsel vom herkömmlichen Fahren auf automatisiertes Fahren anbieten. Die wirtschaftlichen Vorteile für Nutzende ist aus diesen beiden Gründen gegeben und zudem ist die Technologie immer günstiger geworden, weswegen heute ausschließlich vollautomatisierte Kraftfahrzeuge in Produktion gehen und zum Verkauf stehen. Konventionelle Kraftfahrzeuge sind weiterhin erlaubt, sie verschwinden jedoch von der Bildfläche, da immer mehr Menschen von den Vorteilen von autonomen Fahrzeugen überzeugt sind.

Parallel zu dieser Entwicklung verliert auch der private Besitz von Kraftfahrzeugen an Relevanz, da mit dem Durchbruch von autonomen Fahrzeugen auch neue Akteure mit neuen Mobilitätskonzepten in den Verkehrsmarkt eingetreten sind. Die klassischen Taxen sind schon längst ausgestorben. An ihrer Stelle verkehren heute Angebote wie „DriveMe“, was nichts anderes ist, als ein Taxi ohne Fahrer. Das Geschäftsmodell von uberPool, das grundsätzlich ein Taxi mit der Option auf Mitnahme weiterer Gäste auf der prinzipiellen Route ist, wurde ebenfalls weiterentwickelt und ist heute bekannt unter dem Namen „DriveUs“. Dabei werden ausgehend von den Beförderungswünschen einzelner Fahrten durch vollautomatisch hinterlegte Algorithmen gebündelt. Dieses Konzept wird entsprechend günstiger als „DriveMe“ angeboten, ist jedoch im Vergleich zum Konzept „SmartShuttle“ immer noch relativ teurer. „SmartShuttle“, das in seiner Form an Rufbusse erinnert und die unflexiblen Linienbusse abgelöst hat, stellt heute im ÖPNV die günstigste Alternative dar. Als einzige Konstante in diesem System gelten die Haltestellen, die bedarfsgesteuert bedient werden, während der Linienverlauf und somit die Reisedauer je nach Nachfrage variieren. Die Fahrgäste können eine Fahrt im Voraus anmelden, was mit finanziellen Anreizen gefördert wird, oder sie können auch spontan an einer Haltestelle einen Fahrtenwunsch vormerken. In beiden Fällen wird unter Berücksichtigung der vorhandenen Bedingungen aller einzelnen bereits registrierten Fahrten und Nutzeransprüche ein neues Systemoptimum berechnet: Entweder wird ein bereits verkehrender SmartShuttle umgeleitet, oder es wird ein neuer SmartShuttle eingesetzt. Auf jeden Fall werden, abhängig vom Wochentag, der Uhrzeit und der Verkehrslage, jedem Nutzenden die vor Fahrtantritt versprochene maximale Fahrtdauer garantiert. Die Einführung der „SmartShuttle“ stel lte einen neuen Höhepunkt der Individualisierung des ÖPNV dar. Diese drei Angebote stellen heute zusammen mit den nach wie vor vorhandenen U-Bahnen im Jahr 2040 die Basis für einen funktionierenden ÖPNV dar und werden in der Verkehrsplanung gleichberechtigt berücksichtigt. Als wichtigster Bestandteil und Basis für das Funktionieren dieser Konzepte sind die reservierten und oftmals isolierten Fahrspuren. Alte Straßenbahn-Trassen wurden umgebaut und werden heute von SmartShuttles verwendet. Dies war notwendig, um die oben erwähnten garantierten Reisezeiten einhalten und gewährleisten zu können. Ein weiterer Bestandteil für die hohe Verfügbarkeit und das Einhalten der Qualitätskriterien der erwähnten Mobilitätskonzepte sind die sogenannten Pools, die nicht nur an Hauptbahnhöfen, sondern im gesamten Gebiet verteilt zur Verfügung stehen. Das sind mehrstöckige Tiefgaragen, in denen autonome Fahrzeuge geparkt sind und darauf warten, eingesetzt zu werden, um einen Fahrtenwunsch abzudecken.

Diese Mobilitätskonzepte werden nicht nur innerstädtisch und in urbanen oder suburbanen Regionen, sondern auf Grund ihrer Flexibilität und wirtschaftlichen Vorteile auch im ländlichen Raum angeboten. Dies hatte zur Folge, dass der SPNV im ländlichen Raum eingestellt wurde, weswegen die Zuggattungen Regionalbahn und Regionalexpress der Vergangenheit angehören. Die Eisenbahn konzentriert sich nur noch auf ein wirtschaftlich zu betreibendes Schrumpfnetz – dies allerdings mit Erfolg. Von dem Verlust der Eisenbahn in der Fläche sind urbane Verkehrssysteme wie U- oder S-Bahnen nicht betroffen. Das Streckennetz ist in Städten sogar punktuell erweitert worden. Die größte Innovation brachte aber der inzwischen vollautomatisierte Verkehr aller Linien. Der enorme Wandel der Eisenbahn zeigt seine Folgen besonders in der Infrastruktur. Das auf ein Kernnetz zusammengeschrumpfte Eisenbahnnetz verbindet neben den urbanen Räumen nur noch Großstädte mit einer Einwohner_innenzahl von über 200 000 Bewohner_innen. Städte wie Oldenburg, Stralsund, Bamberg oder Passau wurden dadurch abgehängt, was sich negativ auf deren Einwohner_innenzahlen auswirkt und in Metropolen zu einem noch rasanteren Anstieg der Bewohner_innen führt. Auch wenn grundsätzlich die Förderung der Schiene zurückgegangen ist, so ist die Qualität im Fernverkehr heute auf vergleichsweise hohem Niveau. Dies liegt mitunter daran, dass der Verkehrsmarkt generell liberalisiert ist und viele Verkehrsunternehmen um die wenig verbliebenen Strecken konkurrieren. Um die Verkehrsleistung erbringen zu dürfen, müssen sie bessere Qualität und günstigere Preise als die Konkurrenz offerieren. Zudem wurde das System Bahn grundsätzlich vereinfacht und erinnert heute stark an U-Bahn-Konzepte, weswegen oftmals auch von einer „U-Bahnisierung“ gesprochen wird: Die Fernverkehrszüge verkehren vollautomatisiert im Pendelverkehr auf isolierten kreuzungsfreien und eingezäunten zweigleisigen Strecken zwischen zwei Metropolen (z. B. Berlin – Hamburg oder Berlin – Frankfurt). Dabei werden in der Regel Großstädte, die an der Strecke liegen, bedient, aber es gibt keine Abweichungen von den starren Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. Dies führt zwar insgesamt bei langen Fahrten zu mehr Umsteigevorgänge, jedoch konnte so die Systemstabilität im Vergleich zu früher mit vielen Weichen und im Mischverkehr mit Güter- und Regionalverkehr deutlich erhöht werden. Die Züge verkehren auf artreinen Personenverkehrsstrecken ohne Güterverkehr. Zudem verkehren die Züge im Vergleich zu früher viel öfter und in kleineren Garnituren, um flexibel auf Nachfrageänderungen reagieren zu können. Grundsätzlich verkehren die Pendelzüge im 15-Minuten-Takt mit den gleichen Geschwindigkeiten, weswegen im System keine Überholmöglichkeiten vorgesehen und eingebaut sind.

Im Fernverkehr wird heute wie früher auf den SPFV gesetzt, der mit seinen Systemvorteilen im Fernverkehrsmarkt weiterhin eine prägende Rolle spielt und sich auch gegenüber autonomen Fahrzeugen behaupten kann. Die Fahrkarten im SPFV sind unterdessen teuer, jedoch ist das Preis-Leistungs-Verhältnis ausgezeichnet: Die Fahrgäste profitieren von einem hohen Taktverkehr, zuverlässigen Verbindungen und viel Komfort. Die Verkehrsunternehmen, die einzelne Punkt-zu-Punkt-Verbindungen anbieten, profitieren von den hohen Preisen und der hohen Nachfrage und schreiben schwarze Zahlen. Auf den sogenannten Rosinenstrecken ist das Erbringen von Verkehrsleistungen sogar lukrativ, allerdings ist hier der Konkurrenzkampf intensiv. Dass der Betrieb wirtschaftlich sein muss, liegt auch daran, dass die Bahn von politischer Seite Gegenwind verspührt und teilweise als Auslaufmodell angesehen wird. Dies liegt sicherlich an den technologischen Entwicklungen der anderen Verkehrsträger, ist aber auch eine Folge der nicht konsequenten Verfolgung der Klimaziele und der Energiewende. Dies widerspiegelt sich in der Priorisierung anderer Verkehrsmittel und Verkehrsträger, aber auch am Subventionsentfall der Bahnfahrten und an den zurückgehenden Investitionen in das Bahnnetz. Nach der radikalen Schrumpfkur werden nur noch selten Investitionen in das Bahnnetz getätigt. All diese Entwicklungen sind aber nicht nur alleine auf die Entwicklung anderer Technologien oder auf mangelnde Governance zurückzuführen, sondern sind teilweise auch hausgemacht. In den letzten Jahrzenten wurde das System Bahn in seiner ursprünglichen Form durch rechtliche Rahmenbedingungen nicht vereinfacht, sondern verkompliziert. Die Anzahl an kleinen Vorschriften, an erlassenen Gesetzen und Normen und auch an Vorgaben seitens der europäischen Union hat immer mehr zugenommen und das System Bahn äußerst komplex werden lassen. Dies hat unweigerlich zu einer generellen Kostensteigerung geführt und für Kunden wurde das System Bahn derart kompliziert, dass das Image kontinuierlich gesunken ist. Die ursprünglichen Ansätze zur Standardisierung, Harmonisierung und Interoperabilität mit dem Ziel einer Senkung der Produktionskosten konnten nie in die Praxis umgesetzt werden und wurden rasch fallen gelassen. Noch heute sind mehrere Leit- und Sicherungssysteme parallel im Einsatz und die Ziele der EU bezüglich Umsetzung des European Train Control System sind nie erreicht worden.

Dieser europaweite mangelnde Wille an Harmonisierung und Vereinheitlichung der Technologien und Schnittstellen kann heute auch national und regional und bei anderen Verkehrsträgern beobachtet werden. Es wird sogar von einem Mobilitäts-Dschungel gesprochen, denn die rasante Entwicklung des Autonomen Fahrens und die unterschiedlichen Präferenzen der Regionen und Städten hat dazu geführt, dass die Situation heute unübersichtlicher denn je ist. Verschiedenste Anbietende mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen haben für verschiedene Regionen spezifische Mobilitätskonzepte entwickelt. Die grundlegenden Ideen wie „DriveMe“, „DriveUS“ oder „SmartShuttle“ sind dabei in allen Konzepten zu erkennen, jedoch setzen die Unternehmen auf eigene spezifische Soft- und Hardware. Es sind keine Verzahnungen der Konzepte erkennbar und es fehlt an nationalen übergeordneten Vorgaben zur Vereinheitlichung der Insellösungen. Diese Kleinstaaterei hat dann auch zu einem App-Wahn geführt: Unzählige Applikationen und Anwendungen stehen den Nutzenden zur Verfügung. Für jede Stadt und für jede der dort angebotenen Mobilitätlösungen muss in der Regel eine spezifische App verwendet werden. Die Entwicklung der Digitalisierung und der Informations- und Kommunikationstechnologien konnte mit der Automatisierung Schritt halten, so dass unterdessen von einer „Connected World“ die Rede ist. Die Technisierung des Alltags hat dazu geführt, dass heute Infrastruktur, Fahrzeuge und Kleinststeile engmaschig vernetzt sind und miteinander kommunizieren, jedoch in aller Regel nur in einem eingeschränkten Perimeter wie zum Beispiel in einer Großstadt. Die Basis dazu liefern die Datennetze, deren Übertragungsraten und Verfügbarkeit Jahr für Jahr gesteigert werden konnten und heute ein für bis dahin nicht möglich gehaltenes Level erreicht haben. Die Funknetze sind zudem flächendeckend vorhanden, also auch im ländlichen Raum. Das wiederum hat dazu geführt, dass heute quasi alles in der Cloud abgespeichert wird und Big Data zu Giga Data umbenannt wurde.

Die Entwicklung im Rückblick

Die Digitalisierung, die Automatisierung und die Informations- und Kommunikationstechnologien haben eine rasante Entwicklung hinter sich. Die Datenübertragungsraten und die Verfügbarkeit der Datennetze wurden immer besser, so dass die Technisierung des Alltages und die Verknüpfung von Infrastruktur und Fahrzeuge immer größere Dimensionen annahmen. Bereits im Jahr 2020 war nicht mehr von Big Data, sondern von Giga Data die Rede, und was immer möglich wurde in der Cloud abgespeichert. Durch diese digitale Verknüpfung war es bereits im Jahr 2020 möglich, Testfahrten von autonomen Fahrzeugen auf deutschen Straßenabschnitten durchzuführen – wenn auch noch unter relativ strengen Richtlinien. Das Ziel war es, herauszufinden, ob sich die Technologie bewährt und tatsächlich die Sicherheit auf den Straßen erhöhen kann. Nachdem die Testphase erfolgreich abgeschlossen worden ist, erhöhte sich der Druck der Automobilbranche auf die Politik zusehends. Diese konnte nun nicht länger zuwarten und war gezwungen, die Vorschriften und Regelwerke bezüglich dem Autonomen Fahren zu lockern. Bereits 2025 war es rechtlich erlaubt, auf Autobahnen vollautomatisiert zu fahren. Der Fahrzeugführende durfte sich dabei zwar vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden, jedoch musste dieser immer an Lenkrad und Bremspedal sitzen, um nach Aufforderung des Systems wieder die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Zudem standen erst wenige Fahrzeugmodelle zur Verfügung, die dazu in der Anschaffung sehr teuer waren. In den darauffolgenden Jahren konnten immer mehr Menschen positive Erfahrungen sammeln, was die Akzeptanz und Beliebtheit der Technologie in der Gesellschaft signifikant erhöhte. Die Automobilbranche in Deutschland erkannte den Trend und arbeitete intensiv an der Entwicklung und Optimierung des Autonomen Fahren, auch um es für die Masse bezahlbar zu machen. Zudem wurde die Sicherheit im Straßenverkehr durch automatisiertes Fahren im Vergleich zum konventionellen Fahren signifikant erhöht. Dies führte dazu, dass die Politik gefordert war, zeitnah umfassende Gesetze zu erlassen, um Autonomes Fahren generell und flächendeckend zuzulassen. 2030 wurden dann alle Regelwerke wie das Straßenverkehrsgesetz überarbeitet und es war fortan er- laubt, wenn auch immer noch unter gewissen Bedingungen und mit Einschränkungen, die Kontrolle über das Fahrzeug dem System zu überlassen. Diese Gesetzesänderungen verhalfen dem Autonomen Fahren zum Durchbruch, und bereits 2035 war das Autonome Fahren aus rechtlicher Sicht generell erlaubt.

Diese beschriebene rasante Entwicklung führte allerdings dazu, dass die Politik sich immer mehr von der Bahn abwendete. Mit Voranschreiten der Zeit wurde die Technologie des Autonomen Fahrens politisch und finanziell gefördert, was sich unmittelbar auf den Schienenverkehr auswirkte. Bereits im Jahr 2020 wurde erstmals darüber debattiert, ob der Netzausbau gestoppt werden sollte. Kurz darauf wurde in einem Grundsatzentscheid festgehalten, dass ab sofort keine weiteren Gelder in Neubauten im Schienenverkehr fließen werden. Die Instandhaltung des bestehenden Netzes und die Subventionen wurden vorerst garantiert, jedoch galt die Zukunft der Bahn als ungewiss und unsicher. Dieser Grundsatzentscheid war allerdings nicht kompatibel mit den Vorgaben der EU, was unweigerlich zu politischen Spannungen und Auseinandersetzungen und zu Nervosität im Schienenpersonenverkehrsmarkt führte. Des Weiteren litt der SPNV an der intermodalen Konkurrenz, insbesondere des Autonomen Fahrens. Die ländliche Bevölkerung setzt dabei schon lange nicht mehr auf die Eisenbahn, sondern die auch im ländlichen Raum angekommen Mobilitätsangebote der Straße. Im SPNV sanken die Auslastungsgrade kontinuierlich, wodurch immer weniger Einnahmen generiert werden konnten und mehr Subventionen notwendig gewesen wären. Die finanzielle Unterstützung jedoch blieb aus, auch weil die Politik im SPNV keine Zukunft sah. Die Pflicht der Daseinsvorsorge wurde dabei vermehrt durch Angebote auf der Straße übernommen. So war bereits im Jahr 2030 die Hälfte der Linien im SPNV eingestellt. Dieser Trend fand seine Fortsetzung, Strecke für Strecke wurde stillgelegt und die Regionalbahnen und der Regionalexpress verschwanden von der Bildfläche. Immer mehr Unternehmen zogen in der Folge ihr Interesse an der Erbringung von Verkehrsleistungen zurück oder mussten Konkurs anmelden. Der Schienenpersonenfernverkehr musste sich auf diese neue Situation ebenfalls einstellen und kämpfte zu Beginn mit einem Nachfragerückgang. Durch die Liberalisierung des Fernverkehrsmarktes im Jahre 2030 und die konsequent umgesetzte Automatisierungsstrategie fuhren aber bereits im Jahr 2035 ausschließlich vollautomatisierte Züge, wodurch zum einen wieder Verkehrsunternehmen angelockt und zum anderen die Produktionskosten reduziert werden konnten. Auch durch die politisch akzeptierte Reduzierung auf ein wirtschaftliches Kernnetz, bei dem nur Städte ab einer Einwohnerzahl von 200 000 Menschen angebunden wurden, gelang es, den Fernverkehr zu erhalten und wirtschaftlich zu betreiben.

4. Diskussion der Szenarien

Das Ziel dieses Kapitels ist es, für nachgelagerte Prozesse eine fundierte Basis aus wissenschaftlicher Perspektive zu schaffen. Aus diesem Grund werden in einem ersten Schritt die Szenarien einander gegenübergestellt und verglichen. Im zweiten Schritt werden die Erkenntnisse aus dem Szenarioprozess, den Zukunftsbildern und den Entwicklungspfaden festgehalten und diskutiert. Dies geschieht aus einer wertneutralen Perspektive und hat zum Ziel, die notwendige Grundlage für weiterführende Diskussionen, anschließende Forschung, nachgelagerte Strategiebildung oder weitere Verwendungen zu liefern. Dabei wird darauf geachtet, dass die gebündelten Ergebnisse für alle Interessierten genauso wie für Politiker_innen sowie Unternehmer_innen von möglicher Relevanz sind.

4.1.Gegenüberstellung der Szenarien

Die drei Szenarien „New-Rail-Deal“, „Big Mix“ und „AUTOnomie“ zeigen drei trennscharfe mögliche Zukunftsbilder der Eisenbahn in Deutschland für das Jahr 2040 auf. Zur besseren Vergleichbarkeit der drei Szenarien sind in Abbildung 5 die verwendeten Ausprägungen der jeweiligen Szenarien übersichtlich dargestellt. Die Linien stellen die Kombinationen der Ausprägungen dar, wobei jede Farbe für ein Rohszenario steht. Die verwendeten Ausprägungen sind dabei jeweils durch einen Punkt auf der Linie visualisiert.

Die Trennschärfe der Szenarien kann als sehr hoch eingestuft werden, da nur die Ausprägung „7.1 All-in-one“ doppelt verwendet ist. Eine Überschneidung von zwei Szenarien im Schlüsselfaktor „Informations- und Kommunikationstechnologie“ war allerdings unvermeidbar, da nur zwei Ausprägungen bei drei Szenarien zur Auswahl standen. Eine Abdeckung aller identifizierten Ausprägungen war aufgrund der begrenzten Anzahl an Szenarien nicht möglich. So finden sich für weitere Szenarien noch andere spannende Ausprägungen. Beispielsweise könnte eine weitere interessante Untersuchung die in Deutschland seit Jahren diskutierte Ausprägung „6.2 Deutschlandtakt“ berücksichtigen. Ebenfalls sehr interessant könnte die Ausprägung „4.4 Energiewende + Verkehrswende“ sein, da sie Inhalt einiger Parteiprogramme sowie Koalitionsvereinbarungen ist. Für ein Extremszenario würde sich die Ausprägung „6.5 Schienenbruch“ anbieten, in dem die Eisenbahn im Jahr 2040 der Vergangenheit angehört und die Infrastruktur anderweitig Verwendung findet.

4.2 Erkenntnisse aus dem Szenarioprozess

Aus dem Szenarioprozess und den Szenarien selbst können viele Erkenntnisse für Diskussionen, Strategiebildung, anschließende Forschungen oder andere Verwendungen gewonnen werden. Diese werden im Folgenden aufgeführt und beschrieben, wobei stets darauf geachtet wird, dass Aussagen ausschließlich aus dem durchgeführten Prozess abgeleitet werden.

Aus dem Szenarioprozess und vor allem den Zukunftsbildern wird deutlich, dass das Thema Verkehr und Mobilität sehr stark mit politischen Entscheidungen zusammenhängt. Von den acht Schlüsselfaktoren behandeln zwei, die „Politik“ und die „Rechtliche Rahmenbedingungen“, den Handlungsspielraum politischer Entscheidungen. Diese sind naturgemäß eng miteinander verknüpft und üben gemeinsam einen starken Einfluss auf andere Schlüsselfaktoren aus. Gemäß dem Wirkungsgefüge werden die Schlüsselfaktoren „Akteurskonstellation und Konkurrenzsituation“ und „Schienenpersonenverkehrsangebot“ sehr stark von Veränderungen in den politischen Schlüsselfaktoren beeinflusst. Auch in den generierten Szenarien zeigt sich die starke Verknüpfung der politischen Entscheidungen mit den möglichen Zukünften. So scheint das Szenario „New-Rail-Deal“ nur dann möglich, wenn mit starken regulatorischen Vorgaben das Verkehrsmittel Eisenbahn konsequent priorisiert wird. Auch im Szenario „Big Mix“ ist ein starker politischer Wille zwingend und die Subventionierung der Eisenbahn unabdingbar. Das Szenario „AUTOnomie“ hingegen zeigt die Auswirkung einer Unterstützung des Automobils durch die Politik. Zudem konnte durch die festgehaltenen Entwicklungspfade festgestellt werden, dass politische Prozesse zeitnah anlaufen müssen, damit die Szenarien eintreten. Im Szenario „New-Rail-Deal“ ist es sogar notwendig, dass einschneidende politische Entscheide bereits sehr zeitnah gefällt werden. Die Gründung der staatlichen Eisenbahnorganisation „New-Rail“ ist auf das Jahr 2022 angesetzt. Dies liegt daran, dass politische Prozesse erfahrungsgemäß eine gewisse Anlaufzeit benötigen, und dass das System Bahn auf Grund des großen Bedarfs an Planungen und den langen Lebenszyklen von Fahrzeugen und Infrastruktur als träge bezeichnet werden kann. Umfangreiche Änderungen oder Anpassungen der Verkehrsinfrastruktur oder des Rollmaterials benötigen bis zur Umsetzung eine gewisse Vorlaufzeit in der Planung.

Generell gilt: Je früher auf die Auswirkungen der verschiedenen Entwicklungen hingewiesen und damit eine Auseinandersetzung mit der Thematik angestoßen wird, desto positiver sind die Folgen für die Eisenbahn und die Gesellschaft. Eine wesentliche Veränderung der Eisenbahn wird bereits in der Anbindung des ländlichen Raums offensichtlich. Je nachdem wie sich dieser Siedlungsraum in Zukunft entwickeln wird, spielt dabei die Eisenbahn entweder gar keine, eine überschaubare oder sogar eine relevante Rolle. Dies hängt auch vor allem mit der Entwicklung der Technologie der Automatisierung auf der Straße und Schiene sowie den damit zusammenhängenden neuen Mobilitätsangeboten zusammen. Weiterhin sind die heute noch ländlichen Regionen, die an urbane Gebiete angrenzen, in Zukunft auf Grund des zu erwartenden ungebrochenen Trends der Urbanisierung möglicherweise die Einzugsgebiete von Ballungsgebieten. Bisher scheint ein schlüssiges Konzept zur Anbindung des ländlichen Raums an die Eisenbahn, welche Form diese auch annehmen wird, noch zu fehlen.

Je früher der Entscheid für ein Konzept gefällt wird, desto eher können teure Fehlinvestitionen in die Infrastruktur vermieden werden. Gleiches gilt für die Entwicklung der Mobilität in der Stadt. Wenn in urbanen Zentren die Bevölkerung zunimmt und die Großstädte weiterwachsen, dann stellt sich die Frage, in welcher Form die Daseinsvorsorge und damit einhergehend die Mobilität gewährleistet wird – und welche Rolle die Eisenbahn dabei einnimmt.

Für die Eisenbahn selbst werden in den Szenarien unterschiedlichste Zukünfte aufgezeigt. Eine wesentliche Erkenntnis neben der großen Abhängigkeit von politischen Einflussfaktoren ist, dass den verschiedensten möglichen Entwicklungen mit großer Offenheit zu begegnen ist. Damit ist nicht gemeint, jede denkbare Entwicklung anzuerkennen, jedoch sollten die Verkehrsplaner_innen genauso wie Politiker_innen die möglichen Entwicklungen und deren Folgen ernsthaft und konsequent durchdenken. In den Szenarien „New-Rail-Deal“ und „AUTOnomie“ findet sich ein System Bahn wieder, das sich enorm von dem heutigen unterscheidet: Harmonisierung, Standardisierung und Vereinheitlichung sind dort wichtige Elemente. Ob in Zukunft auf Mischverkehr verzichtet wird, ob tatsächlich die modernsten Leit- und Sicherungstechniken zur Anwendung kommen, ob nur noch Punkt-zu-Punkt-Verbindungen angeboten werden oder ob kleine Garnituren und entkoppelte Züge verkehren – allesamt sind mögliche und denkbare Ausprägungen. Selbst der heute immer wieder diskutierte „Deutschlandtakt“, der in keinem der Szenarien enthalten ist, stellt eine mögliche Ausprägung dar. Das Ziel dabei bleibt allerdings immer dasselbe: Die Komplexität und damit die Produktionskosten des Systems Bahn sind zu reduzieren, um dieses für eine Vielzahl von Kund_innen attraktiver zu gestalten.

Bezüglich der bestmöglichen Verwendung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ergeben sich aus den Szenarien weitere Erkenntnisse. So ist in keinem Szenario vorgesehen, umfangreiche Ausbauten in die Bahninfrastruktur zu tätigen. In diesem Kontext wirkt der Bundesverkehrswegeplan mit den darin enthaltenen Bauvorhaben fragwürdig. Trotzdem, und das zeigen alle drei Szenarien, wird in Zukunft ein hoher finanzieller Aufwand notwendig sein, um die Mobilität auf dem heutigen Niveau zu halten und zu gewährleisten. In den Szenarien „New-Rail-Deal“ und „Big Mix“ fließt das Geld überwiegend oder teilweise in die Schiene, während im Szenario „AUTOnomie“ klar die Straße priorisiert wird und dabei immense Investitionen in die Straßenin-frastruktur notwendig werden. Die Entwicklungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien sowie in der Digitalisierung werden die Mobilität verändern und den Umbau bisher bekannter Strukturen notwendig machen. Unabhängig von der Priorisierung des Verkehrsmittels muss jetzt eine Auseinandersetzung mit der Technologie des Autonomen Fahrens und dessen Folgen stattfinden. Ob diese Technologie sich durchsetzen wird, ist offen. Sollte sich aber im Jahr 2040 das Autonome Fahren etablieren, wie im Szenario „AUTOnomie“ aufgezeigt, so wird dies enorme Veränderungen mit sich bringen. Dies gilt dabei nicht nur für den Verkehr auf der Straße, sondern auch für die Eisenbahn. Doch auch wenn der SPNV durch die Vielzahl an Mobilitätskonzepten in seiner jetzigen Form in Frage gestellt wird, so ist in keinem der Szenarien der SPFV wegzudenken. Im Gegenteil: Der SPFV ist in allen Szenarien essentieller Bestandteil des Mobilitätsangebotes in Deutschland und kann in zwei von drei Szenarien sogar eigenwirtschaftlich betrieben werden. Es ist jedoch absehbar, dass mit dem Trend der Sharing-Gesellschaft und der Vielzahl von neuen Mobilitätskonzepten zukünftig der ÖV weiter mit dem Individualverkehr verschmelzen wird. Auch wird durch neue Plattformen, eine neue Ticket- und Preispolitik oder durch neue Mobilitätsangebote die Individualisierung des ÖV möglicherweise zunehmen. Dabei ist die Idee von „Ein Ticket für alles“ eine denkbare Ausprägung und Bestandteil eines Szenarios. Nichts desto trotz wird unabhängig vom Ticketsystem der Zugang zum System Bahn sowie generell zu den Mobilitätsangeboten in zwei von drei Szenarien vereinfacht. Dank GPS, Smartphones und weiteren zukünftigen Innovationen sind neue Lösungen zu erwarten und führen alle mehr oder weniger zur Idee des „Be-In/Be-Out“ mit automatisierter Erfassung und Abrechnung nach Bestpreismodellen. Andere innovative neue Technologien und Verkehrsmittel sind in keinem der Szenarien enthalten. Der Aufbau eines neuartigen Transportsystems innerhalb der Zeitspanne der Arbeit scheint unrealistisch, jedoch im Hinblick auf noch längerfristige Zeiträume denkbar. So sind weder „CargoCaps“ noch „Hyperloop“ oder die Idee des „Platooning“ Bestandteil der Zukunftsbilder. Allerdings ist in einem der Szenarien das Konzept „Car-on-Train“ zumindest auf einer Strecke umgesetzt.

Der Szenarioprozess zeigte auch auf, dass die Akteure im System Bahn selbst nur in einem verhältnismäßig kleinen Rahmen Einfluss auf das Wirkungsgefüge und somit die Entwicklung der Eisenbahn nehmen können. Sie werden in den meisten Fällen von anderen Veränderungen wie zum Beispiel von rechtlichen Rahmenbedingungen, politischen Entscheidungen und technologischen Entwicklungen beeinflusst. Um die Zukunft selbst aktiv gestalten zu können, muss es das Ziel aller Beteiligten sein, diese passive Rolle in eine aktive umzuwandeln. Für diesen Anstoß bieten sich Initiativen von Politiker_innen für die Eisenbahn in Wahlen, der Gesetzgebung und den damit zusammenhängenden politischen Ämtern, Ministerien und Institutionen auf allen Ebenen an. Es stehen aber auch andere Wege und Instrumente wie Bürger_inneninitiativen, Interessensverbänden und Lobbyisten zur Verfügung. Der politische Wille und damit die Gesellschaft gestalten also maßgebend die Zukunft der Eisenbahn in Deutschland.

Als letzter Prozessschritt wurden die Störereignisse analysiert. Um diesen Risiken zu begegnen ist es beispielsweise für das Störereignis „Klimawandel“, welches von einer Beschleunigung und extremen Folgen ausgeht, nötig, die Abhängigkeiten und Folgen für die Eisenbahn zu untersuchen. So könnte die Eisenbahn zur Vermeidung dieses Störereignisses bei der Gestaltung der Verkehrs- und Energiewende eine tragende Rolle einnehmen. Letztendlich ist es eine Frage der Umweltpolitik, inwiefern und wie intensiv dabei der Umweltverbund priorisiert wird. Für zwei von drei Szenarien ist ein starker politischer Wille zugunsten der Eisenbahn notwendig, der offensichtlich eng gekoppelt ist an eine konsequente Verfolgung der Klimaziele. Auch aus diesem Blickwinkel betrachtet nimmt die Politik eine führende, tragende oder sogar entscheidende Rolle ein.

5. Resümee

Abschließend kann festgehalten werden, dass der Szenarioprozess ein äußerst hilfreiches Instrument in vielerlei Hinsicht darstellt. Wird die Vielzahl der neuen Erkenntnisse aus dem Szenarioprozess betrachtet, so ist es umso erstaunlicher, dass die Akteure aus dem System Bahn sich dieser Methodik bisher nur äußerst selten bedienen. Die Szenariotechnik kann für die weitere Entwicklung der Eisenbahn und Mobilität in Deutschland wertvolle Denkanstöße, Hinweise und Diskussionen liefern. So konnten durch die Szenarien Möglichkeiten und Grenzen von drei verschiedenen Zukunftsbildern aufgezeigt werden. Weiterhin konnte mithilfe der Zukunftsbilder eine Antwort auf die gestellte Forschungsfrage „Wie sehen mögliche Zukünfte des Schienenpersonenverkehrs in Deutschland im Jahre 2040 aus?“ klar beantwortet werden. Dabei wurde sowohl der Anspruch an die Anzahl und die Qualität der Szenarien als auch die Validität der Ergebnisse wurde unter anderem dank der Einbindung von Expert_innen erfüllt. Wäre dieser Prozess jedoch mit mehr finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen ausgestattet, könnte der Szenarioprozess noch valider gestaltet werden. So würde auch für die Auswahl und Vereinheitlichung der Einflussfaktoren, die Identifikation der Schlüsselfaktoren, die Einteilung der Faktoren sowie die Erarbeitung der Konsistenzmatrix auf Wissen weiterer Expertinnen und Experten zurückgegriffen werden. Des Weiteren könnten die Wechselwirkungen zwischen dem Personen- und Güterverkehr besser betrachtet werden, wobei eine gleichzeitige Berücksichtigung in einem Szenarioprozess dessen Komplexität deutlich erhöht.

Über alle Prozessschritte hinweg wurde deutlich, dass es äußerst wichtig war, sich von normativen Vorstellungen und Wünschen zu lösen, um einen explorativen Szenarioprozess erfolgreich durchführen zu können. Oftmals mussten sich dabei die Beteiligten am Szenarioprozess die Definitionen und Unterschiede von möglichen, wahrscheinlichen und wünschbaren Zukünften erneut in Erinnerung rufen. Insgesamt kann dies jedoch als bekannte Herausforderung dieser Szenariotechnik eingestuft werden. Auch die durch den Prozess hervorgebrachte Vielfalt an Faktoren und systemischen Zusammenhängen stellte eine nicht zu unterschätzende Aufgabe dar. Im Zuge dieser Bearbeitung wurde die Thematik auf den Schienenpersonenverkehr eingegrenzt. Daher wäre es sinnvoll, eine ähnliche Untersuchung mit Fokus auf dem Schienengüterverkehr durchzuführen. Zudem zeigte die Komplexität der Zusammenhänge auf, dass es auch sinnvoll sein kann, detaillierte Untersuchungen mithilfe der Szenariotechnik für spezifische Verkehre wie zum Beispiel den SPFV, SPNV oder Nachtzugverkehr durchzuführen. Auch könnten weitere Szenarien konkret den Wandel der Mobilität in verschiedenen Gebieten untersuchen.

Aus den entwickelten Szenarien selbst ergeben sich eine Vielzahl weiterer Anknüpfungspunkte für Untersuchungen. So ist es im Interesse des Systems Bahn, Antworten auf eine Zukunft im Falle des Durchbruchs einer neuen innovativen Technologie wie zum Beispiel derjenigen des Autonomen Fahrens zu finden. Auf Grund der neuen intermodalen Konkurrenzsituation stellt sich die Frage, in welcher Form die Eisenbahn noch bestehen kann und welche anderen alternativen Möglichkeiten es gäbe, die Zukunft der Bahn aktiv zu gestalten. Für die das System Bahn gilt es auch zu untersuchen, welche Formen der Harmonisierung, Standardisierung und Vereinheitlichung die zukünftige Entwicklung das Bahnsystem stärken können. Dabei gilt es insbesondere die Bereiche Infrastruktur und Fahrzeuge aber auch das Tarifsystem zu untersuchen. Aufgrund der beschränkten öffentlichen Finanzmittel sollten auch Antworten zur realistischen Finanzierbarkeit der Infrastruktur gesucht werden. Dabei wäre es hilfreich, verschiedenste Gestaltungsformen bspw. der Priorisierung urbaner Gebiete, dem Fernverkehr oder dem Konzept der Entmischung der Verkehre wissenschaftlich zu untersuchen. Damit hängt auch die Fragestellung einer sinnvollen Zielgeschwindigkeit und Gesamtreisezeit im deutschen Eisenbahnnetz zusammen. Weiterhin müssten Forschungen zu alternativen Organisations- und auch Finanzierungsformen der Eisenbahn analog dem skizzierten Konzessionsmodell angestoßen werden. Außerdem ist es denkbar, Vorgaben und bisherige Entwicklungen seitens der EU zu hinterfragen und daraus neue Reformen und politische Handlungen zu initiieren. Aufgrund der geringen Innovationskraft des Bahnsystems ist zudem zu untersuchen, in welcher Form andere Innovationen und technologische Entwicklungen im System Bahn Anwendung finden könnten. So finden sich in den Szenarien neben den Ideen der Standardisierung Vorschläge zur Modernisierung der Leit- und Sicherungstechnik, zur Entwicklung neuartiger Antriebskonzepte und zur Automatisierung des Betriebs. In Bezug auf das Angebot des Schienenpersonenverkehrs im Nah- wie Fernverkehr sind umfangreiche Vorschläge für weitere Forschungsarbeiten ableitbar. So sind kürzere und flexiblere Einheiten, verschiedene Taktungen und eine Angleichung der Fahrzeuge Ausgangspunkte möglicher Fragestellungen. Auch die Chancen und Möglichkeiten der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien bieten Ausgangspunkt für weitere Fragestellungen mit Bezug zur Eisenbahn. Beispielsweise sind hier neue Mobilitätsplattformen und Ticketing-Systeme denkbar.

In Bezug auf den Umgang der Gesellschaft, Unternehmen und Politik mit unsicheren Zukünften gilt es, die Möglichkeiten für die Integration der Zukunftsforschung in Planungsprozesse weiter zu beleuchten. Speziell die in langfristigen Planungshorizonten agierende Bahnbranche braucht dringend Antworten auf mögliche Investitionsstrategien in Bezug auf Fahrzeuge und Infrastruktur. Dabei ist es wichtig, der Integration von unsicheren Zukünften in den Planungsprozess mit Offenheit zu begegnen und der Phase entsprechende Planungsgranularitäten anzuwenden. Grundsätzlich bietet sich die Arbeit auch als fundierte Grundlage an, um einen Strategiebildungsprozess zu initiieren. Um sich auf mögliche zukünftige Veränderungen besser einstellen zu können, sollten bereits heute aus den Zukunftsbildern Strategien und Maßnahmen abgeleitet werden, die sich an den festgehaltenen Entwicklungspfaden anlehnen können. Dieser nachgelagerte Schritt dürfte insbesondere für Unternehmen und Akteure in der Bahnbranche von großem Interesse sein. Auch für Verkehrsverbünde, Aufgabenträger, Städte oder Kommunen können aus den Zukunftsbildern Denkanstöße für die Entwicklung und Planung entnehmen. Sehr relevant und spannend sind die Ergebnisse auch für Politiker_innen. Diese sollten auf die in der Arbeit aufgeworfenen Fragen Antworten finden um daraus Leitbilder und Visionen zu entwickeln. Gerade im Kontext der Energie- und Verkehrswende, der Verteilung von finanziellen Mitteln sowie den Herausforderungen des Klimawandels kann die vorliegende Arbeit eine Basis darstellen, um darauf aufbauend politische Debatten zu initiieren und Lösungsansätze zu finden.

Welche Form auch immer die Anschlussverwendung annehmen wird und inwiefern die Ergebnisse interpretiert werden: die drei Szenarien zeigen unterschiedliche Entwicklungspfade und mögliche Zukunftsbilder auf. Nun liegt es am Menschen, der Politik und Institutionen, entsprechende Fragen und Konsequenzen daraus abzuleiten. Nicht erwünschte Zukünfte sollten als Warnung und erwünschte Zukünfte als Anstoß dienen, die Veränderungen in der Mobilität der heutigen Welt aktiv mitzugestalten. An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass keine der dargestellten und entworfenen Zukünfte exakt wie beschrieben eintreten wird. Der Szenarioprozess erhebt diesen Anspruch auch nicht, bietet aber mitsamt seinen Ergebnissen Ausgangspunkte für weitere Überlegungen und fordert zum Denken in Alternativen auf. Dabei sollte darauf geachtet werden, den möglichen Entwicklungspfaden und Zukünften jederzeit offen zu begegnen. Dies bedeutet auch, normative Vorstellungen bestmöglich auszublenden und die Chancen von explorativen Herangehensweisen zu sehen.

Die Masterarbeit wurde sowohl als Buch im ksv-Verlag (ISBN 9 783940 685704) wie auch im Rahmen der Discussion Paper Reihe des Fachgebiets für Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin veröffentlicht. Die Publikationen sollen dazu beitragen, Diskussionen um die Zukunft des Systems Schiene zu bereichern.