“Hartz IV ein Disziplinierungsinstrument”- “Mittlerweile befindet sich fast jeder Vierte in einem prekären Arbeitsverhältnis”

Screenshot twitter.com Screenshot twitter.com

Obwohl der Mindestlohn gezahlt wird, bleibt häufig weniger als Hartz IVübrig? Der Mindestlohn ist eigentlich ein Instrument, um Löhne zu schützen. Trotzdem bleibt häufig weniger als das, was einem Hartz-IV-Empfänger zusteht.

“Trotz Mindestlohn bleibt weniger als Hartz IV” 

>>Focus<<

“Trotz Mindestlohn bleibt weniger als Hartz IV – Lohnt es sich dann noch zu arbeiten? FOCUS Online vergleicht, wem mehr zum Leben bleibt: einem Hartz-IV-Empfänger oder einem Arbeitnehmer, der den Mindestlohn bekommt. … Der Arbeitnehmer muss von seinem Netto nicht nur Miete und Nebenkosten bezahlen, sondern auch andere Aufwendungen bestreiten, etwa für die Monatskate oder die Rundfunkgebühr. Der Hartz-IV-Single ist davon befreit – und bekommt darüber hinaus noch andere Vergünstigungen.”

“Lohnt es sich dann noch zu arbeiten?”

Dies liegt hauptsächlich an den Steuern und Sozialabgaben, die Arbeitnehmer leisten müssen, sowie an Fahrtkosten und anderen Kosten für den Weg zur Arbeit. Es ist deshalb wenig verwunderlich: Weshalb sich die Höhe des Mindestlohns an Hartz IV orientiert. Oder anders: Noch tiefer dürften theoretisch die Löhne eigentlich nicht sinken.

“Soziokulturelle Existenzminimum” – “Was Armut überhaupt sein soll und wo sie beginnt” 

>>Kampf um die Armut von Ulrich Schneider (Buch) <<

“Die Sozialrechtler prägten in dieser Auseinandersetzung rund um die Frage, was Armut überhaupt sein soll und wo sie beginnt, den sperrigen Ausdruck vom »soziokulturellen Existenzminimum«. Er sollte zu einem Schlüsselbegriff werden in diesem Kampf um die Deutungshoheit über die Armut und besagt: Zum Existenzminimum gehöre mit Blick auf das Gebot der Menschenwürde nicht nur das, was man zum Überleben zwingend brauche, also Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf oder Energie. Das soziokulturelle Existenzminimum umfasse auch das, was notwendig sei, um bei sparsamer Haushaltsführung am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Als Anfang der 1960er Jahre die Sozialhilfe eingeführt wurde, sollte damit genau das sichergestellt werden: ein Leben, das der Würde des Menschen entspricht, wie es im Gesetz heißt.”

“Soziokulturelle Existenzminimum” – “Um bei sparsamer Haushaltsführung am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben” 

Hartz IV soll(te) sich eigentlich am “Soziokulturellen Existenzminimum” orientieren. Nur, es drängt sich die Frage auf: Tut es wirklich?

Berechnung des soziokulturellen Existenzminimum:  “Diejenigen mit dem wenigsten Geld”

>>Kampf um die Armut von Ulrich Schneider (Buch) <<

“Weiß man also, wofür diejenigen mit dem wenigsten Geld dieses so ausgeben, werden in einem nächsten Schritt all jene Ausgaben herausgestrichen, wovon die Beamten des Arbeitsministeriums glauben, dass sie einem Hartz-IV-Bezieher nicht zustehen: Ausgaben für den Unterhalt eines Autos etwa, aber auch Tierfutter, die chemische Reinigung, einen Weihnachtsbaum, Grabschmuck für einen verstorbenen Angehörigen, Urlaub, Zigaretten oder Alkohol. Was dann noch übrig bleibt, bildet schließlich das regierungsamtliche soziokulturelle Existenzminimum.”

“Was dann noch übrig bleibt, bildet schließlich das regierungsamtliche soziokulturelle Existenzminimum”

Tatsächlich deuten die Bestrebungen darauf hin, das “Soziokulturelle Existenzminimum” immer weiter nach unten zu korrigieren. Das “soziokulturelle” wurde weitestgehend faktisch schon gestrichen und am Ende ist nur die physische Existenz übrig geblieben. Inwieweit das aus rechtsstaatlicher Sicht überhaupt zulässig sei, dass muss hier mal offen bleiben. Immerhin leitet sich das “Soziokulturelle Existenzminimum” direkt aus dem Grundgesetz ab. Auch ansonsten lässt sich im Behörden-Alltag das Soziale und Kulturelle lange suchen.

“Hartz-IV-Betroffene” – “Wie Bettler und lästige Bittsteller behandelt”

>>Kinder der Ungleichheit von Christoph Butterwegge (Buch) <<

“Hartz-IV-Betroffene werden im Jargon der Jobcenter und ihrer Fallmanager zwar als »Kunden« bezeichnet, aber wie Bettler und lästige Bittsteller behandelt. Enormer Druck wurde nicht bloß auf Langzeiterwerbslose, sondern auch auf das Lohnniveau ausgeübt. Reallohnverluste vor allem im unteren Einkommensbereich waren die Folge. … Aufgrund der verschärften Zumutbarkeitsregeln und der massiven Sanktionsdrohungen führte Hartz IV dem Niedriglohnsektor immer neuen Nachschub zu. Schon bald umfasste er beinahe ein Viertel aller Beschäftigten. Ein ökonomischer Fahrstuhleffekt, der alle Gesellschaftsschichten gemeinsam nach oben befördert, von Schröder in seiner »Agenda«-Rede versprochen, blieb aus. Stattdessen gab es einen sozialen Paternostereffekt: Während die einen nach oben fuhren, fuhren die anderen nach unten. … Für die Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II war Hartz IV ein Disziplinierungsinstrument, für »normale« Arbeitnehmer/innen eine Drohkulisse und ein Druckmittel. Unter dem Damoklesschwert von Hartz IV waren Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften eher bereit, schlechte Arbeitsbedingungen und/oder niedrigere Löhne zu akzeptieren.”

“Hartz IV ein Disziplinierungsinstrument, für »normale« Arbeitnehmer/innen eine Drohkulisse und ein Druckmittel”

Es ist daher keine Überraschung, dass Hartz IV oft als Werkzeug genutzt wird, um Löhne zu drücken. Die verschärften Zumutbarkeitsregeln zur Arbeitsaufnahme und die massiven Sanktionsdrohungen führten Hartz IV dem Niedriglohnsektor immer neuen Nachschub zu. Hier wird deutlich, dass Hartz IV nicht nur ein Instrument der sozialen Sicherung ist, sondern auch ein Disziplinierungsinstrument und für durchschnittliche Arbeitnehmer eine Drohkulisse und ein Druckmittel ist.

“Für Durchschnittsverdiener waren oft sogar Stagnation oder Reallohnverluste zu verkraften”

>>Weltsystemcrash von Max Otte (Buch) <<

“Während in den vergangenen drei Jahrzehnten die Gehälter der Top-Manager explodierten, stiegen die Realeinkommen der Arbeitnehmer auch in Deutschland nur sehr moderat, wie der Handelsblatt-Journalist Daniel Goffart in seinem Buch Das Ende der Mittelschicht darlegt. Für Durchschnittsverdiener waren oft sogar Stagnation oder Reallohnverluste zu verkraften. Mittlerweile befindet sich fast jeder Vierte in einem prekären Arbeitsverhältnis, das sind in der Bundesrepublik fast acht Millionen Menschen. Die OECD, nicht gerade ein sozialistischer Club, stellte fest, dass viele Mitglieder der Mittelschicht zu den Verlierern der Globalisierung gehören. Selbst im »sozialen« Europa ist es immer schwerer, oft sogar unmöglich, eine Familie mit einem normalen Job zu ernähren, zumal in attraktiven Ballungsgebieten. In den 1980er-Jahren war das in Deutschland und vielen anderen Ländern noch selbstverständlich. »Prekäre Arbeitsverhältnisse« gab es damals kaum.”

“Mittlerweile befindet sich fast jeder Vierte in einem prekären Arbeitsverhältnis”

Der so genannte ökonomische Fahrstuhleffekt befördert somit viele Gesellschaftsschichten gemeinsam nach unten. Es ist also offensichtlich, dass Mindestlöhne allein nicht ausreichen, um die Lebensqualität von Arbeitnehmern nachhaltig zu verbessern. Es bedarf weitergehender Maßnahmen, um den Lohnabstand zwischen Geringverdienern und Menschen mit höherem Einkommen anzugleichen. Mindestlohn hin oder her: Eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze würde sich unmittelbar positiv auf die Lohneentwicklung auswirken.