Ist die Grundsicherung im Alter in der Lage, das reale Existenzminimum zuverlässig zu gewährleisten?

Die Grundsicherung im Alter erreicht systematisch nicht ihr eigentliches Ziel, nämlich das tatsächliche Existenzminimum sicherzustellen, da wesentliche Kostenbereiche wie Heizung, Miete und Strom unzureichend berücksichtigt werden und die sozialen Regelbedarfe künstlich zu niedrig angesetzt sind. Für ältere Menschen resultiert daraus eine dauerhafte Unterdeckung selbst bei existenziellen Lebenshaltungskosten sowie erhebliche Einschränkungen in der Lebensqualität und der gesellschaftlichen Teilhabe.
Die Regelsätze wirken wie rein statistisch ermittelte Pauschalen, die strukturell an den realen Ausgaben älterer Menschen vorbeigehen. Bereits für grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Mobilität, Gesundheit, Haushaltsführung und elementare soziale Teilhabe bleibt kaum finanzieller Spielraum. Steigerungen bei Preisen für Lebensmittel, Dienstleistungen und Mobilität werden oft mit erheblicher Verzögerung oder gar nicht erfasst; einmalige Leistungen oder Sonderbedarfe werden nur restriktiv bewilligt und gleichen Preissteigerungen in der Regel nicht aus. Noch gravierender ist jedoch die Vernachlässigung täglicher Fixkosten – insbesondere bei Heizung, Miete und Strom verschärft sich dieses Problem deutlich.
Die „Zusammensetzung des Existenzminimums“ wird im Sozialrecht als Kombination pauschaler Annahmen und statistischer Durchschnittswerte definiert: Welche Mietobergrenzen, Heizwerte und Stromkosten als „angemessen“ gelten, wird von Kommunen und Ländern unterschiedlich festgelegt und orientiert sich an bundesweiten Richtwerten, die regelmäßig unter den tatsächlichen Marktpreisen liegen. Für Einzelpersonen werden beispielsweise viel zu niedrige Mietobergrenzen pro Monat angesetzt; hinzu kommen Heizpauschalen, die auf veralteten Durchschnittswerten und dem energetischen Standard der Gebäude basieren. Wer aufgrund von Krankheit, Alter oder baulichen Gegebenheiten höhere Heizkosten hat – etwa wegen schlechter Isolierung oder erhöhtem Heizbedarf – muss die Differenz aus dem ohnehin zu knappen Regelsatz tragen. Die Angemessenheitsprüfung der Heizkosten erfolgt zudem unmittelbar und lässt kaum individuelle Abweichungen zu, was besonders ältere Menschen benachteiligt, die wenig Einfluss auf ihre Wohnsituation haben.
Die Preissteigerungen der letzten Jahre bei fossilen Energieträgern, Fernwärme und Strom werden von den gesetzlichen Regelsätzen faktisch ignoriert. Die Heizkostenzuschüsse basieren auf Tabellenwerten aus einer längst vergangenen Zeit vor der hohen Inflation – die tatsächlichen Kosten liegen inzwischen regelmäßig um 30 bis teilweise 50 Prozent darüber, wie verschiedene Beratungsstellen berichten. Dies führt dazu, dass ältere Menschen gezwungen sind, ihre Wohnungen nur noch minimal zu beheizen, gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen oder bei Nachzahlungen Verschuldung zu riskieren. Besonders in ländlichen Regionen mit schlechter Infrastruktur oder einem hohen Anteil alter Mietwohnungen wird der Alltag so zur dauerhaften finanziellen Belastung.
Auch die Mietkosten stellen eine unüberwindbare Hürde dar. Die Mietobergrenzen orientieren sich an sogenannten „Angemessenheitsgrenzen“, die je nach Kommune zwischen 449 und 500 Euro für eine Einzelperson liegen. Die tatsächlichen Marktpreise, vor allem in Städten oder Ballungsgebieten, liegen jedoch häufig deutlich darüber. Wer seine Wohnung nicht aufgeben kann – sei es aus gesundheitlichen, sozialen oder pflegerischen Gründen –, muss die Differenz dauerhaft selbst tragen – ebenfalls aus Mitteln, die dafür eigentlich nicht vorgesehen sind. Diese Praxis zwingt ältere Menschen oft in teils rechtswidrige Wohnverhältnisse, Randlagen oder sogar in Wohnungslosigkeit.
Am deutlichsten wird die Unterdeckung beim Strom sichtbar. Die Ausgaben hierfür zählen nicht zu den Unterkunftskosten, sondern werden aus dem Regelbedarf bestritten. Die Strompreissteigerungen der vergangenen Jahre, verursacht durch politische und marktliche Einflüsse, sind hier längst nicht ausreichend berücksichtigt. Für ältere Menschen mit erhöhtem Versorgungsbedarf – etwa Kühlgeräte für Medikamente, medizinische Hilfsmittel oder Sicherheitsbeleuchtung – verschärft sich das Defizit zusätzlich. Da im Regelsatz meist von Idealwerten ausgegangen wird (niedriger Verbrauch, moderne Geräte), sind tatsächliche Nachzahlungen fast unvermeidlich und führen häufig bis zur Abschaltung des Stroms, was gerade für ältere und kranke Menschen eine existenzielle Gefahr darstellt.
Diese strukturelle Unterdeckung wird durch das legale „Kleinrechnen“ des sozialen Existenzminimums gefestigt. Die Festlegung der Bedarfssätze erfolgt nicht anhand realer Mindestkosten, sondern basiert auf statistischen Auswertungen von Konsumgruppen, die selbst bereits am Existenzminimum leben und deren Ausgaben teilweise gekürzt oder methodisch nicht berücksichtigt werden. So werden etwa regelmäßig erhebliche Anteile von Mobilitäts-, Gesundheits- und Energiekosten ausgeblendet; Sonderbedarfe bei Krankheit oder Pflege finden keine pauschale Berücksichtigung; zudem wird die tatsächliche Situation auf dem Wohnungsmarkt ignoriert. Jede politische Anpassung der Regelsätze bleibt somit ein willkürlicher Akt von Bund, Ländern und Kommunen und orientiert sich stärker an wirtschaftlichen Interessen wie Haushaltsdisziplin als daran, existenzielle Lebensrisiken auszuschließen.
Im Ergebnis steht die Grundsicherung im Alter für eine gesellschaftliche Realität, in der Ältere mit niedriger Rente ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht ohne dauerhafte Einschränkungen erfüllen können. Sie müssen bei Ernährung, Mobilität, Gesundheit, Kommunikation, Heizen, Wohnen und Strom ständig Abstriche machen, können sich oft keine gesellschaftliche Teilhabe leisten und geraten durch dauerhaft zu geringe Leistungen in soziale Isolation, Verschuldung sowie gesundheitliche Gefährdungen. Die Grundsicherung – ursprünglich als soziale Absicherung konzipiert – funktioniert de facto als ein System kalibrierter Mangelverwaltung: Sie schafft keine wirkliche Teilhabe oder Sicherheit, sondern institutionalisiert Altersarmut und verwaltet diese gesellschaftlich.
Politische Debatten über Einmalzahlungen, Energiepauschalen oder Änderungen beim Wohngeld lösen das grundlegende Problem nicht. Solange sich die Methodik zur Berechnung des Existenzminimums nicht grundlegend ändert, bleibt Altersarmut eine vorprogrammierte Folge der deutschen Sozialgesetzgebung mit teils dramatischen Folgen: Verzicht auf Gesundheit und Ernährung, dauerhaft zu kalte sowie unsichere Wohnungen, kulturelle Ausgrenzung und der Verlust elementarer Menschenwürde im Alter. Die permanente Unterdeckung und das systematische Kleinrechnen des Existenzminimums für ältere Grundsicherungsbezieher sind somit kein Randphänomen, sondern Kern einer sozialpolitischen Fehlentwicklung, die Millionen von Menschen dauerhaft in einer prekären Lage hält.