Inflationsdruck & Grundnahrungsmittel: “Stabile Brotpreis zu einem Politikum geworden”

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Würde jemand ein ganz normales Baguette für 1.000 Euro kaufen? – Nein? – Oder doch, vielleicht mit einigen zeitlichen Abstand? Das Wesen der Inflation hat schon ganz andere sehr seltsame Blüten hervorgebracht. Insbesondere beim Brotpreis wohnt eine gewisse politische Sprengkraft inne. Trotzdem ist die Frage interessant: Wie setzt sich der Brotpreis überhaupt zusammen?

“Es ist nicht illegal, für ein Baguette 1000 Euro zu verlangen”

>>Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen von Yuval Harari (Buch) <<

“Wie legt man beispielsweise in einem freien Markt den Brotpreis fest? Nun, jede Bäckerei kann so viel Brot produzieren, wie sie will, und dafür so viel verlangen, wie sie möchte. Die Kunden sind gleichermaßen frei, so viel Brot zu kaufen, wie sie sich leisten können, oder ihr Geld zur Konkurrenz zu tragen. Es ist nicht illegal, für ein Baguette 1000 Euro zu verlangen, nur wird es wahrscheinlich niemand kaufen.”

“Wie legt man beispielsweise in einem freien Markt den Brotpreis fest?”

In einer “idealen Welt” mag es vielleicht auch so sein. Doch schon das Getreide auf dem Acker muss sich gegen staatlich subventionierten Biosprit aus Raps oder Mais für Biogas durchsetzen. Eine Fläche kann – in der nördlichen Hemisphäre –  nur einmal im Jahr genutzt werden. Bei Aussaat, Ernte und Verarbeitung – sprich Landwirtschaft, Mühle und Bäckerei – fallen hohe Energiekosten an, wofür der Staat – durch Steuern – ebenfalls großzügig die Hand aufhält. Natürlich kann Getreide oder Mehl auch vom Ausland importiert werden, aber Lieferverträge haben häufig lange Laufzeiten oder gegen das exportierende Land können staatliche Sanktionensprich Importverbote – verhängt. Sicherlich ließe sich noch weitere Gründe anführen. Kurzum: Der Brotpreis ist schon heute in weiten Teilen durch staatliche Interventionen bestimmt. Und die 1.000 Euro für ein einfaches Baguette stellen längst nicht die Spitze des Eisbergs dar.

Weimarer Republik: “Berliner Behörden den Preis für einen Laib Brot auf 140 Milliarden Mark”

>>Inflation: Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas von Frederick Taylor (Buch)<<

“An besagtem Montag erhöhten die Berliner Behörden den Preis für einen Laib Brot auf 140 Milliarden Mark. Daraufhin wurden Bäckereien von großen Menschenmengen belagert und die Geschäftsinhaber belästigt. Tausende von wütenden Arbeitslosen strömten in die Gegend um den Alexanderplatz, das Zentrum des proletarischen Berliner Ostens, um gegen die rasante Verteuerung des Grundnahrungsmittels ihrer Familien zu protestieren. Sie forderten eine Erhöhung ihres Stempelgeldes, das in Form von kommunalem Notgeld ausbezahlt wurde. Als ihre Forderung ungehört verhallte und ihnen stattdessen mitgeteilt wurde, es sei kein Geld da, das verteilt werden könnte, breitete sich Unruhe aus.”

Weimarer Republik: “Gegen die rasante Verteuerung des Grundnahrungsmittels ihrer Familien zu protestieren”

Auch die heute – teils verklärte – Weimarer Republik hat staatlich festgesetzte Preise gekannt. Zwischen der Verteuerung von Grundnahrungsmittel und das Aufkommen von Unruhen hat schon immer ein Zusammenhang bestanden. “Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!” – Dieser Ausspruch wird der französische Königin Marie Antoinette nachgesagt und kurze Zeit später soll die Französische Revolution ausgebrochen sein. Allerdings der Brotpreis hat schon während der Antike eine Politikum dargestellt. In der Endphase hat das Weströmische Reich mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Schon damals hat es Versorgungsschwierigkeiten gegeben.

Subventionen für Getreide im antiken Rom: “Billigen Abgabepreis durch staatliche Zuschüsse zu ermöglichen”

>>Krise und Untergang der römischen Republik von Karl Christ (Buch) <<

“Die lex agraria knüpfte am unzweideutigsten an die Politik des Bruders an. Ihr wichtigster Inhalt war, daß die Ackerkommission die richterlichen Kompetenzen wieder zurückbekam. Wesentlich problematischer ist die lex frumentaria, die ganz auf die stadtrömische Plebs zugeschnitten war. Sie bestimmte, daß den römischen Bürgern allmonatlich Getreide zu einem wohlfeilen Preis zur Verfügung gestellt wurde, und zwar ein Modius (1 Modius = 101/2 l) zu 6V3 Assen. Diese Neuerung war nun in jeder Hinsicht sehr folgenschwer, denn sie verpflichtete den Staat, stets genügend Getreide vorrätig zu halten und den billigen Abgabepreis durch staatliche Zuschüsse zu ermöglichen. Es kann sein, daß dem Antrag akute Versorgungsschwierigkeiten der Stadt Rom mit Brotgetreide zugrunde lagen und daß deshalb der stabile Brotpreis zu einem Politikum geworden ist. Von den späteren Entwicklungen und Erfahrungen aus hat man die lex frumentaria des Gaius Gracchus häufig als Beginn der Korruption des römischen Volkes bezeichnet. Aus solcher Perspektive bedeutete sie einen besonders tiefen und revolutionären Einschnitt der römischen Innen- und Wirtschaftspolitik.”

Antikes Rom: “Stabile Brotpreis zu einem Politikum geworden”

Schon damals wurden die Preise staatlich festgesetzt: Das Höchstpreisedikt ist keine neuzeitliche Erfindung, sondern so etwas hat es schon im antiken Rom gegeben: Sogar die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln war bekannt. Und auch der damalige Bundeskanzler Adenauer hat um die Brisanz der Brotpreisfrage gewusst.

“Das heikelste Kapitel waren der Brotpreis und damit die Getreidepreise”

>>Konrad Adenauer: Innenpolitik 1949-53 und ihre Bedeutung Kindle Ausgabe von Günther Dahlhoff (Buch) <<

“Das heikelste Kapitel waren der Brotpreis und damit die Getreidepreise. … Die Ziele der Getreidepolitik waren Steigerung der inländischen Erzeugung und sichere Versorgung der Bevölkerung zu akzeptablen Preisen. Die Option, ein Getreidemonopol des Staates einzuführen, war verworfen worden, weil am Grundsatz einer möglichst freien Wirtschaftsentwicklung und am Fernziel “einer allmählichen Auflockerung im Rahmen der sich später ergebenden Möglichkeiten” festzuhalten sei. Im März 1950 stellte sich heraus, dass die Weizenpreise seinerzeit vom Wirtschaftsrat der Bizone gegenüber den Roggenpreisen zu niedrig festgesetzt seien. Die Konsumenten hatten sich vom Roggenbrot abgewandt mit der Folge übermäßiger Vorräte von Roggen. Aber was tun? Normalerweise müsste der Weizenpreis erhöht werden. Der Bundesminister für Arbeit wandte sich gegen jede Preiserhöhung des Weizenbrotes. Eine solche Maßnahme würde ihm die größten Schwierigkeiten gegenüber den Gewerkschaften bringen und die Bemühungen um das Festhalten der Löhne würden dadurch immer schwieriger. Der Bundeskanzler trug auch größte Bedenken, den Weizenpreis zu erhöhen, denn auch dieser Preis sei in starkem Maße ein politischer Preis.”

“Bundesminister für Arbeit wandte sich gegen jede Preiserhöhung des Weizenbrotes”

Natürlich hängt der Brotpreis genauso maßgeblich von der Inflationsentwicklung ab. Die Löhne und Preise sind zweifellos voneinander abhängig. Mit welcher Geschwindigkeit die Preise zeitweise nach oben schnellen können: Das ließe sich beim Militärputsch in Chile 1973 beobachten.

Inflationsdruck: “Während die Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die Löhne eingefroren”

>>Global brutal von Michael Chossudovsky (Buch) <<

“Am 11. September, nach der Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda, verhängten die neuen Militärherrscher eine 72-stündige Ausgangssperre. Als die Universität nach einigen Tagen wieder öffnete, jubilierten die Chicago Boys. Nur wenige Wochen später wurden mehrere meiner Kollegen von der Wirtschaftsfakultät in Schlüsselpositionen der Militärregierung berufen. Während die Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die Löhne eingefroren, um »wirtschaftliche Stabilität« zu sichern und den »Inflationsdruck« abzuwehren. Über Nacht wurde das gesamte Land in elendigste Armut gestürzt. In weniger als einem Jahr stieg der Brotpreis in Chile um das 36fache. 85 Prozent der chilenischen Bevölkerung wurden unter die Armutsschwelle getrieben. Diese Ereignisse haben meine Arbeit als Ökonom tief geprägt. Ich erlebte mit eigenen Augen, wie durch die Manipulation der Preise, der Löhne und Zinssätze das Leben von Menschen zerstört wurde.”

Chile: “Über Nacht wurde das gesamte Land in elendigste Armut gestürzt”

Dieser “Inflationsdruck” stellt keine Seltenheit dar. Häufig steigen zuerst die Preise und Löhne hinken nicht nur hinterher, sondern können diese auch auf lange Sicht nicht ausgleichen. Am Ende ist ein realer Kaufkraftverlust zu verzeichnen, welche viele in Armut stürzt.