Un(halb)freiwillig im Pflegeberuf: “Mal wieder jemand falsch gespritzt wurde, verletzt ist oder gar gestorben ist”

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Wie können Fachkräftemangel, Niedriglohn und Hartz IV zusammen passen? Insbesondere der Pflegeberuf ist davon stark betroffen. Kaum eine andere Branche weist eine so hohe Personalfluktuation auf. – Über das Thema gibt es sogar eine eigene wissenschaftliche Ausarbeitung. Die nicht selten schlechten Arbeitsbedingungen tragen sicherlich ihren Teil dazu bei.

Wie können Fachkräftemangel, Niedriglohn und Hartz IV zusammen passen?

Aber wie kann eigentlich in einem funktionierenden Arbeitsmarkt ein Fachkräftemangel bestehen: Während gleichzeitig niedrige Löhne gezahlt und schlechte Rahmenbedingungen bestehen?

“Zahl der laut Bundesagentur unbesetzten Ingenieurstellen wird mit 7,14 multipliziert”

>>Spiegel<<

“Die Zahl der laut Bundesagentur unbesetzten Ingenieurstellen wird mit 7,14 multipliziert – weil es weit mehr offene Stellen gebe, als die Behörden wissen. Dieser Faktor ist nahezu willkürlich gewählt, jedenfalls sehr hoch angesetzt. Er verändert die Zahl unter dem Strich immens. Und die Zahl unter dem Strich, genau das ist der Ingenieurmangel, den der VDI dann laut in die Welt posaunt.”

“Unbesetzten Ingenieurstellen wird mit 7,14 multipliziert” – “Faktor ist nahezu willkürlich gewählt”

Grundsätzlich sind statistische Angaben über einen Fachkräftemangel mit Vorsicht zu genießen. Nichtsdestotrotz möchte viele Menschen gewisse Berufe nicht ausüben. Vereinfacht: Die Bezahlung ist schlecht.

“Hartz IV und Niedriglohn” – Berufsperspektive, finanziell kurz vor der Obdachlosigkeit dahinzuvegetieren?

>>taz<<

“Hartz IV und Niedriglohn: Schiefe Vergleiche – „Wir arbeiten zum Niedriglohn statt Hartz IV zu kassieren. Sind wir deshalb die Dummen?“ heißt es in der Headline. Dazu erscheinen dann in Wort und Bild eine Kioskbetreiberin, ein Physiotherapeut, ein Friseur, eine Floristin, ein Kellner – Leute , die in Vollzeit nur einen Niedriglohn verdienen, aber deutlich machen, dass sie niemals Hartz IV beantragen würden.”

“Leute , die in Vollzeit nur einen Niedriglohn verdienen”

Hartz IV stellt bereits das Existenzminimum dar. Damit ist eigentlich die Untergrenze von Löhnen bereits erreicht. Nur was für eine berufliche Perspektive soll es überhaupt sein: Einen Beruf zu erlernen, später dort Vollzeit zu arbeiten und am Ende finanziell kurz vor der Obdachlosigkeit dahinzuvegetieren? Zumindest nach Vorstellungen der Agentur für Arbeit soll es offenbar ein erstrebenswertes Ziel sein. Massenweise werden Menschen in Berufe gedrückt, die sie häufig überhaupt nicht ausüben wollen. Insbesondere die Pflege ist davon betroffen.

“Günstigen Mitarbeiter” – “Ausbildungskosten vom Staat erstattet und obendrein einen im Schnelldurchgang ausgebildeten”

>>I’m a Nurse von Franziska Böhler & Jarka Kubsova  (Buch) <<

“Bildungsgutscheine sind ein beliebtes Instrument, um Langzeitarbeitslose beruflich wieder einzugliedern oder Menschen vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Der Träger bekommt die Ausbildungskosten vom Staat erstattet und obendrein einen im Schnelldurchgang ausgebildeten, günstigen Mitarbeiter. »Das ist ein riesiger Markt und ein beliebter Weg, Menschen in die Altenpflege zu drücken«, sagt … . Sie ist Krankenschwester sowie Dozentin für Pflege und Soziales und hat zehn Jahre lang im Bereich der Helferausbildung als Dozentin gearbeitet. »Aus politischer Sicht hat eine solche Strategie gleich mehrere Vorteile«, sagt sie. »Sie kaschiert die durch den Fachkräftemangel entstandene pflegerische Unterversorgung in vielen Heimen, stabilisiert gleichzeitig die Arbeitslosenstatistik, weil sie Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schafft, und sorgt dadurch gleich doppelt für gute Schlagzeilen.«

“Bildungsgutscheine” – “Ein beliebter Weg, Menschen in die Altenpflege zu drücken”

Diese behördlich angebotenen Fortbildungsmaßnahmen müssen die “freiwilligen Bewerberannehmen. Allzu viel Freiwilligkeit dürfte bei einem behördlichen Hartz-IV- Bescheid nicht zu erwarten sein. Am Ende üben viele Berufstätige in der Pflege ihren Beruf bestimmt mit wenig Freude aus. Über die Konsequenzen eines solchen Behördenhandeln wollen die Verantwortlichen lieber hinwegsehen. Nicht selten ist in medizinischen Einrichtung der Krankenstand hoch, Personal knapp und durch die hohe Fluktation ist viel unqualifiziertes Pflegepersonal anwesend.

“Je unqualifizierter das Pflegepersonal, desto öfter kommt es zu Klinikeinweisungen”

>>I’m a Nurse von Franziska Böhler & Jarka Kubsova  (Buch) <<

“Regelmäßig schnellen vor allem nachts und an den Wochenenden die Krankenhauseinweisungen von Heimbewohnern in die Höhe. Das ist kein Zufall, denn dann sind zum einem die Hausarztpraxen nicht geöffnet und zum anderen die Alten- und Pflegeheime meistens besonders schlecht besetzt. … »Je unqualifizierter das Pflegepersonal, desto öfter kommt es zu Klinikeinweisungen«, sagt … , Vize-Vorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärzte Deutschlands. Er hält die meisten dieser Krankenhauseinweisungen für vermeidbar.”

“Die meisten dieser Krankenhauseinweisungen für vermeidbar”

Durch Pflegefehler kann es also zu zusätzlichen Krankenhauseinweisungen kommen. Oder anders: Wegen Personaleinsparungen bei Pflegeheimen kommt es dafür – an anderer Stelle – in Krankenhäusern zu einer zusätzlichen Belastung. Natürlich müssen Patienten in Kliniken ebenfalls durch Pflegekräfte betreut werden. Dennoch können Pflegefehler weit schwerwiegender ausfallen.

“Pflegefehlers” “Mal wieder jemand falsch gespritzt wurde, verletzt ist oder gar gestorben ist”

>>Es ist genug! Auch alte Menschen haben Rechte – Deutschlands bekannteste Pflegekritiker klagen an Claus Fussek & Gottlob Schober (Buch) <<

“Manuela-Maria Müller liebt ihren Beruf, kommt nach eigener Aussage aber angesichts der immer katastrophaler werdenden Gesamtsituation in der »Pflege« und »Ausbildung« ständig an ihre Grenzen.  Was sie der versammelten Pflegeszene über den Alltag von AltenpflegeschülerInnen auftischte, war für viele kaum verdaulich. Demnach sind die Missstände in der Pflege und die Krise der Pflegeausbildung viel schlimmer, als viele der Zuhörer es bislang geahnt hatten. Auszüge aus ihrem Vortrag:

»Immer wieder erzählen mir meine Schüler von Strafanzeigen, weil mal wieder jemand falsch gespritzt wurde, verletzt ist oder gar gestorben ist aufgrund eines Pflegefehlers, aber die meisten Vorfälle werden unter den Tisch gekehrt. (…) In Einrichtungen werden die Schüler aus Verzweiflung und manchmal aber leider auch bewusst verheizt, werden für alle Ausfälle hergenommen, müssen während der Schulzeit einspringen. Egal ob sie Kinder haben oder nicht, sie müssen den Dienst übernehmen, der nicht besetzt ist. (…) Sowohl die Mitarbeiter wie auch die Schüler dürfen eigentlich ›kein eigenes Leben mehr haben‹. Wie will man so Mitarbeiter in der Pflege halten??? … “

“Pflegefehlers” “Die meisten Vorfälle werden unter den Tisch gekehrt”

Natürlich geht die Zustandsbeschreibung des Pflegeberufes noch weiter. Alles in allen wird sich aber auf absehbare Zeit wenig daran ändern.