“Die zunehmende Ausweitung der Verschuldung markiert eine Rückkehr zu Formen der Knechtschaft”

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Seit der Abschaffung der Schuldknechtschaft im Römischen Reich im Jahr 326 v. Chr. sollte diese Praktik keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft haben. Im modernen Strafrecht ist dies unter Paragraph 232 geregelt. Darin wird die “Schuldknechtschaft” und eine “ausbeuterische Beschäftigung” explizit genannt. Die Frage die sich hierbei stellt: Inwieweit die Steuer-, Gebühren und Abgabenlast dies nicht bereits erfüllt?

“Steuerpflichtigen ein angemessenes, steuerfreies Existenzminimum belassen werden muss”

>>Zum Teufel mit der Steuer! von Reiner Sahm (Buch) <<

“Gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. 9. 1992 auch, dass dem Steuerpflichtigen ein angemessenes, steuerfreies Existenzminimum belassen werden muss. Die Einkommensteuer darf deshalb nur den Teil der Einnahmen belasten, der dem Einzelnen nach Abzug seiner zum Leben notwendigen Aufwendungen übrigbleibt, um seine Existenz und seinen Erwerb zu sichern. Auch in seinem Beschluss vom 27. 6. 1991 zur Besteuerung der Zinserträge stützt sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die französische Erklärung der Menschenrechte von 1789, denn: „Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht“ nicht nur „dass die Steuerpflichtigen … gleich belastet werden“, sondern dass auch die verschiedenen Einkünftearten tatsächlich gleich belastet werden.”

“Gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedeutet nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes” 

Da Gebühren, Sozialabgaben, Maut, CO2-Zertifikate – und sicherlich vieles mehr – als Nicht-Steuer behandelt werden, fällt die Rechnung ungleich niedriger aus. Trotzdem bleibt die Frage im Raum stehen: Ob die finanzielle Belastung durch staatliche Abgaben nicht schon längst Paragraph 232 erfüllen? Alleine der Steuerzahlergedenktag sollte aufhorchen lassen. Aber auch andere Indizien deuten in die selbe Richtung hin.

“Ein Drittel der Deutschen kann keine unerwarteten Ausgaben finanzieren”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“Ein Drittel der Deutschen kann keine unerwarteten Ausgaben finanzieren – Im vergangenen Jahr lebten 31,9 Prozent in Haushalten, die nicht in der Lage waren, außergewöhnliche Ausgaben … aus eigenen Finanzmitteln zu bestreiten.”

“31,9 Prozent in Haushalten, die nicht in der Lage waren, außergewöhnliche Ausgaben” – “Aus eigenen Finanzmitteln zu bestreiten”

>>Statistisches Bundesamt<<

“Kein Geld für Rechnungen und unerwartete Ausgaben – Deutlich höher fiel … der Anteil der Personen aus, die in Haushalten lebten, welche aufgrund der finanziellen Situation nicht dazu in der Lage waren, größere, unerwartet anfallende Ausgaben aus eigenen Finanzmitteln zu bestreiten. In Deutschland traf dies … auf fast ein Drittel (31,9 %) der Bevölkerung zu.”

“Kein Geld für Rechnungen und unerwartete Ausgaben”

Diese Zahlen sind mittlerweile schon seit längerer Zeit konstant geblieben. Es trifft insbesondere auf ärmere Haushalte zu. Diese haben nicht nur mit einem geringen Einkommen zu kämpfen, sondern die indirekten Steuern, Gebühren und Abgaben schlagen hier überproportional zu. Die Rundfunkgebühr ist immer gleich, bei Sozialabgaben gibt es keine Ermäßigung und die Mehrwertsteuer wird selbst auf Grundnahrungsmittel fällig. Genau diese finanzielle Situation spiegelt sich an anderer Stelle wider.

“Die Top-Fünf-Sorgen der Deutschen drehen sich in diesem Jahr um die Finanzen”

>>Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken<<

“Die Top-Fünf-Sorgen der Deutschen drehen sich in diesem Jahr um die Finanzen. Mit Abstand die meisten Befragten befürchten, dass alles immer teurer wird. Auf Platz zwei folgt die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum. Eine Rezession fürchtet mehr als die Hälfte der Deutschen.”

“Auf Platz zwei folgt die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum”

Doch in letzter Zeit gibt es Anzeichen dafür, dass die Schuldknechtschaft allmählich zurückkehrt – wenn auch in anderer Form. Zwar gibt es Gesetze, die besagen, dass steuerpflichtigen Personen ein angemessenes Existenzminimum zusteht und dass niemand zur Arbeit gezwungen werden darf. Doch die Realität sieht oft anders aus: Ein Drittel der Bürger kann keine unerwarteten Ausgaben finanzieren und ist daher auf Kredite angewiesen. Wenn dann Schulden entstehen, können sie oft nicht beglichen werden und die Gläubiger – im Form der Insolvenz – greifen zu drastischen Maßnahmen. Diese Form der Diskussion ist schon sehr alt.

Römisches Reich: “326 v. Chr., als die Schuldknechtschaft abgeschafft”

>>SPQR: Die tausendjährige Geschichte Roms von Mary Beard (Buch) <<

“Zwischen 494 und 287 v. Chr. erkämpften sich die Plebejer durch weitere aufrührerische Reden, Streiks und Gewaltandrohungen nach und nach Zugang zu sämtlichen höheren Staats- und Priesterämtern und befreiten sich von ihrer zweitklassigen gesellschaftlichen Stellung. Einen der berühmtesten Siege errangen sie 326 v. Chr., als die Schuldknechtschaft abgeschafft und der Grundsatz eingeführt wurde, dass die Freiheit eines römischen Bürgers ein unveräußerliches Gut sei.”

“Grundsatz eingeführt” – “Freiheit eines römischen Bürgers ein unveräußerliches Gut sei”

Allerdings wurde die Schuldknechtschaft damals nur temporär abgeschafft. In unterschiedlichen Ausprägungen kehrte sie immer wieder zurück und meist blieb das vorhandene System einfach bestehen.

“System von Unfreiheit aufzubauen, das teilweise auf Schuldknechtschaft, teilweise auf pseudovertraglichem Arbeitszwang beruhte”

>>Weltgeschichte der Sklaverei von Egon Flaig (Buch) <<

“Die Verwaltung des portugiesischen Mutterlandes hatte in den Kolonien nur einen schwachen Durchgriff. Unter massivem britisch-französischen Druck dekretierte sie 1878 endlich die Abschaffung der Sklaverei. Doch in Angola gelang es den dortigen Portugiesen, rasch ein System von Unfreiheit aufzubauen, das teilweise auf Schuldknechtschaft, teilweise auf pseudovertraglichem Arbeitszwang beruhte. In diesem System verwischten sich die Grenzen von freier und unfreier Bevölkerung binnen weniger Jahrzehnte; der Gegensatz ‹frei/unfrei› verschwand; … “

“System verwischten sich die Grenzen von freier und unfreier Bevölkerung binnen weniger Jahrzehnte”

Der pseudovertragliche Arbeitszwang, der durch moderne Strafgesetzbücher ermöglicht wird, führt dazu, dass Menschen gezwungen werden, für ihre Schulden zu arbeiten und sich in eine Art moderner Sklaverei zu begeben. Auch am Beginn des Industriezeitalters war vergleichbares zu beobachten.

“Die zunehmende Ausweitung der Verschuldung markiert eine Rückkehr zu Formen der Knechtschaft”

>>Demokratie!: Wofür wir kämpfen Broschiert von Michael Hardt & Antonio Negri (Buch) <<

“Es entsteht eine neue Form der Armut. Zu den Armen gehören heute nicht nur Arbeitslose und Arbeitnehmer in prekären Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch Arbeitnehmer in Festanstellung und verarmte Teile der sogenannten Mittelschicht. Ihre Armut kommt vor allem in ihrer Verschuldung zum Ausdruck. Die zunehmende Ausweitung der Verschuldung markiert eine Rückkehr zu Formen der Knechtschaft, wie sie schon lange vergessen schienen. Und doch hat sich Vieles verändert. Mit einer gewissen Ironie beschrieb Marx die Proletarier des Industriezeitalters als »vogelfrei«: Sie sind zwar nicht mehr Eigentum ihrer Herren und nicht mehr der mittelalterlichen Knechtschaft unterworfen, aber wie die Vögel sind sie auch »frei« von jeglichem Eigentum an Produktionsmitteln. Die neuen Armen haben immer noch kein Eigentum, aber aufgrund ihrer Schulden sind sie wieder Eigentum ihrer Herren, die über den Umweg der Finanzwelt herrschen. Es ist die Rückkehr der Schuldknechtschaft. In früheren Zeiten mussten sich Auswanderer und Indigene auf dem amerikanischen Doppelkontinent und in Australien aus ihrer Schuld freikaufen, doch die Schulden wuchsen oft immer weiter und sie waren zu lebenslanger Sklaverei verdammt. Die Verschuldeten sind von unsichtbaren Ketten gefesselt, und wenn sie sich befreien wollen, müssen sie diese erkennen und zerschlagen.”

“Die Verschuldeten sind von unsichtbaren Ketten gefesselt, und wenn sie sich befreien wollen, müssen sie diese erkennen und zerschlagen”

Es ist an der Zeit, diesem Trend entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass niemand zu einer modernen Form der Schuldknechtschaft gezwungen wird. Eine umfassende Überarbeitung des Strafgesetzbuchs sowie eine Stärkung des sozialen Sicherheitsnetzes sind notwendig, um sicherzustellen, dass jeder Mensch frei von Zwang und Unterdrückung leben kann.