Was unter Krisen zu verstehen ist und was nicht als Krisen angesehen werden kann

Krisen stellen eine erhebliche Herausforderung dar. Eine Krise wird als eine schwierige Situation, Lage oder Zeit definiert, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung markiert. Doch warum haben Krisen so einen tiefgreifenden Einfluss auf uns? Krisen sind definitionsgemäß unvorhersehbar und beinhalten stets ein Element der Überraschung, was nicht unbedingt das ist, was die meisten von uns schätzen.
Der schwarze Schwan – Das Überraschungselement führt oft zu dem „perfekten Sturm“, in dem sich eine Krise voll entfalten kann. Wenn Ereignisse eintreten, die von der Mehrheit der Marktteilnehmer weder vorhergesehen noch als Bedrohung wahrgenommen werden, entsteht eine Kettenreaktion aus impulsiven Maßnahmen, die der Krise ihre Energie verleihen. Der Börsenmakler, Statistiker und Finanzautor Nassim Nicholas Taleb hat dafür eine eindrucksvolle Metapher geprägt: den „Schwarzen Schwan“.
Taleb beschreibt einen „Schwarzen Schwan“ als ein seltenes, äußerst unwahrscheinliches Ereignis. Da in früheren Zeiten in Europa nur weiße Schwäne bekannt waren, symbolisierte das Bild des „Schwarzen Schwans“ lange Zeit etwas Unmögliches. Mit der Entdeckung schwarzer Schwäne in Australien wurde dieser dunkle Vogel zur Metapher für etwas extrem Unwahrscheinliches, das dennoch eintreten kann.
Gerade weil solche extrem seltenen Ausreißer gravierende Folgen haben, neigen wir dazu, im Nachhinein plausible Erklärungen für diese unvorhersehbaren Krisen zu suchen. Da Krisen unsere Selbstwahrnehmung infrage stellen („Hätte ich das nicht vorhersehen müssen?“), konstruieren wir rückblickend eine Geschichte, die anscheinend logisch erklärt, dass alles so kommen musste, wie es geschah. Leider ist diese Erzählung ein Trugschluss. Denn das Wesen eines Ereignisses, das als „Schwarzer Schwan“ bezeichnet wird, ist seine Unvorhersehbarkeit. Wir hätten es nicht besser wissen können. Wir können lediglich unsere spontane Reaktion auf eine Krisensituation anpassen, um beim nächsten Mal klüger zu handeln. Denn so überraschend sie auch sein mögen, eines steht fest: Die nächste Krise wird mit Sicherheit kommen!
Im Vorfeld einer Krise lässt sich niemals vorhersagen, wie ihr Ausgang sein wird. Oft geschehen die Auslöser für umfassende finanzielle Veränderungen gewissermaßen im Verborgenen. Das, was wir als Krise empfinden, ist häufig das Resultat vieler verschiedener ökonomischer, umweltlicher oder politischer Entwicklungen, die letztendlich in der Krise münden, die wir nun erleben. Bei Krisen denken viele oft an die Ereignisse, die symbolisch mit ihnen verbunden sind. Solche Momente gehen dann in die Geschichtsschreibung ein: Die Insolvenz von Lehman Brothers, die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand oder der Schwarze Donnerstag sind die herausragenden Edelsteine einer Kette von Ereignissen, die durch ihre Einzigartigkeit die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Diese Momente sind jedoch nur Teile einer umfassenden Handlungskette, die zur jeweiligen Krise geführt hat. Durch diese symbolischen Augenblicke wurden weder die Weltfinanzkrise 2008 noch der Erste Weltkrieg oder die Große Depression ausgelöst; sie stehen jedoch sinnbildlich und vereinfachend für die enormen Veränderungen, die mit ihnen verknüpft sind. Wer die Geschichte von Krisen verstehen möchte, muss bereit sein, sich mit der Gesamtheit der Geschichte auseinanderzusetzen. Es gilt herauszufinden, was die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede zwischen den verschiedenen Krisen sind.
Da wir in unserer Betrachtung von Krisen häufig nach den symbolischen Momenten suchen, vergessen wir oft, dass Krisen eben Schwarze Schwäne sind: etwas, das es in unserem Vorstellungsvermögen nicht geben kann, weil es in dieser Form noch nie zuvor eingetreten ist. Krisen sind strenge Lehrmeister Wer sich durch die Geschichte hindurch intensiver mit Krisen beschäftigt hat, weiß um ihre unerwartete Natur. Sie hinterfragen uns und setzen unser Wissen sowie unsere Sicherheiten und Erfahrungen auf eine harte Probe. Dabei zeigen sie sich als keine nachsichtigen Lehrmeister. Wer nicht bereit ist, sich im Angesicht einer Krise ernsthaft mit seinen finanziellen Entscheidungen und Plänen auseinanderzusetzen, wird schnell lernen müssen, dass eine Krise gnadenlos sein kann.
Dennoch sollte uns selbst eine schwierige Situation keine Angst einjagen. Unsere Angst ist nichts anderes als ein Indikator – gewissermaßen ein Notfallsignal vor der eigentlichen Gefahr. Wenn wir verstehen können, wie eine Krise verläuft, haben wir mehr geistigen Spielraum für angemessene Reaktionen. Aus diesem Grund haben wir hier eine Reihe beispielhafter Krisen zusammengestellt, um sowohl ihr auflösendes Potenzial zu verdeutlichen als auch aufzuzeigen, wie schnell sie überwunden werden konnten.
Krisen fungieren sowohl als Brennglas als auch als Brandbeschleuniger. Sie verstärken bereits bestehende Probleme von Unternehmen und Aktien und entfachen finanzielle Missstände bis zu einem großen Feuerball des Scheiterns. Etwas weniger poetisch ausgedrückt: Krisen intensivieren lediglich eine Situation, die ohne äußeren Kipppunkt langsamer eskaliert wäre. Sich in einer Krisensituation mit Aspekten auseinanderzusetzen, die ohnehin unsere Aufmerksamkeit erforderten, kann somit nur vorteilhaft für uns Anleger sein.