Handelt es sich bei der Rasterfahndung um eine Maßnahme, die gegen die Verfassung verstößt?

Bereits lange vor der Einführung umfassenderer Sicherheitsgesetze begannen die Sicherheitsorgane damit, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel bis an ihre Grenzen auszuschöpfen. Dies trifft insbesondere auf die polizeilichen Rasterfahndungen zu, die in allen Bundesländern kurz nach den Anschlägen gestartet wurden. Die Rasterfahndung basiert auf einem automatisierten Abgleich von Daten anhand bestimmter Prüfparameter, die mutmaßlich auf den (potenziellen) Täter zutreffen könnten. Dabei werden polizeiliche Informationen mit unterschiedlichen Datenbeständen nichtpolizeilicher Stellen verknüpft.
Das Ziel besteht darin, Personen mit tätertypischen Merkmalen herauszufiltern. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist die Rasterfahndung vor allem deshalb relevant, weil sie nicht bei einer bekannten Verdächtigenperson ansetzt, sondern überwiegend Daten von Menschen erfasst, gegen die keinerlei Verdachtsmomente vorliegen. Es handelt sich somit um ein Instrument zur Gewinnung von Verdachtsmomenten und nicht um ein klassisches Fahndungswerkzeug. Selbst jene Personen, die anhand der definierten Prüfmerkmale im Raster verbleiben, gelten strafrechtlich nicht als verdächtig, werden jedoch dennoch von den Sicherheitsbehörden intensiv beobachtet und sehen sich einem besonderen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.
Die Rasterfahndung wurde erstmals in den 1970er Jahren bei der Verfolgung der deutschen Terrorgruppe »Rote Armee Fraktion« (RAF) angewandt. Die entsprechenden Befugnisse wurden in die Strafprozessordnung (zur Strafverfolgung) sowie in die meisten Landespolizeigesetze (zur Gefahrenabwehr) aufgenommen. Aufgrund des hohen Aufwands kam diese Fahndungsmaßnahme in der Folgezeit nur selten zum Einsatz, sodass sogar diskutiert wurde, sie wieder aus den Gesetzen zu entfernen. Nach dem 11. September änderte sich die Diskussion jedoch abrupt, als bekannt wurde, dass einige der Attentäter weitgehend unauffällig in Hamburg gelebt und dort studiert hatten. Es entstand die Befürchtung, dass sich noch weitere »Schläfer« in Deutschland befinden könnten.
Doch wie sollte man Personen finden, die weder der Polizei noch den Nachrichtendiensten aufgefallen waren? Naheliegend richtete sich das Augenmerk auf das Fahndungsinstrument aus den 1970er Jahren, das man fast schon außer Gebrauch gesetzt hatte. Der damalige Hamburger Innensenator Olaf Scholz formulierte das Ziel der neuen Rasterfahndung treffend: Es gehe um Personen,
»die sich nicht besonders auffällig verhalten haben. … Sie haben ordentlich studiert und sich nicht mit der Polizei in Konflikt gebracht. Wir müssen uns darauf einstellen, gerade solche Personen identifizieren zu können, ohne jedermann in Verdacht zu bringen.«
In der Folge sammelten die Landespolizeien personenbezogene Daten von Universitäten, Einwohnermeldeämtern sowie aus dem Ausländerzentralregister und verglichen diese Datensätze anschließend anhand festgelegter Rasterkriterien miteinander. Um die Größenordnung zu verdeutlichen, seien hier Zahlen genannt, die der Berliner Datenschutzbeauftragte für seinen Zuständigkeitsbereich ermittelt hat: Die zunächst an die Polizei übermittelten Daten umfassten 58.063 Datensätze, aus denen schließlich nach einer Prioritätenliste 114 Personen herausgefiltert wurden. Für diese Personen legten die Polizeibehörden Ermittlungsakten an, welche als Grundlage für eine eingehende Prüfung dienten. Diese Überprüfungen blieben jedoch ergebnislos und führten nicht zur Ermittlung neuer »Schläfer«. Ähnlich verhielt es sich in anderen Bundesländern, auch wenn der Umfang der jeweils einbezogenen Daten deutlich variierte.
Um diesen »vorgerasterten« Personenkreis anhand weiterer Kriterien einzuschränken – orientiert am Täterprofil der zeitweise in Deutschland lebenden Attentäter des 11. September 2001 – wurde der im BKA-Verbunddatei gespeicherte Datenbestand vom BKA mit weiteren Informationen abgeglichen, die vor allem von Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen bereitgestellt wurden.
Lange Zeit blieb weitgehend unklar, welche Resultate diese bundesweite Rasterfahndung erzielte. Ein Auswertungsbericht des BKA ließ fast drei Jahre auf sich warten. Die darin dokumentierten Ergebnisse waren ernüchternd: Trotz dieser umfangreichen Fahndungsmaßnahme konnte kein einziger eingeschleuster »Schläfer« oder sonstiger Terrorverdächtiger identifiziert und vor Gericht gebracht werden.
Wie so oft war es schließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, einen markanten Schlusspunkt zu setzen. In seinem Beschluss vom 4. April 2006 stellte es fest, dass die Rasterfahndung weitgehend verfassungswidrig gewesen sei. Als Maßnahme zur Gewinnung von Verdachtsmomenten stelle sie einen tiefgreifenden Eingriff in Grundrechte dar, der eine große Anzahl völlig unverdächtiger Menschen betreffe – was nur unter strengen Voraussetzungen zulässig gewesen wäre.
Diese Voraussetzungen seien im Jahr 2001 jedoch nicht erfüllt gewesen. Insbesondere habe es zum Zeitpunkt der Anordnung keine hinreichend konkret beschriebene Gefahr gegeben, welche deren Rechtfertigung ermöglicht hätte. Obwohl sich das Urteil auf das nordrhein-westfälische Gesetz bezog, entfaltet es Wirkung über dieses Bundesland hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hatte damit erneut – ähnlich wie zuvor im Volkszählungsurteil von 1983 und im Urteil zum Großen Lauschangriff 2004 – die verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Datenverarbeitung aufgezeigt. Der Rechtsstaat müsse diese Grenzen auch in Zeiten terroristischer Bedrohung wahren.