Lausitzer Seminar: „Wir vergessen nicht! Das tschechisch-sorbische Schulbildungsprojekt“

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Das Gebäude wo heute das Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen in Prag untergebracht ist, hat eine denkwürdige Geschichte. Einst fand dort das Lausitzer Seminar statt. Eine weiterführende Schule, welche in dieser Form so heute nicht mehr existiert. Über einen wenig bekannten Aspekt der sorbischen Geschichte.

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„Die Mutter des heiligen Wenzels, des tschechischen Nationalen Hauptpatrons aus den 10. Jahrhundert, gehörte zu einem slawischen Stamm aus der Nähe von Berlin. Kein Wunder, dass die böhmischen Könige mit dem deutschen Reich um das Lausitzer Gebiet kämpften: zur Zeit der Luxemburger wurde Lausitz sogar ein Bestandteil des böhmischen Königreichs, erklärt Josef Lebeda von dem Freundeskreis Lausitz:

„Johann von Luxemburg nahm Bautzen 1320 ein. Damit stand ein bedeutender Teil der Lausitz unter seiner Herrschaft. Sein Sohn Kaiser Karl IV. ordnete den deutschen Kurfürsten an, die slawische Sprache ihrer Hörigen zu lernen und auch ihre Kinder in diesem Sinne zu erziehen. Diese Verhältnisse dauerten bis 1635, wann die Habsburger die Lausitz an das protestantische Sachsen abtraten. Sie behielten sich aber vor, dass das Gebiet westlich von Bautzen katholisch bleiben sollte und die dortigen Gemeinden von nun an dem Kloster Marienstern zugehören sollten. Diese Katholiken blieben dem Prager Erzbischof untergeordnet.“

Die Sorben hinterließen auch später in der tschechischen Geschichte ihre Spuren. So z.B. der Bildhauer Macij Wjaclaw Jakula, dessen Werke man auf der Prager Karlsbrücke bewundern kann, oder Hofdichter von Rudolf II., Jan Bok. 1704 gründeten die Lausitzer Brüder Simanec eine Stiftung und bald danach auch einen Wohnheim mit Bibliothek für die Lausitzer Studenten in Prag. So entstand das bekannte Lausitzer Seminar.

„Der Zweck des Seminars war, in jedem Jahr 12 armen Lausitzer Jungen das Studium der Theologie zu ermöglichen. Die Absolventen kehrten nach der Priesterweihe in ihre Heimat zurück und predigten dort in ihrer Muttersprache. Der Grossteil der sorbischen Intellektuellen im 18.und 19. Jahrhundert studierte am Lausitzer Seminar. Sie arbeiteten dort oft mit den tschechischen nationalen Erweckern zusammen. Das Seminar finanzierte sich jedoch ausschließlich aus sorbischen Mitteln. Die Tschechen gaben zwar ihre moralische Unterstützung, dass ein Tscheche jedoch einen bedeutenden Beitrag leistete, davon ist nichts bekannt.“

Das Seminar bestand bis 1922. Damals wurde das Bistum im Lausitzer Meissen neu gegründet und der dortige Bischof Schreiber entschloss sich, mit dem „slawischen Winkelzügen“ Schluss machen. Die tschechoslowakische Regierung verpflichtete sich danach, jährlich ein paar Stipendien an sorbische Studenten an Prager Universität zu vergeben. Sie hielt diese Zusage bis 1938. Zu den großen Freunden von Lausitzer Sorben gehörte auch der tschechoslowakische Präsident Tomas Garrigue Masaryk. Als nach dem Ersten Weltkrieg Europa neu aufgebaut wurde, lag ihm das Schicksal der kleinsten slawischen Nation sehr am Herz. Wieder Josef Lebeda:

„Tomas Garrigue Masaryk empfahl in seinem für die Versailler Konferenz geschriebenen Werk ´Neues Europa´, die Lausitz entweder der Tschechoslowakei anzuschließen, oder einen neuen selbstständigen Staat zu schaffen. Dieser Staat wäre ähnlich groß wie Luxemburg. Masaryk gab dieses Werk in vielen Sprachen einschließlich Sorbisch heraus. In der sorbischen Version ließ er aber die Erwähnung aus, dass der Gerechtigkeit wird wahrscheinlich nicht Genüge getan würde, da Deutschland wohl keinen neu gegründeten Kleinstaat in Schussnähe von Berlin akzeptieren würde.“

So kam es schließlich auch. Eine zaghafte Wiederbelebung des Lausitzer Seminars wurde erst am Ende des Zweiten Weltkrieges versucht.

>>Lausitz Hypotheses<<

„Wir werden es nicht vergessen! Lehrer sind wir geworden, und Ärzte, Redakteure und Direktoren, Bauern und Ingenieure, die im Sinne unseres Volkes denken, Sänger und Tänzer, Geistliche und Wissenschaftler, Schriftsteller und Musiker. […] Der eine oder andere […] steht zu seinem jugendlichen Versprechen, all seine Liebe seinem kleinem sorbischen Volk zu geben. Das sei einmal gesagt, denn es ist wahr. Ohne die sorbischen Schulen und ohne die sorbische Arbeiterschaft in Varnsdorf, ohne die große Brüderhilfe des tschechischen Volkes gegenüber den Sorben in einer Zeit, als es so schlecht um uns stand, wären wir nicht gewesen, was wir noch sind. […] Zum Schluss sagen wir: Danke euch, ihr tschechischen Brüder!“

Die sich erinnernden Absolventinnen und Absolventen beschworen die herausragende Bedeutung ihrer Schulzeit in der Tschechoslowakei für die eigene und die kollektive Identität der Sorben. Ihre Einschätzung wird von der Forschung geteilt. Ludwig Elle beispielsweise hebt ausdrücklich die Rolle hervor, die die Ausbildung mehrerer hundert Schülerinnen und Schüler unmittelbar nach dem Krieg im Nachbarland für die gesamte kulturelle Nachkriegsentwicklung der Sorben spielte. Durch sie bildete sich, so Elle, eine Schicht Intellektueller heraus, die dann bis zur politischen Wende von 1989/90 in Bildung, Kultur, Wissenschaft und Politik unter den Sorben Elitenpositionen einnahmen. … Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren in tschechischen Städten wie Prag, Česká Lípa oder Varnsdorf Männer zusammengekommen, um Maßnahmen zur Förderung der nationalen Minderheit der Sorben zu planen. Federführung übernahmen Vertreter des Lausitzer Freundesvereins (ab 1932 Společnost přátel Lužice). Die Gesellschaft konnte an den starken gesellschaftlichen Rückhalt aus der Zwischenkriegszeit anknüpfen und trat wie schon nach 1918/19 entschieden für politische und kulturelle Interessen der Sorben in der Lausitz ein. Ihr Anliegen, den Verlust der Eliten zu kompensieren, die Sorben unter dem nationalsozialistischen Regimes erlitten, teilte auch der Zentrale tschechische Schulverein (Ústřední matice školská) sowie die Vertreter des im Mai 1945 in Prag gegründeten Lausitzisch-Sorbischen Nationalausschusses (Łužisko-serbski narodny wuběrk), der Domowina-Gruppen in der Tschechoslowakei und der wiedergegründeten Domowina in Bautzen. … Das Schulbildungsprojekt war eine durchweg außergewöhnliche Situation. Es war das erste Mal, dass sorbische Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe die Gelegenheit bekamen, nicht nur den Sprach- oder den Konfirmandenunterricht, sondern auch den Fachunterricht auf Sorbisch zu absolvieren. Schulunterricht in sorbischer Sprache war zuvor nur für die erste Sekundarstufe möglich, ab dem Jahr 1938 sogar generell abgeschafft. Da die sprachlichen Ausgangskompetenzen der Kinder recht unterschiedlich waren, gehörte das zügige Erlernen der sorbischen Standardsprache daher zu den obersten Prioritäten. Bemerkenswert waren auch die Umstände wie etwa die geographische Lage sowie die politischen Bedingungen, unter denen die Schulen entstanden. Die weiterführenden sorbischen Schulen wurden nicht in den Lausitzen, sondern auf dem Gebiet der Tschechoslowakei eingerichtet. In der Konsequenz bedeutete dies, dass die zehn- bis fünfzehnjährigen Kinder und Jugendlichen aus ihren alltäglichen Zusammenhängen in Familie, Gemeinde und Kirche herausgelöst wurden, um in der Nähe ihrer Schule zu wohnen. Für eine durchaus lange Zeit wurden für sie das Internat zum Lebensmittelpunkt, die Gleichaltrigen und das pädagogische Personal zu wichtigsten Bezugspersonen. Die Tatsache, dass sie gemeinsam in einer ihnen ansonsten fremden Umgebung wohnten, machte sie als eine Gruppe sowohl für die Außenstehenden als auch für sie selbst identifizierbar. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde durch die Mitwirkung an Freizeitbeschäftigungen gestärkt, die organisiert als Chor, Orchester, Tanzgruppe oder Fußballmannschaft unterschiedlich stark das sorbische Kulturgut reproduzierten.“

Bis zum heutigen Tag, ist es zu keiner ernsthaften Wiederbelebung gekommen. In Summe ist das Sorbische Bildungswesen ohnehin ein Trauerspiel. Neben zu wenigen Lehrern und Schulen sind die Anfahrtswege teilweise unverhältnismäßig lang. Insgesamt gibt es lediglich zwei Sorbische Gymnasien, je eines in Cottbus und Bautzen. Damit Enden bereits die weiterführenden Schulen: Keine Universitäten oder Fachhochschulen. Selbst die wenigen Schulen, wie in Panschwitz-Kuckau fallen kurzerhand den Rotstift zum Oper. Folglich müssen Schüler immer weitere Wege in Kauf nehmen. Das Sorbischen Institut für Lehrerbildung wurde bereits kurz nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 dicht gemacht: Seit dem findet die Lehrerausbildung für den Sorbischunterricht – praktisch am anderen Ende von Sachsen – in Leipzig statt. Welchen Respekt den Sorben entgegen gebracht wird zeigt folgender Vorschlag: „Das sind drei bis vier künftige Lehrerinnen und Lehrer pro Jahrgang, zu wenig bei den vielen Lehrkräften, die in Ruhestand gehen. Deshalb wurde jetzt beschlossen, dass auch sogenannte Null-Sprachler das Studium der Sorabistik aufnehmen können. Also Leute, die kein Wort Sorbisch sprechen.“ Leute die kein Wort sorbisch sprechen, haben demzufolge auch keinen Bezug zur Sorbischen Kultur. Ein Ostfriese kann mit den Gepflogenheiten in England sicherlich mehr anfangen, als mit der Sorbischen Kultur. Eine bessere Bezahlung der Lehrer und Ausbildung Vorort in der Lausitz wäre zwar naheliegend, aber wohl eher unerwünscht.


Zitat: Piňosová, Jana: „Njezabudźemy!“ Wir vergessen nicht! Das tschechisch-sorbische Schulbildungsprojekt 1945-1950, in: Lausitz – Łužica – Łužyca. Aspekte der Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte einer ost-mittel-europäischen Brückenlandschaft