Open Culture – Viel mehr als nur Open Source

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Hinweis: Dies ist ein Meinungsartikel

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Von Daniel Schär

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“The future is open!”, ist ein Spruch, den man öfter liest oder hört. Wenn man versucht, sich im Netz einen Überblick über die Palette zu verschaffen von dem, was alles Open ist, kommt man kaum zu einem Ende: Open Source, Open Data, Open Licences, MOOC, Open Educational Resources, Open AI, … alles Begriffe, die uns allen geläufig sind. Auch wenn nicht jedes Open gleich zu werten ist, so stehen dabei hauptsächlich ein offener, ungehinderter Zugang und permissive Wiederverwertung und Weitergabe im Mittelpunkt.

Um diese Bereiche zusammenzufassen, wurde versucht, den einen Oberbegriff wie Open Culture (hier ein kurzes Video dazu) zu etablieren. “Open Culture” oder “Freie Kultur” scheint höchstens in akademischen Kreisen, aber noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein – zumindest waren diese Begrifflichkeiten auch einem Open-Source-Fan wie mir lange nicht bekannt. Zu sehr wurstle ich (wir?) in meinem Gärtchen und übersehe das grosse Ganze.

Eigentlich finde ich es höchste Zeit, gedankliche Brücken zu bauen und sich die Zusammenhänge bewusst zu machen. Ein Beispiel aus meinem Arbeitsbereich: Jedes Mal, wenn ich ein Video mit einem freien Video-Editor  (z.B. mit Kdenlive) schneide und einen Textclip mit einer freien Schriftart (z.B. Linux Libertine) erstelle, einen freien Clip oder ein freies Bild (z.B. von Pixabay) hinzufüge, die Sprache auf dem Video mit einem freien Speech-to-Text-Modell transkribieren lasse (z.B. mit Vosk), einem freien Sound (z.B. von Freesound) unterlege, den ich mit einem freien Plugin (z.B. TapPlugins) bearbeite, kurz ein Detail in einem freien Handbuch (z.B. https://docs.kdenlive.org/de/) nachlese und schliesslich das Video mit einem freien Codec (WebM/VP8) rendere und dieses Video unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentliche, werde ich mir bewusst, wie ich auf den Schultern von Giganten stehe. In anderen Aufgaben/Berufsfeldern gäbe es sicher noch ganz andere Beispiele. Obwohl (zu) wenig darüber geschrieben wird, so nutzen wir ein ganzes Ökosystem (un-)bewusst jeden Tag hundertfach.

Open oder Free Culture?

Mit der Begrifflichkeit bei Freie Kultur/Open Culture war man sich zuletzt meist nicht ganz einig. Oft wurde es in einem zu engen Sinn verstanden. Mittlerweile hat sich aber das Verständnis doch geweitet. Und da liegt auch die Schwierigkeit: Heute schwirren beide Begriffe herum, ohne dass man sie trennscharf voneinander abgrenzen kann. Der Eintrag von Open Culture auf Wikipedia führt es einem vor Augen und vereint alle Bereiche. Gleichzeitig fällt auf, dass der deutsche der einzig verfügbare Artikel zu “Open Culture” auf Wikipedia ist, während dem es zu “Open Source” Einträge auf über 60 Sprachen gibt. Dagegen kommt bei man beim Artikel Freie-Kultur-Bewegung immerhin schon auf 36 Sprachen. Von Free oder Open Culture als eine Einheit zu sprechen wäre sicher verfehlt. Die Zeit wird zeigen, inwiefern sich die Kanten der beiden Begriffe schärfen oder es sich zueinander hinwenden und verschmelzen.

Die EU und die Open Culture

Kultur wird von “unten” wie auch von “oben” geprägt. Einerseits von kleineren Communities wie von GNU/Linux aber auch von den grossen Akteuren. Die EU Neelie Kroes von der EU-Kommission hatte den Begriff Open Culture eher für historische Kunstwerke der bildenden Künste verwendet, als sie die Europeana vorstellte, Europas digitale Bibliothek, die mittlerweile über 50 Millionen online Ausstellungsstücke verfügt. Fotos, Bücher, Videos und 3D-Modelle sind aber nur ein Teil der Künste, daneben gibt es auch die darstellenden Künste und weitere Mischformen. Für die Förderung dieser Bereiche gibt es auf europäischer Ebene einige Bestrebungen. Seit den 90er-Jahren gibt es Kulturförderung von seiten der EU mit dem wichtigsten Programm Kreatives Europa (Creative Europe), das mittlerweile (2021-2027) mit einem Budget von fast € 2.44 Milliarden ausgestattet ist (vormals €1.47 Milliarden für das vorherige Programm), das kontemporäre Kultur- und Kunstschaffende fördert. Inwiefern dort der Schwerpunkt auch auf eine Förderung von Open Culture gelegt wird, konnte ich nicht feststellen. Schliesslich bleibt der ganze nicht-künstlerische und wissenschaftliche Bereich der Kultur (Open Science, Open Gouvernmental Data, Open Data generell, MOOC, OER, Open Hardware, Open Maps, Open Seeds, etc.) zu erwähnen. Dort findet man den Begriff Open tendenziell öfters und scheint mir bewusster gefördert zu werden, auch wenn es hier viel von “unten” Druck braucht (wie die Initiative “Public Money – Public Code” von der FSFE).

Ein etwas pessimistischer Lawrence Lessing hat mit seinem im März 2004 erschienenen Buch “Freie Kultur” (englischer Originaltitel: Free Culture: How Big Media Uses Technology and the Law to Lock Down Culture and Control Creativity) die Befürchtung geäussert, dass die Freie Kultur immer wie mehr gefährdet ist durch die Copyright-Gesetze, durch Konzentration von Medien und neue restriktive Techniken. Ob wir in den vergangenen Jahren in diese Richtung geschwenkt sind, kann ich nicht abschliessend beurteilen und hängt wohl von der Perspektive ab. Dass es Förderung und einen gesetzlichen Rahmen benötigt, damit sich eine Freie Kultur/Open Culture sich entwickeln kann, ist wohl unumstritten. In gewissen Bereichen hat sich das Open etabliert, es bleibt aber noch in verschiedenen Bereichen zu wünschen übrig.

Mein Plädoyer: Statt nur von den technischen Vorteilen von Linux oder anderer Open-Source-Software zu sprechen, dürfen wir es als Community und als Einzelpersonen wagen, die gesamte Free/Open-Familie zu würdigen und sie dorthin zu rücken, wo sie hingehört: ins Zentrum der Diskussion – obwohl Open nicht immer auch Frei bedeutet, und nicht so trennscharf ist wie in Freie Software. So oder so, wenn ich an den Ausblick von den Schultern der Giganten denke, bin ich vor allem eines: dankbar. Und weil ich das bin, will ich andere daran teilhaben lassen.


Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Schweiz (CC BY-SA 3.0 CH)