“Fast allen entlassenen politischen Gefangenen, zunächst ein Ausreiseverbot erlassen”

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Ausreiseverbot & Reisekader – Diese Begriffe werden meist mit der ehemaligen DDR oder anderen autoritären Staaten in Verbindung gebracht. Normalerweise treten solch drakonische Maßnahmen nur im Falle eines Krieges auf. Als Ausländer hängt man dann in diesem Land fest. So wäre es beinahe einer Expedition nach Tibet – im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg – ergangen.

“Drei Wochen später verhängte die britisch-indische Verwaltung ein Ausreiseverbot für Bürger aus den Achsenmächten”

>>Nazis in Tibet von Peter Meier-Hüsing (Buch) <<

“Hugh Richardson, der nach dem Krieg zu einem der wichtigsten Köpfe der wissenschaftlichen Tibetologie im Westen wurde und sein Leben lang den Kampf für ein freies Tibet unterstützte (er starb 2000 mit 94 Jahren), schrieb Jahrzehnte nach seinem Zusammentreffen mit der Schäfer-Expedition, er sei damals entschieden gegen eine Einreiserlaubnis für die Deutschen gewesen, doch es wurde ihm aus Simla befohlen, es so hinzunehmen, „1939 war einfach keine Zeit für freundschaftliche Gefühle gegenüber Deutschland“ und ja, sie hätten sich tatsächlich „in vielerlei Hinsicht unbeliebt gemacht, in Lhasa und in Shigatse“. In Kalkutta brach am 30. Juli der letzte Tag der Expedition in Britisch-Indien an. Es gab keine weiteren diplomatischen oder politischen Komplikationen, aber nur drei Wochen später verhängte die britisch-indische Verwaltung ein Ausreiseverbot für Bürger aus den Achsenmächten. Die fünf Deutschen SS-Männer verließen Indien, und mit einer British-Airways-Maschine ging es über Karachi und Basra nach Bagdad. Von dort flogen sie mit einer Lufthansa JU 52 nach Athen und erfuhren dort, dass das britische Flugzeug, mit dem sie Kalkutta verlassen hatten, wenige Stunden zuvor vor Alexandria im Mittelmeer gesunken war!”

“Britische Flugzeug, mit dem sie Kalkutta verlassen hatten, wenige Stunden zuvor vor Alexandria im Mittelmeer gesunken war”

Sicherlich mögen die Umstände hier besonders gewesen sein. Trotzdem: Im Allgemeinen ist es besser, so schnell wie möglich auszureisen. Der Faktor Zeit ist hierbei entscheidend. Auch am Beispiel des früheren Abgeordneten des Deutschen Bundestages lässt es sich nachzeichnen. Dieser war nach der Machtergreifung der NSDAP nach Moskau übergesiedelt.

Herbert Wehner in Moskau: “Abschluss der schwebenden Untersuchung ein Ausreiseverbot”

>>Erich Honecker: Das Leben davor von von Martin Sabrow (Buch) <<

“Im Frühjahr 1937 verhängte das EKKI in Abstimmung mit dem Politbüro der KPD bis zum Abschluss der schwebenden Untersuchung ein Ausreiseverbot über Wehner, der zudem zeitweilig von den Sitzungen des Politbüros ausgeschlossen und zum Referenten für deutsche Fragen in der Komintern herabgestuft wurde. Zwei Monate später lag das Dossier vor, in dem die Kaderabteilung alle «Verdachtsmomente» gegen Wehner zusammentrug, die darauf hindeuten konnten, dass der vermeintlich loyale Stalinist in Wirklichkeit als Agent des Secret Service oder der Gestapo für die andere Seite arbeite.”

“Agent des Secret Service oder der Gestapo für die andere Seite arbeite”

Herbert Wehner konnte noch rechtzeitig ausreisen. Andere hatten nicht so viel Glück für sich gebucht und mussten teils Jahrzehnte im Gefängnis verbringen.

Nelson Mandela: “Nachdem ich 27 Jahre gewartet hätte, könne ich ohne Weiteres noch einmal sieben Tage warten”

>>Agentterrorist von Deniz Yücel (Buch) <<

“Ganz sicher würde man, so wie bei der deutsch-türkischen Journalistin Meşale Tolu und fast allen entlassenen politischen Gefangenen, zunächst ein Ausreiseverbot erlassen. Und man würde, jede Wette, ein, zwei Wochen warten. Aber was waren schon zwei Wochen? Zweimal Bestellungen im Knastladen. Zweimal Wäschetag. Oder einmal mit Dilek telefonieren. »Nachdem ich 27 Jahre gewartet hätte, könne ich ohne Weiteres noch einmal sieben Tage warten«, erinnert sich Nelson Mandela in seiner Autobiografie Der lange Weg zur Freiheit an das Gespräch, in dem er das Angebot der südafrikanischen Apartheidregierung zu seiner sofortigen Freilassung abgelehnt hatte.”

“Fast allen entlassenen politischen Gefangenen, zunächst ein Ausreiseverbot erlassen”

Diese Ausreiseverbot hören sich zunächst sehr abstrakt und weit weg an. Aber auch hierzulande nehmen die Zahlen der verhängten Ausreiseverbot von Jahr zu Jahr zu.

“Bundesrepublik untersagt immer mehr Deutschen die Ausreise”

>>Frankfurter Rundschau<<

“Bundesrepublik untersagt immer mehr Deutschen die Ausreise – Als Grundlage für Verbote von Auslandsreisen durch die Bundespolizei dient laut der Antwort des Bundesinnenministeriums auf die parlamentarische Frage das Abgleichen „personenbezogener Daten mit nationalen, europäischen und internationalen Datenbanken nach Maßgabe der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) im Rahmen ihrer grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung“. Zu den Daten, die dabei herangezogen werden, gehören demnach „das Informationssystem der Polizei, die zur Grenzfahndung geführte Datei, das Schengener Informationssystem und die Stolen and Lost Travel Documents database von Interpol“.

Wird es immer komplizierter das Land zu verlassen?

Das zur Fahndung ausgeschriebene Personen nicht einfach die Grenze überqueren können, das ist wenig überraschend. Trotzdem sind auch ganz andere Fälle darunter.

“Ausreiseverbot” – “Ansehen der Bundesrepublik Deutschland „erheblich schädigen“ könnte”

>>taz<<

“Ausreiseverbot für Antifaschisten – Die Polizei zog den 34-Jährigen aus der Schlange – und verfügte gegen ihn für das Wochenende eine Ausreiseuntersagung. Zwei Stunden wurde Gutsche nach eigener Auskunft von Bundespolizisten festgehalten und befragt, sein Gepäck durchsucht. … Die Bundespolizei äußerte sich auf Anfrage vorerst nicht zu dem Vorgang. In ihrem Bescheid für die Ausreiseuntersagung wird Gutsche nach taz-Informationen aber als Person mit „linksextremer Ideologie“ bezeichnet. …. Es bestehe die Gefahr, dass er sich im Ausland an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland „erheblich schädigen“ könnte.”

“Bescheid für die Ausreiseuntersagung”

Die Ausreise kann also verwehrt werden, sobald jemand das das “Ansehen der Bundesrepublik Deutschland” irgendwie beeinträchtigen könnte. Normalerweise wurde in der Vergangenheit solch eine Definition nur auf offizielle Repräsentanten des Staates und nicht auf Privatpersonen angewendet. Auf alle Fälle sind die Begriffe Ausreiseverbot und Reisekader wieder geläufig.