Zensurkultur seit 1910: “Verbotene Filme künftig generell einem »bestimmten Personenkreis« gezeigt werden dürfen”

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Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.” – Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist eigentlich ziemlich unmissverständlich.

“Star Trek” – Was der Zensurkultur alles schon zum Opfer gefallen ist

Dennoch spiegelt die gelebte Wirklichkeit ein ganz anderes Bild wider. Es wird nicht nur verboten bis der Rotstift anfängt zu glühen, sondern es zeichnet sich eine regelrechte “Zensur-Kultur” ab. – Klingt zu unglaubwürdig? Nun in der frühen Bundesrepublik waren viele Ämter und Behörden durch NS-Seilschaften besetzt worden. Gestandene NS-Juristen haben nach dem Zweiten Weltkrieg kurzerhand zu Experten für NS-Verbrechen umgeschult. Deshalb wurde öffentlich nur wenig über die NS-Vergangenheit geredet und das wirkte sich auf Filmvorführungen aus.

Zensur in der frühen BRD: Durften Filme wegen der NS-Vergangenheit nicht gezeigt werden?

Da aus der damaligen NS-Riege niemand mehr ein aktives Amt bekleidet, durfte – mit ungefähr 40 Jahren an Verspätung – eine Star Trek im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt werden.

Nach rund 40 Jahren: “zdf_neo zeigt heute Abend erstmals verbotene Nazi-Episode” 

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“Star Trek”: zdf_neo zeigt heute Abend erstmals verbotene Nazi-Episode – Kirk (William Shatner), Spock (Leonard Nimoy) und McCoy (DeForest Kelley) finden auf dem erdähnlichen Planeten Ekos eine Gesellschaft vor, die komplett nach nationalsozialistischem Vorbild organisiert ist. Im Laufe der Mission schlüpft das Trio in Nazi-Uniformen, woraufhin Spock seinem Captain ein leicht verunglücktes Kompliment macht: “Sie geben einen sehr überzeugenden Nazi ab”. “Star Trek” war damals nicht das einzige Opfer der Nazi-Schere. Zahlreiche Episoden von älteren US-Serien, die sich um das Thema Nationalsozialismus drehen, wurden bis heute nie in Deutschland gezeigt: “Kobra, übernehmen Sie” und “Twilight Zone” sind nur zwei Beispiele hierfür. Bei “Der Feuersturm” ließ die ZDF einst gar sämtliche Szenen mit Adolf Hitler herausschneiden – obwohl die Miniserie eigentlich eine Chronik des Zweiten Weltkriegs war!”

“Zahlreiche Episoden von älteren US-Serien” – “Wurden bis heute nie in Deutschland gezeigt”

Die “Handschrift des Zensurstiftes” dürfte unverkennbar sein. Aus heutiger Perspektive wären diese Folgen unzensiert davon gekommen, da die NS-Vergangenheit von mancher öffentlicher Person keine Rolle mehr spielt. Natürlich hat diese Verbotskultur negative Auswirkungen gehabt: Doch jene Diskussion ist so alt, wie die Kinos selbst. Noch im damaligen Kaiserreich wurden die Grundmauern des heutigen behördlichen Denkens gesetzt, was so manches Schreiben eines Kinobetreibers belegt.

“Jugendschutz” als Kino-Zensurmaßnahme zur Kaiserzeit: “Durch den „Ausfall des Kinder-Entrees“ erlittene Verlust sei doppelt hoch”

>>Deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund 1900-1945 (Buch) <<

“Trotz der Vorbildlichkeit hielt man sich auch in Hamburg bei weitem nicht allumfassend an diese Regelungen, in Kindervorstellungen liefen auch nicht genehmigte und sogar verbotene Filme, weiterhin besuchten Kinder und Jugendliche auch andere Vorstellungen. … Töteberg berichtet beispielsweise von dem empörten Schreiben Eberhard Knopfs, Inhaber von Knopfs Lichtspielhaus, betreffs des Entzugs seiner Konzession für Kindervorstellungen. In seinem Schreiben vom 25. Juli 1910 an die Oberschulbehörde, die eng mit der Polizei zusammenarbeitete, erklärt er, die Entscheidung nicht hinnehmen zu können, weil damit sein Kino „finanziell und moralisch“ geschädigt würde. Als im November 1911 gleich mehreren Theatern die Konzession entzogen wurde, wandten sich die betroffenen Besitzer/innen ebenfalls an die Behörde, mit der Erklärung

[d]er durch den „Ausfall des Kinder-Entrees“ erlittene Verlust sei doppelt hoch, „weil naturgemäss die Kinder die beste Reclame bei ihren Eltern und sonstigen Angehörigen“ machten: „An Hand ihrer Einnahmelisten können dieselben [die gemaßregelten Theaterbesitzer] beweisen, dass nicht allein der Kinderbesuch, sondern auch der Besuch der Erwachsenen bedeutend zurück gegangen [sic!] ist.“

Das junge Publikum war also relevant. Es gehörte zum Stammpublikum speziell der Stadtteilkinos – also der unsichtbaren Kinos nach Goergen – und war für deren Betreiber/innen unverzichtbar, was diese wiederum dazu nötigte, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Kindervorstellungen wurden auch vermarktungsstrategisch ausgewertet, manche Institutionen boten sich gar als zuverlässige Betreuungsinstanzen an … “

“November 1911 gleich mehreren Theatern die Konzession entzogen wurde”

Noch bevor das Wort “Jugendschutz” erfunden wurde – wurde es umfangreich für Zensurmaßnahmen eingesetzt. Die allermeisten Filme sind mit dieser Begründung verboten worden. Nach Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreichs setzte keineswegs eine echte Liberalisierung ein. Lediglich der Zensur-Schwerpunkt hat sich nun verlagert. Nun sollte nichts mehr an die schmachvolle Niederlage im Ersten Weltkrieg erinnern. Deswegen wurde beispielsweise der FilmIm Westen nichts Neuesverboten.

“Filme wie Im Westen nichts Neues von vornherein verbieten zu können”

>>Deutsche Exilliteratur 1933-1950 von Hans-Albert Walter (Buch) <<

“Im März 1931 schlug der Rowohlt Verlag mit dem Band Der Film ›Im Westen nichts Neues‹ in Bildern die erste Bresche. Das Buch gab auf 200 Kupfertiefdrucktafeln die wichtigsten Episoden aus dem Film wieder und vermittelte einen Gesamteindruck von der Handlung. Rowohlt druckte es in der sensationellen Auflage von 60 000 Exemplaren und verlangte nur 2,85 RM dafür, nicht mehr, als eine bessere Kinokarte kostete. Zur gleichen Zeit kam auch der Reichstag ins Spiel. Die Rechtsparteien wollten das Lichtspielgesetz strenger fassen, um Filme wie Im Westen nichts Neues von vornherein verbieten zu können, doch was dann aus der Gesetzgebungsmaschinerie herauskam, nutzte ironischerweise gerade diesem Film. Demnach sollten für die Allgemeinheit verbotene Filme künftig generell einem »bestimmten Personenkreis« gezeigt werden dürfen, z. B. den Mitgliedern eines Vereins; bis dahin war das nur bei Filmen »›von wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedeutung‹« erlaubt gewesen.”

“Verbotene Filme künftig generell einem »bestimmten Personenkreis« gezeigt werden dürfen”

An dieser Regelung hat sich bis in die Gegenwart nichts grundlegendes geändert. Es gibt eine ganze Reihe von Behörden die zwar munter Filme verbieten, aber sie selbst sind vom Verbot ausgenommen. In der Praxis findet der Artikel 5 des Grundgesetzes “Eine Zensur findet nicht statt.” nur für eine überschaubare Riege an Funktionären statt.