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Geschichte – Was ist der Hintergrund des geheimen Vorhabens “Objekt X”?

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Nur eine kleine Gruppe von Eingeweihten war über das Importgeschäft mit dem Tarnnamen „Objekt X“ informiert. Dabei handelte es sich um die Beschaffung eines umfangreichen Pakets an Spitzentechnologie für die Stasi, zu dem Ausrüstungen für die Herstellung von Leiterplatten sowie die neueste Tiefdrucktechnik und Zubehör für die grafische Verarbeitung gehörten. Das zentrale Element der im Februar 1989 gestarteten streng geheimen Beschaffungsaktion war eine hochpräzise Druckmaschine. Die Technologie zur Leiterplattenherstellung soll von dem thurgauischen Unternehmen Fela geliefert worden sein. Die Bestellung und Abwicklung der hochmodernen Druckmaschine erfolgten über die Intrac S. A., mit der die Stasi beabsichtigte, den angeblich fälschungssicheren Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland zu kopieren. Die Lieferung der Druckmaschine, die vermutlich für 850.000 Franken bei einem Schweizer Hersteller erworben wurde, fand tatsächlich statt. Ihr Einsatz zur Herstellung gefälschter BRD-Pässe oder Ausweise wurde jedoch durch die Wende verhindert.

Das „Objekt X“ war nicht das einzige brisante Beschaffungsprojekt, in das das Luganer Unternehmen Intrac involviert war: 1981 soll Ottokar Hermann in ein Projekt zur Beschaffung einer Humanzentrifuge und einer Unterdruckkammer zur Ausbildung von Kampffliegern eingebunden gewesen sein, das als „Projekt Adler“ bekannt war. Bei der Intrac wurde „äußerst sorgfältig“ darauf geachtet, dass die Embargobestimmungen nicht verletzt wurden, versicherte ein Stasi-Kollaborateur während einer Vernehmung durch die schweizerische Bundespolizei im September 1981. Es sollte sich um absolut legale Geschäfte handeln, die über die Intrac S. A. mit den staatlichen Außenhandelsunternehmen in der DDR abgewickelt wurden. Die Informationen, die von den Nachrichtendiensten gesammelt wurden, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Der BND war überzeugt, dass die gesteuerten Firmen – neben ihrer legalen Tätigkeit im DDR-Handel – auch operative nachrichtendienstliche Aufgaben übernommen hatten, insbesondere bei der Beschaffung von elektronischen Gütern, die unter Embargo standen: Computer, Fertigungsanlagen für integrierte Schaltkreise und Messgeräte sollen in der Schweiz beschafft oder über die Schweiz oder den innerdeutschen Handel an die DDR geliefert worden sein. Empfänger dieser Lieferungen war der Außenhandelsbetrieb (AHB) Elektrotechnik.

Die Zusammenarbeit zwischen der Intrac S. A. und dem AHB Elektrotechnik war in der Tat eng. Der Generaldirektor des AHB Elektrotechnik hielt sich in den frühen Achtzigerjahren mehrfach im Tessin auf, laut Einreisegesuch zwecks Geschäftsverhandlungen über elektrotechnische Ausrüstungen. Ein Stasi-IM hatte dabei – die wichtigsten Embargoimporte im Bereich Elektrotechnik abgewickelt. Diese Kooperation soll überwiegend durch Alexander Schalck-Golodkowski persönlich initiiert worden sein. Der Handel zwischen der Intrac S. A. und dem AHB Elektrotechnik erreichte im Jahr 1983 ein Volumen von umgerechnet etwa 30 Millionen DM.

Winckler alias IM „Peter Schumann“ gehörte laut Informationen des in den Westen übergelaufenen Doppelagenten Horst Schuster zum sogenannten AHB Geheimbund, der praktisch die gesamte Außenhandelspolitik der DDR bezüglich Großprojekten bestimmt haben soll. Dies weckte das Interesse des BND, der den Stasi-Mann während eines Aufenthalts in Lugano im August 1983 anwerben wollte. Roland Winckler war ebenfalls an sogenannten Wiedergutmachungszahlungen beteiligt. Wenn die Stasi Kenntnis von Bestechungen oder anderen strafbaren Handlungen seitens westlicher Geschäftspartner erlangte, wurden diese oft unter Druck gesetzt, hohe Summen zu zahlen, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Bei Nichtzahlung wurde mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen und der Veröffentlichung des erlangten kompromittierenden Wissens gedroht. Solche Bestechungszahlungen stellten für die Stasi eine bedeutende Deviseneinnahmequelle dar.

Die Intrac S. A. unterhielt Kontakte zu einer Reihe von schweizerischen und ausländischen Firmen, die sensible Waren produzierten oder damit handelten, wie Kudelski, BBC und Balzers. Für das amerikanische Elektronikunternehmen Tektronix übernahm die Intrac S. A. sogar die Alleinvertretung in der DDR. Bei einem Treffen in Ost-Berlin im Januar 1989 soll ein Tektronix-Manager darauf bestanden haben, eine Lieferung von elektronischen Geräten an die DDR unbedingt über die Schweiz oder Österreich abzuwickeln, offensichtlich weil ihm dies als der einzige Weg erschien, um das Embargogut ungehindert liefern zu können. Bereits 1986 hatten die DDR und Ungarn laut deutschem Verfassungsschutz versucht, Hightech von Tektronix über die Schweiz zu beschaffen. Die DDR bezog von dem amerikanischen Unternehmen hauptsächlich Messtechnik.

Ein wesentlicher Teil seiner geschäftlichen Aktivitäten bestand vermutlich aus sogenannten Gegengeschäften, wie sie damals im Ost-West-Handel üblich waren. Bei solchen Kompensationsgeschäften verpflichtete sich der West-Exporteur, also die Intrac S. A., zum Import von Waren aus Ostdeutschland. Die DDR setzte beispielsweise über die Tessiner Firma Uhren und Uhrwerke aus ostdeutscher Produktion im westlichen Ausland ab. Es entsteht der Eindruck, als ob es nichts gab, mit dem nicht gehandelt worden wäre: Zement, Betonstahl, Tonbänder, Petroleumkocher, Chemikalien, Batterien, Uhren, Werkzeuge, Ruderequipment, Reisetaschen, Kosmetika, Nähutensilien, Schreibwaren und medizinische Geräte sowie Kameras etc. All diese Güter wurden meistens an die KoCo-Firma Forum geliefert. Die scheinbar harmlosen Warenlieferungen dienten in einigen Fällen vermutlich auch dazu, „heiße Ware“ abzudecken. Da die Intrac Haushaltswaren wie Kosmetika in sehr geringen Stückzahlen lieferte, liegt die Vermutung nahe, dass begehrte Konsumgüter aus dem Westen individuell für bestimmte Partei- und Wirtschaftsfunktionäre oder deren Angehörige bestellt worden waren.

Obwohl ein Großteil der Geschäfte mutmaßlich nicht gegen schweizerische Exportvorschriften verstieß, fällt das konspirative Handeln des Unternehmens und seiner Angestellten auf. Diskretion wurde großgeschrieben; jegliche Öffentlichkeit wurde vermieden. Die Warnung eines deutschen Geschäftspartners vor einer möglichen Durchsuchung durch den Zoll sorgte deshalb 1979 in Lugano für Aufregung. Deutsche Behörden hatten von Detektoren erfahren, die aus den USA importiert und in einem Zürcher Zollfreilager lagerten; daraufhin führten sie eine Durchsuchung bei einer deutschen Partnerfirma durch, wobei das Ergebnis vermutlich eher ernüchternd war.