Wendenkreuzzug: “Das eigentliche Ziel der Fürsten” – “Eroberung neuer Territorien und die Ausweitung ihrer Macht”

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Die historische Wendenkreuzzug wird gerne als rein religiöse Angelegenheit innerhalb der mittelalterlichen Welt abgetan. Die angeführten weltlichen und teils religiösen Erklärungen muten teils recht abenteuerlich an.

Was haben historische arabische Silbermünzen in der Lausitz zu suchen?

In all diesen aufgestellten Geschichtsbildern wollen Funde von arabischen Silbermünzen aus dieser Zeit nicht so wirklich hineinpassen. Doch manchmal kann Geschichte auch ganz einfach sein. Eine kurze zeitgenössische Korrespondenz gibt erstaunliches preis.

“Berichte nach Rom” -“Wonach die deutschen Fürsten lediglich ihre eigene feudale Agenda von Eroberung und Tribut verfolgten”

>>Die kürzeste Geschichte Deutschlands von James Hawes (Buch) <<

“Im Jahr 1147 verkündeten der Papst und sein Vertrauter und Berater Bernhard von Clairvaux (der Heilige Bernhard) offiziell den Wendenkreuzzug. Die Kirche plante einen totalen Krieg: Die heidnischen Handlanger des Teufels sollten zum Christentum gezwungen werden (im Widerspruch zur üblichen Doktrin, wonach eine Bekehrung nur durch freien Willen möglich sei), und die Schlacht solle nicht enden, bis »entweder ihre Rituale oder ihre Nation selbst ausgelöscht sind«. Doch der Plan ging nicht auf. Die Heiden wehrten sich so heftig, dass die deutschen Kreuzritter anfingen, die oberflächlichsten Zeichen der Bekehrung, etwa auf den Zinnen belagerter Burgen hastig aufgestellte Kreuze, anzuerkennen. Die Beobachter des Papstes schickten erzürnte Berichte nach Rom, wonach die deutschen Fürsten lediglich ihre eigene feudale Agenda von Eroberung und Tribut verfolgten und sich den radikaleren Anweisungen der Kirche entzogen. Weit entfernt von dem harten Streich, den Bernhard sich vorgestellt hatte, zerfaserte die Eroberung Ostelbiens in eine Abfolge von Ad-hoc-Abmachungen mit lokalen Anführern.”

“Zerfaserte die Eroberung Ostelbiens in eine Abfolge von Ad-hoc-Abmachungen mit lokalen Anführern”

Alleine diese kurze Korrespondenz sollte jeden Historiker aufhorchen lassen. Der religiöse Anstrich musste nur das Offensichtliche verbergen. Schon vor dem Kreuzzug wurde weniger um religiöse Weltanschauungen, sondern mehr um die Aufteilung der materiellen Kriegsbeute gerungen.

“Wendenkreuzzug” – “Denn nicht alle Slawen sind Heiden, manche bekennen sich längst zum Christentum”

>>P.M. HISTORY (Heft) <<

“Der Wendenkreuzzug, der noch im Sommer aufbricht, ist eine in der Forschung höchst umstrittene Unternehmmung. Sie dauert gerade einmal drei Monate und gilt schon den damaligen Chronisten als Fehlschlag, wenn nicht sogar als Rückschritt für die christliche Sache. Denn nicht alle Slawen sind Heiden, manche bekennen sich längst zum Christentum. Schon seit Jahrhunderten gibt es die sogenannte Slawenmission, bei der Herrscher wie Territorien erobern. Sie unterwerfen die dort lebenden Stämme, machen sie christlichen Glauben auf. … Das eigentliche Ziel der Fürsten ist nicht die Seelenrettung, sondern die Eroberung neuer Territorien und die Ausweitung ihrer Macht. Noch bevor die Mission beginnt, teilen sie die erhoffte Beute unter sich auf.”

“Das eigentliche Ziel der Fürsten” – “Eroberung neuer Territorien und die Ausweitung ihrer Macht”

Krieg kostet heute wie damals nun mal Geld. Solch ein Feldzug – respektive Wendenkreuzzug – musste schlicht als militärische Unternehmung seine Kosten einspielen. Besser noch: Dieser sollte satte Gewinne abwerfen und daher tat sich die Handelsware “Mensch” auf.

“Der Handel mit Menschen keineswegs auf Einzelfälle beschränkte”

>>Welt<<

“Zahlreiche Entdeckungen, die in den vergangenen Jahren vor allem im Norden und Osten Deutschlands gemacht wurden, zeigen inzwischen, dass sich der Handel mit Menschen keineswegs auf Einzelfälle beschränkte, sondern ein weit verbreitetes System bildete, das von Nordeuropa bis in den Orient reichte.”

“Handel mit Menschen” – “Ein weit verbreitetes System bildete, das von Nordeuropa bis in den Orient reichte”

Dieses System lässt sich heutzutage ziemlich genau nachzeichnen. Innerhalb von Europa hat ein reger Sklavenhandel geherrscht. Die versklavten Menschen wurden hauptsächlich nach Nordafrika oder Nahost verschleppt.

“Verbrachte man Sklaven aus den noch heidnischen slawischen Gebieten durch Bayern über die Alpen nach Venedig”

>>Weltgeschichte der Sklaverei von Egon Flaig (Buch) <<

“Es lassen sich 4 wichtige Routen ermitteln: auf der ersten importierten friesische Händler Sklaven irischer und englischer Herkunft aus London, um sie in den Binnenhäfen Westeuropas und Deutschlands zu verkaufen; auf der zweiten verbrachte man Sklaven aus den noch heidnischen slawischen Gebieten durch Bayern über die Alpen nach Venedig, von wo aus sie zu den islamischen Märkten verfrachtet wurden; auf der dritten kamen verschleppte Slawen durch Deutschland über Verdun, das als Sammellager und Kastrationsanstalt diente, das Rhône-Tal abwärts nach Arles und Marseilles, von wo sie ins moslemische Spanien gelangten, um die Mamlukenschaft des Kalifats zu ergänzen; die vierte Route führte von England zum islamischen Spanien, welches die meisten importierten Sklaven absorbierte und einen Teil nach Nordafrika und Ägypten weiterverkaufte. Es war im fränkischen Reich untersagt, Versklavte in andere ‹Staaten› oder Christen an nichtchristliche Händler zu verkaufen. Das Verbot wurde ständig missachtet. Wiederholt versuchten kirch­liche Synoden diesen Handel zu stoppen, schlugen sogar vor, daß französische Christen die Sklaven kaufen sollten, damit diese nicht in die Hände der Muslime fielen, vergebens.”

“Verschleppte Slawen durch Deutschland über Verdun”

Dieser Menschenhandel lässt anhand von – scheinbar deplatzierten – Silbermünzen belegen. Schließlich wollen historische arabische Silbermünzen im Böden der Lausitz zum althergebrachten Geschichtsbild irgendwie nicht so richtig hineinpassen, obwohl es davon eine Menge gibt.

“Dirhams, arabische Silbermünzen” – “Bis in die Niederlausitz hinein gehörten sie inzwischen zum üblichen Fundspektrum”

>>Welt<<

“Vor allem eine Fundgattung rückt dabei in den Fokus der Forschung: Dirhams, arabische Silbermünzen. Waren lange nur wenige Depots bekannt, haben ehrenamtliche Mitarbeiter der Bodendenkmalpflege mit Detektorprospektionen in den letzten Jahren viele Schätze und Einzelstücke geborgen, sodass sich „ihre Menge nun geradezu explosionsartig vergrößert, und zwar von Burgen und Siedlungen bis weit ins Binnenland“, schreibt Felix Biermann in der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“. In Mecklenburg-Vorpommern und Teilen Brandenburgs bis in die Niederlausitz hinein gehörten sie inzwischen zum üblichen Fundspektrum.”

“Dirhams, arabische Silbermünzen” – “Ihre Menge nun geradezu explosionsartig vergrößert”

Dank leistungsfähigerer Metalldetektoren sind im Laufe der Zeit eine Menge an Münzen zusammengekommen. Trotz dieser ökonomischen Rückendeckung hat sich der Wendenkreuzzug für die Eroberer weitestgehend als Fehlschlag herausgestellt. Erst in späteren Feldzügen konnte das Gebiet erobert werden und die Nachwirkungen sind noch heute für aufmerksame Beobachter sichtbar.

“Erinnerte die Bevölkerung über Generationen daran, dass dies ein Kolonialgebiet war, das man mit Gewalt Menschen geraubt hatte”

>>Die kürzeste Geschichte Deutschlands von James Hawes (Buch) <<

“Der unvollständige deutsche Sieg jenseits der Elbe sollte tiefgreifende Wirkungen auf die Zukunft der Region haben. Obwohl sich viele landhungrige Deutsche in Ostelbien ansiedelten, konnte die alte slawische Bevölkerung ihre Sprache und Kultur in Nischen erhalten. Ihre Anwesenheit erinnerte die Bevölkerung über Generationen daran, dass dies ein Kolonialgebiet war, das man mit Gewalt Menschen geraubt hatte, die weiterhin auf diesem Gebiet siedelten und eines Tages zurückschlagen könnten. Bis heute leben Nachfahren der Wenden, die Sorben, nordöstlich von Dresden. Dieses brandneue Siedlungsgebiet sollte auf Dauer ein spürbar anderer Ort bleiben als das Deutschland, das als Teil Westeuropas bereits seit tausend Jahren bestand. Geografen wissen, dass Städte, die auf -in enden (wie Berlin), sehr wahrscheinlich östlich der Elbe liegen; ziemlich sicher sogar, wenn sie auf -ow oder -itz enden. Diese Endungen weisen auf slawische Ortsnamen hin.”

“Bis heute leben Nachfahren der Wenden, die Sorben”

Tatsächlich ist dieses Kapitel der Geschichte noch immer allgegenwärtig. Mit der Legende rund um dem mystischen Wendenkönig hat es sogar Eingang in die Mythologie gefunden.