Mehrheit der EU-Staaten plädiert für europaweit anlasslose Vorratsdatenspeicherung

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Die Ampelkoalition in Deutschland hat sich zwar entschieden gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, die Mehrheit der EU-Regierungen hat aber andere Ziele. Ein Diplomatenbericht an das Auswärtige Amt, der heute von dem Nachrichten-Portal netzpolitik.org veröffentlicht wurde, fasst die Wünsche und Pläne der EU-Regierungen in Sachen Vorratsdatenspeicherung zusammen. Die EU-Kommission will nach einer noch anstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs tätig werden.

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Von Dr. Patrick Breyer

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Der EU-Abgeordnete, Bürgerrechtler und Jurist Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der gegen das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde erhoben hat, kommentiert:

„Deutschland möchte die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stoppen, doch das wird Makulatur, wenn die EU-Kommission sie wie geplant europaweit wieder einführt.

Die Vorratsdatenspeicherung ist das erste Überwachungsgesetz, das sich gegen die ganze Bevölkerung richtet. Das ist der Dammbruch. Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Kommunikationsdaten stimmt heute nicht mehr. Wir wissen heute, nach dem aktuellen Stand der Forschung, dass Metadaten Rückschlüsse zulassen, die mindestens so tiefgreifend wie die Inhalte sind.

Bei dem Vorhaben einer flächendeckenden IP-Vorratsdatenspeicherung, dem die Luxemburger Richter zuletzt unter massivem Druck zugestimmt hatten, herrscht leider die größte Einigkeit. Dabei dürfen keinesfalls alle Internetnutzer unter Generalverdacht gestellt und die Anonymität im Netz abgeschafft werden.

Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung unserer Identität im Internet ermöglicht die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers in noch höherem Maße als Telefon-Verbindungsdaten. Es ist im Übrigen nicht nachzuweisen, dass eine Internet-Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen statistisch signifikanten Beitrag zu der Zahl der aufgeklärten Straftaten leistete, nachdem die sechsmonatige IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 die Aufklärungsquote nicht gesteigert hat.“

Eine parlamentarische Anfrage hatte zuletzt ergeben, dass aktuell nur 3% der Chatkontrolle-Verdachtsmeldungen von möglicher Kinderpornografie nicht über die IP-Adresse zurückverfolgt werden können. Zuvor hatte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung betont, eine IP-Vorratsdatenspeicherung sei „völlig ungeeignet zum Schutz von Kindern“. Weniger als 5% der staatlichen IP-Auskunftsersuchen beträfen Kinderpornografie. Im Jahr 2020 sei die Verbreitung pornografischer Schriften laut Kriminalstatistik zu 91,3% aufgeklärt worden – ohne dass eine Pflicht zur IP-Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist.