Christliche Geschichte: “Hypatia stand im Epizentrum dieser mächtigen sozialen Kräfte”

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Hypatia von Alexandria war eine bemerkenswerte Frau, die im 4. Jahrhundert lebte. Sie war eine der ersten weiblichen Astronomen und war auch als Mathematikerin und Philosophin bekannt. Ihre Beiträge zur Wissenschaft wurden nicht nur von christlichen Kreisen geschätzt, sondern auch vom römischen Reich anerkannt. Doch dieser Respekt für Hypatia endete schließlich in ihrer Ermordung durch eine Gruppe von christlichen Fundamentalisten.

“Hypatia von Alexandria” – “Fall galt später häufig als Symbol für Intoleranz und Wissenschaftsfeindlichkeit kirchlicher Kreise”

>>Die Fährte des Lichts von Ralf Herold (Buch) <<

“Die Astronomin Hypatia wurde durch religiöse Gegensätze von einer aufgebrachten christlichen Menge in einer Kirche nackt ausgezogen, ermordet und zerstückelt. Kein Einzelfall der Heidenverfolgung erregte so großes Aufsehen. Dieser Fall galt später häufig als Symbol für Intoleranz und Wissenschaftsfeindlichkeit kirchlicher Kreise.”

“Ermordet und zerstückelt” – “Kein Einzelfall der Heidenverfolgung erregte so großes Aufsehen”

Es ist ungewiss, was die Gründe für den Mord waren, aber einige Historiker glauben, dass es möglicherweise mit den politischen Auseinandersetzungen zwischen dem römischen Reich und Kyrillos von Alexandria zu tun hatte.

“Mit dem Häresievorwurf wurde immer großzügiger operiert”

>>Das Ende der Antike von Hartwin Brandt (Buch) <<

“Überhaupt steht die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts ganz im Zeichen des Christentums und vor allem der religiösen Auseinandersetzungen. Diese betrafen keineswegs nur den generellen Gegensatz zwischen Altgläubigen (Heiden) und Christen, sondern spielten sich in zunehmender Schärfe unter den stark dissoziierten Christen selbst ab. Mit dem Häresievorwurf wurde immer großzügiger operiert, und in staatlichen Gesetzen tauchen nun dreißig und mehr namentlich benannte Sekten, Teilkirchen und Abspaltungen auf. Alexandria, Antiochia und Konstantinopel waren die Hauptorte der nicht selten militanten Auseinandersetzungen. Besonders tat sich dabei der Patriarch von Alexandria, Kyrill, hervor, der den städtischen Mob gegen seine Gegner aufhetzte, die, fanatisiert und aufgeputscht, unter anderem die Lehrerin und Briefpartnerin des Synesius, die berühmte Philosophin Hypatia, lynchten. Kyrills dogmatischer und kirchenpolitischer Gegenspieler war der von Antiochia nach Konstantinopel berufene Patriarch Nestorius.”

“Kyrills dogmatischer und kirchenpolitischer Gegenspieler war der von Antiochia nach Konstantinopel berufene Patriarch Nestorius”

Der Mord an Hypatia war ein schreckliches Ereignis und markierte gleichzeitig das Ende des antiken Wissens in der Region. Es ist traurig zu sehen, wie viel Wissen und Kultur verloren gingen, als sie ermordet wurde.

“Zerstörung der Bibliothek und des brutalen Mordes an Hypatia – die er in seinen Versen »makelloser Stern der Weisheit« nannte”

>>Papyrus – Die Geschichte der Welt in Büchern von Irene Vallejo (Buch) <<

“Noch immer bewegt uns die Stimme eines dieser aus der Zeit Gefallenen, des heidnischen Lehrers und Dichters Palladas, der in Alexandria am Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert lebte und starb. Seine tiefe Entwurzelung pulsiert durch die etwa einhundertfünfzig Epigramme, die in der Anthologia Graeca erhalten sind. Er beobachtete, wie es in der Stadt, die Alexander der Große als Synthese von Ost und West gegründet hatte, vor blutigen Unruhen und Unnachsichtigkeit brodelte. Er sah den Untergang seiner im Kampf unterlegenen Götter. Er war Zeuge der Zerstörung der Bibliothek und des brutalen Mordes an Hypatia – die er in seinen Versen »makelloser Stern der Weisheit« nannte. Zudem erfuhr er auch vom Überfall der Hunnen und dem Einmarsch germanischer Barbaren in Rom. Wenn wir ihn heute lesen, trifft uns sein hochaktuelles Zeugnis von einer fernen Apokalypse. Angesichts der traumatischen Zerstörung des Serapeums schrieb er sein trostloses Gedicht

»Gespenster«:

»Stimmt es nicht, ihr Griechen, dass in tiefer Nacht, während alles in den Abgrund sinkt, wir nur scheinbar leben und einen bloßen Traum für Leben halten? Oder sind wir etwa lebendig, nachdem das Leben starb?«

“Trifft uns sein hochaktuelles Zeugnis von einer fernen Apokalypse”

Doch dieser Mord ist im allgemeinen Kontext der Spätantike zu sehen. Das Römische Reicht hat sich zu dieser Zeit schon sichtbar im Niedergang befunden. Der Mord an Hypatia war leider nur eines unter vielen traurigen Ereignissen gewesen.

“Das 5. und 6. Jahrhundert waren im gesamten Mittelmeergebiet eine Periode tiefer politischer Umwälzungen”

>>Dark Rome – Das geheime Leben der Römer von Michael Sommer (Buch) <<

“Das 5. und 6. Jahrhundert waren im gesamten Mittelmeergebiet eine Periode tiefer politischer Umwälzungen, begleitet von Krieg, Anarchie und wirtschaftlichem Niedergang. Städte schrumpften und verschwanden, die Infrastruktur verfiel. Zeiten der Wirren sind schlechte Zeiten für Bibliotheken, und Ereignisse wie die Zerstörung des Serapeions beschleunigten noch den dramatischen Wissensverlust durch Büchervernichtung am Ende der Antike: Rund 90 Prozent der antiken Literatur gingen so unwiederbringlich verloren. Wir kennen rund 2000 griechische Autoren mit Namen. Nur von 253 davon haben sich – außer in Form wiederentdeckter Papyri – überhaupt Texte erhalten. Bei den lateinischen Autoren liegt das Verhältnis bei 772 zu 144.”

“Rund 90 Prozent der antiken Literatur gingen so unwiederbringlich verloren”

Der Mord an Hypatia geht wenige auf – wie heute gern zitiert – auf ein Wesensmerkmal der Christen, sondern mehr auf die Römische Kultur zurück. Als noch Jahrhunderte zuvor der Römische Götterkult vorherrschte, da wurde mit ähnlicher Unerheblichkeit eine regelrechte Jagd auf Christen veranstaltet.

“Sündenböcke zu präsentieren” – “Die von seiner eigenen Schuld und Verantwortung ablenken konnten”

>>Die Christen – Expedition zu einem unbekannten Volk von Uwe Bork (Buch) <<

„Historisch richtig dürfte allerdings sein, dass Nero sich nach einem bis in die Gegenwart gültigen Muster politisch gezwungen sah, Sündenböcke zu präsentieren, die von seiner eigenen Schuld und Verantwortung ablenken konnten. Er fand sie in den Christen, die, wie der römische Historiker Tacitus ohne nähere Erläuterung in seinen ›Annalen‹ schreibt, … In der ersten systematischen Christenverfolgung der Weltgeschichte ließ er sie zunächst von bestochenen Zeugen denunzieren und dann als Brandstifter nach Methoden hinrichten, die an sadistischer Fantasie nur schwer zu übertreffen waren: So wurden offensichtlich ausgehungerte wilde Hunde auf Christen losgelassen, die in Tierfelle eingenäht waren und sich als wehrlose Opfer zerfleischen lassen mussten. Andere wurden wie Jesus ans Kreuz geschlagen oder sie dienten, in leicht brennbare Lumpen gehüllt, als lebende Fackeln zur Illumination der kaiserlichen Gärten. Wie der bereits erwähnte Tacitus berichtet, waren diese Parks eigens zu dem Zweck geöffnet worden, damit sich die Bürger Roms im Beisein Neros in einer Art und Weise amüsieren konnten, für die es in heutigen Gesellschaften glücklicherweise keine Parallele mehr gibt.“

“In der ersten systematischen Christenverfolgung der Weltgeschichte”

Trotz martialischer Christenverfolgung breitet sich der christliche Glaube innerhalb des Römischen Reiches aus und selben Zuge nahm die Akzeptanz des Römischen Götterkults ab. Auf solch einer Basis lässt sich auf lange Sicht keine Machtbasis aufbauen. Im Zuge der Konstantinische Wende wurde sukzessive das Christentum zur Staatsreligion erklärt. Doch man tat weit mehr. Das Christentum zeichnete sich zu dieser Zeit an einem sehr breiten Spektrum an philosophischen und liturgischen Schriften aus. In genau jenen Umfeld ist Hypatia aufgewachsen. Doch es ließ sich mitnichten mit Macht- und Herrschaftsansprüchen des Römischen Reiches vereinbaren. Deshalb wurde ein erheblicher Teil von christlichen Schriften und Lehren verboten. Von nun an wurde das Christentum wie der Römische Götterkult behandelt. Mit der Toleranz und friedlichen Nebeneinander war es vorbei. Das musste auch Hypatia zu spüren bekommen.

“Mathematikerin, Astronomin, Physikerin und Leiterin der neuplatonischen Schule der Philosophie Hypatia”

>>Unser Kosmos. Eine Reise durch das Weltall von Carl Sagan (Buch) <<

“Als letzte Vertreterin der Wissenschaft arbeitete in der Bibliothek eine Frau von einer auch heute noch bewundernswert vielseitigen Bildung: die Mathematikerin, Astronomin, Physikerin und Leiterin der neuplatonischen Schule der Philosophie Hypatia. … Die Berichte schildern sie übereinstimmend als große Schönheit mit vielen Verehrern, die jedoch alle Heiratsanträge ausschlug. Alexandria, seit langem schon unter römischer Herrschaft, stand zu diesem Zeitpunkt unter großem Druck. … Hypatia stand im Epizentrum dieser mächtigen sozialen Kräfte. Der Erzbischof von Alexandria, Kyrillos, verachtete sie wegen ihrer engen Freundschaft mit dem römischen Statthalter und als Symbol der von der Urkirche weitgehend mit Heidentum gleichgesetzten Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Hypatia jedoch setzte trotz drohender Gefahr für Leib und Leben ihre Lehr- und Publikationstätigkeit fort, bis sich 415 der von Kyrillos aufgehetzte Mob auf dem Weg zur Bibliothek auf sie stürzte, sie vom Wagen zerrte, ihr die Kleider vom Leib riß und mit Muschelschalen das Fleisch von den Knochen schnitt. Ihre Überreste wurden verbrannt, ihre Werke getilgt, ihr Name vergessen und Kyrillos zum Heiligen erhoben.”

“Hypatia stand im Epizentrum dieser mächtigen sozialen Kräfte” – “Erzbischof von Alexandria, Kyrillos, verachtete sie”

Vermutlich war Hypatia mit ihren Schriften und ihrer Popularität eine unmittelbarere Gefahr für Kyrillos und der “neuen Politik” aus Rom gewesen. Auch die Häresie als Streitpunkt wurde zu jener Zeit eingeführt.

“Hypatia jedoch setzte trotz drohender Gefahr für Leib und Leben ihre Lehr- und Publikationstätigkeit fort”

Doch Hypatia bleibt bis heute eine Inspiration für alle Frauen, die sich für Wissenschaft interessieren – insbesondere Astronominnen – und sich nicht nur dafür entscheiden, anderen zu folgen, sondern ihr Leben der Entdeckung und Erforschung des Universums widmen. Obwohl es schon mehrere Jahrhunderte her ist, seit Hypatia ermordet wurde, ist ihr Einfluss noch heute spürbar. Heutzutage gibt es viele weibliche Astronominnen auf der ganzen Welt, die Hypatias Beispiel folgen und ihre Leidenschaft für das Universum teilen. Sie überwinden Barrieren und machen Fortschritte auf dem Gebiet der Astronomie und helfen dabei uns allen die Schönheit des Himmels besser zu verstehen.