“Kommt die 42-Stunden-Woche?” – Wirtschaftliche Probleme des Staates? – “Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und die Sozialsysteme zu sichern”

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Die 42-Stunden-Woche: Sollte es gangbarer Weg zum Erhalt der Finanzierung der Sozialsysteme sein? In den letzten Jahren hat sich die Diskussion über die Verlängerung der Wochenarbeitszeit angesichts des Fachkräftemangels immer stärker verbreitet. Oder deuten diese Debatten eher auf wirtschaftliche Probleme hin? Einige Politiker und Experten gehen davon aus, dass eine 42-Stunden-Woche eine mögliche Lösung sein könnte, um die Finanzierung der Sozialsysteme zu gewährleisten.

“Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und die Sozialsysteme zu sichern”

>>Der Tagesspiegel<<

“Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen und die Sozialsysteme zu sichern, schlägt Sachsens Ministerpräsident … eine generelle Verlängerung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde vor. „Würde jeder Erwerbstätige in Deutschland nur eine Stunde pro Woche länger arbeiten, würde sich ein großes Potenzial für die Bekämpfung des Fachkräftemangels ergeben“, sagte der CDU-Politiker dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).”

“Großes Potenzial für die Bekämpfung des Fachkräftemangels ergeben”

Auf diese Weise ließen sich – nach dieser Logik – mehr Menschen in Beschäftigung bringen und zugleich mehr Steuern erheben, um die Finanzierung der Sozialsysteme zu garantieren. Andere lehnen sich sogar noch weiter aus dem Fenster und fordern das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen, da mehr Menschen länger in Beschäftigung bleiben würden.

“Kommt die 42-Stunden-Woche?”

>>Merkur<<

“Kommt die 42-Stunden-Woche? Geht es nach dem früheren SPD-Chef … , dann müssen die Menschen in Deutschland künftig mehr arbeiten. … Garniert werden sie mit Ökonomenstimmen, die auch über einen Renteneintritt ab 70 Jahren nachdenken.”

“Garniert werden sie mit Ökonomenstimmen, die auch über einen Renteneintritt ab 70 Jahren nachdenken”

Und mit der 42-Stunden-Woche ist er keinesfalls alleine.

“IW-Chef fordert die 42-Stunden-Woche”

>>Süddeutsche Zeitung<<

“IW-Chef fordert die 42-Stunden-Woche – “Es braucht die 42-Stunden-Woche. Die Stunden werden natürlich bezahlt – es geht nicht darum, durch die Hintertür am Lohn zu kürzen”, erklärte er.”

“Es braucht die 42-Stunden-Woche”

Hierbei stellt sich allerdings schon die Frage: Inwieweit diese Argumentationskette des Fachkräftemangels und viel-beschworenen “Freiwilligkeit” überhaupt stimmen kann? Gerade bei Ärzten – als Fachkräftemangel-Gruppe – ist etwas ganz anderes zu hören.

“Über 30 Prozent der Ärzte geben an, dass sie mit den aktuellen Arbeitsbedingungen »unzufrieden« oder »sehr unzufrieden« sind”

>>Mehr Nichts! – Warum wir weniger vom Mehr brauchen von Prof. Dr. med. Tobias Esch (Buch) <<

“In regelmäßigen Untersuchungen dokumentieren die Interessenvertretungen der Ärzteschaft die Situation »an der Front«. Gerade im stationären Sektor zeigt sich eine große Unzufriedenheit: Über 30 Prozent der Ärzte geben an, dass sie mit den aktuellen Arbeitsbedingungen »unzufrieden« oder »sehr unzufrieden« sind. Knapp 60 Prozent der Ärzte bestätigen, »eher nicht« oder »ganz und gar nicht« genug Zeit für die Behandlung ihrer Patienten zu haben. Ein Viertel erklärt, mehr als drei Stunden täglich für nicht ärztliche, administrative Tätigkeiten aufzubringen. … Weitere wichtige Aspekte im Zusammenhang von Stress und Arbeitszufriedenheit sind Arbeitsumfang und Arbeitsdichte: Die ärztliche Tätigkeit geht häufig mit einer hohen Wochenarbeitszeit und regelmäßigen Überstunden sowie Nacht-, Bereitschafts- und Notdiensten einher. In einer Umfrage unter Assistenzärzten gaben 2018 knapp 60 Prozent der Teilnehmenden an, durchschnittlich mehr als fünfzig Stunden pro Woche zu arbeiten.”

“Ärztliche Tätigkeit geht häufig mit einer hohen Wochenarbeitszeit und regelmäßigen Überstunden sowie Nacht-, Bereitschafts- und Notdiensten einher” 

Besonders die Mehrarbeit kann zu Arbeitszufriedenheit führen. Es ist durchaus zu verstehen, warum der Medizinberuf wenig nachgefragt ist. Ohnehin deuten Anhebung der Wochenarbeitszeit meist auf ganz andere wirtschaftliche Probleme hin, was sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht.

“Anhebung der Wochenarbeitszeit von 42 auf 47 Stunden” – “Wirtschaftlich war die Lage Polens Mitte der achtziger Jahre so ernst”

>>Geschichte des Westens von Heinrich August Winkler (Buch) <<

“Wirtschaftlich war die Lage Polens Mitte der achtziger Jahre so ernst, daß sich die Führung Anfang 1986 zur Anhebung der Wochenarbeitszeit von 42 auf 47 Stunden und zur Erhöhung der Lebensmittelpreise genötigt sah. Mehrere große Streiks, unter anderem an der Danziger Leninwerft und in den Bergbaugebieten, ließen im Sommer 1988 bei der Partei- und Staatsführung die Neigung wachsen, mit der nach wie vor illegalen Opposition Verbindung aufzunehmen.”

Polen: ” Anfang 1986 zur Anhebung der Wochenarbeitszeit von 42 auf 47 Stunden und zur Erhöhung der Lebensmittelpreise genötigt”

Ob eine Verlängerung der Arbeitszeit tatsächlich wirklich nützlich ist? Interessant ist an der heutigen Debatte, dass die Betroffenen fast nie zu Wort kommen, aber dafür stets argumentieren wird, dass die 42-Stunden-Woche helfen kann, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und gleichzeitig mehr Steuereinnahmen für die Finanzierung der Sozialsysteme generieren können.Vielleicht wäre ein Blick über dem Tellerrand an dieser Stelle hilfreich und zwar nach China.

“Vergleich zwischen einem noch vor kurzem sehr armen Entwicklungsland und einem der reichsten Länder der Welt in den Sinn kommt?”

>>Das chinesische Jahrhundert von Wolfram Elsner (Buch) <<

“Deutsche Gewerkschaftsmitglieder zum Beispiel haben 2017 nach einer Informationsreise nach China eine umfangreiche Materialsammlung und eine detaillierte Vergleichsliste der Arbeitsbedingungen in beiden Ländern aufgestellt. Wie aber kann es überhaupt sein, dass jemandem ein Vergleich zwischen einem noch vor kurzem sehr armen Entwicklungsland und einem der reichsten Länder der Welt in den Sinn kommt? Nun, weil China eben auch in Sachen »Arbeit und Soziales« einen enormen »Multiplikator« vom bescheidenen durchschnittlichen Einkommen zur breiten sozio-ökonomisch-ökologischen Performanz entwickelt hat, sich selbst in eigener Regie von einem Ort der Billiglohn-Produktion des »Westens« emanzipiert und zu einer sozialen Führungsmacht hinaufentwickelt hat.”

“In eigener Regie von einem Ort der Billiglohn-Produktion des »Westens« emanzipiert und zu einer sozialen Führungsmacht hinaufentwickelt hat”

Kaum ein anderes Land der Welt kann solche Erfolge bei der Armutsbekämpfung vorweisen. Praktisch im Alleingang hat China die weltweite Armut gesenkt. Die in Europa viel zitierten Totschlagargument wollen in China nicht so recht greifen.

China: “Die tägliche Arbeitszeit ist strikt auf acht Stunden begrenzt”

>>Das chinesische Jahrhundert von Wolfram Elsner (Buch) <<

“Die bekannten medialen »Totschlags«-Argumente im neoliberalen Finanzkapitalismus: »kein Geld«, »zu teuer« oder »wettbewerbsschädlich« gelten hier einfach nicht, werden daher auch nicht akzeptiert. Befreit vom Austeritätsregime und Umverteilungspostulat (nach oben) kann man sich auf den Weg machen zu realisieren, was man für richtig hält. So wird bei der Wochenarbeitszeit, unter aktiver Förderung des Staates, in Hightech-Unternehmen mit der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich experimentiert. Die tägliche Arbeitszeit ist strikt auf acht Stunden begrenzt. Die Befristung von Arbeitsverträgen unterliegt strengeren Beschränkungen als in Deutschland, wo sich ein Ex-Bundeskanzler dafür lobt, dass er den »besten« Niedriglohnsektor Europas hergestellt hat. Leiharbeitnehmer erhalten in China ein absolutes »Equal Pay«, also den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das Renteneintrittsalter liegt für Männer bei 60 Jahren, für Frauen bei 55, was ein Traum bleiben wird für deutsche Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften.”

China: “Das Renteneintrittsalter liegt für Männer bei 60 Jahren, für Frauen bei 55”

Es ist klar, dass es viele verschiedene Ansichten zum Thema gibt. Dennoch sollte mal die andere Seite erwähnt werden. Andere Länder können mit ganz anderen Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen aufwarten.