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Wie die finanzielle Vertraulichkeit in kleinen Teilen schwindet?

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Staatliches Interesse an Informationen über die Bürger ist ein normales und legitimes Anliegen. Bereits die Römer erstellten entsprechende Statistiken. Jedoch führen moderne technologische Fortschritte zu einem Ungleichgewicht zwischen berechtigtem Interesse und illegaler Überwachung bei der Datensammlung. Die Balance kippt, und das Gleichgewicht verschiebt sich schnell und erheblich zugunsten der Regierenden und Verwaltungsbehörden. Die öffentlichen Reaktionen auf das staatliche Interesse an persönlichen Daten variieren stark, abhängig vom jeweiligen Bereich der Privatsphäre.

Besonders herausfordernd ist derzeit der Schutz der finanziellen Privatsphäre in den meisten westlichen Ländern. Das Eintreten für den Schutz der Privatsphäre in finanziellen Angelegenheiten entspricht nicht dem aktuellen Zeitgeist. Dem Drang von Regierung und Verwaltung, in die Privatsphäre der Bürger einzudringen, stehen in den deutschsprachigen Ländern nicht nur die Grundgesetze, sondern auch der praktizierte Datenschutz entgegen. Wer sich öffentlich gegen eine Ausweitung der staatlichen Befugnisse bei der Überwachung von Telefon und Internet äußert, wird daher nicht automatisch des Terrorismus verdächtigt.

Auch wird ihm nicht unterstellt, Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu haben, die von einer Einschränkung staatlicher Verfolgungsinstrumente profitieren könnte. Eine öffentliche Diskussion über die Privatsphäre findet in nahezu allen Lebensbereichen statt. Ironischerweise wird jedoch ausgerechnet der zentrale Aspekt unserer privaten Handlungen – unser Geld, das allgegenwärtige Zeichen unserer realen Interessen und Aktivitäten – von dieser Diskussion ausgeschlossen. Gegen den automatischen Informationsaustausch innerhalb der EU hat sich abgesehen von Luxemburg und Österreich kein nennenswerter Widerstand formiert.

Selbst diese beiden Länder haben sich dem automatischen Austausch nur insofern entzogen, als dass andere Staaten wie die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein nicht ebenfalls teilnehmen. Der Vorbehalt beruht also nicht primär auf ethischen Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre oder des möglichen Missbrauchs von Daten durch verschiedene Empfängerstaaten, sondern auf Fragen der relativen Wettbewerbsfähigkeit. Es ist kaum zu fassen: In der EU wird das Herzstück privater Handlungen und Tätigkeiten von mehreren Hundert Millionen Menschen erfasst, ohne dass eine nennenswerte öffentliche Debatte darüber stattfindet oder ein Land aus grundlegenden Überlegungen Widerstand leistet.

Die Gründe für den geringen Widerstand sind nur schwer zu ergründen. Geschicktes staatliches Marketing: Der beabsichtigte Zugriff auf private Finanzinformationen wird der Öffentlichkeit ausschließlich aus steuerlichen Gesichtspunkten präsentiert. Der Fokus liegt allein auf dem Nutzen der Daten, die man erhält. Die Risiken, die den Menschen durch die Daten entstehen können, die man an andere Regierungen sendet, werden nahezu ausgeblendet. Wer sich öffentlich gegen eine Ausweitung der staatlichen Befugnisse beim Zugriff auf Finanzdaten äußert, läuft Gefahr, von den Behörden – aber auch von der Öffentlichkeit – als steuerlich unkorrekt verdächtigt zu werden.

Ein Engagement für den Schutz finanzieller Privatsphäre hat politisch an Bedeutung verloren. Der Staat, der vorgibt, legitime Ansprüche der Steuerbehörden durchzusetzen, erscheint wesentlich harmloser als wenn er unter dem „Label“ allgemeiner Strafverfolgung und Geheimdienstaktivitäten tätig wird.

Schrittweises Vorgehen: Ein weiterer Grund für die geringe Opposition könnte im schrittweisen Vorgehen der Regierungen liegen. Zu Beginn des automatischen Informationsaustausches lag das Augenmerk ausschließlich auf Kontoständen und Erträgen auf den Konten.

Mittlerweile werden durch den von den USA eingeführten Standard FATCA jedoch deutlich umfassendere Informationen abgerufen. Infolgedessen wird nun auch der Bargeldverkehr zunehmend eingeschränkt und behindert, um Informationslücken für den Staat zu schließen. Hätten die Regierungen vor fünf Jahren angekündigt, dass Bargeldtransaktionen auf Kleinbeträge beschränkt werden sollten, um staatliche Wissenslücken zu schließen, wäre mit lautstarker Opposition zu rechnen gewesen. Neiddebatte: Ob es uns gefällt oder nicht: Ohne die Komponenten Gier und Neid lässt sich die weitgehend widerspruchslose Sonderbehandlung unserer finanziellen Privatsphäre nicht erklären.

Es entspricht unserer massenmedial geprägten Gesellschaft, dass nur Fälle in das öffentliche Rampenlicht gelangen, die eine breite Öffentlichkeit emotional ansprechen. Je größer und spektakulärer ein aufgedeckter Fall ist, desto mehr Aufmerksamkeit erhält er auch in der Öffentlichkeit. Je mehr Gier präsentiert werden kann, desto mehr Neid wird letztlich geweckt. Es gibt gute Gründe dafür, die Privatsphäre als Ganzes zu betrachten und dem finanziellen Teil keinen besonderen Status einzuräumen. Letztlich werden alle Daten zusammengetragen. Man sollte sich durch das Etikett, unter dem sie erhoben werden, nicht täuschen lassen. Die Schweiz, Österreich, das Fürstentum Liechtenstein und andere Länder haben historisch einen starken Schutz ihrer finanziellen Privatsphäre in Form des Bankgeheimnisses geerbt.

Damit haben sie vielen Menschen Schutz geboten. Dieses System wurde jedoch von verantwortungslos gierigen Steuerhinterziehern missbraucht und überstrapaziert. Dadurch wurde ebenso verantwortungslosen Polit-Karrieristen eine Gelegenheit geboten, um es unter lautem Gebrauch moralisierender Rhetorik abzulehnen und von ihrem eigenen Versagen abzulenken. In Deutschland führten die dramatischen Erfahrungen unter den Nationalsozialisten zu einer Verfassung, die die Staatsgewalt begrenzt sowie einem verfassungsmäßig verankerten Datenschutz. Das historisch bedingte Misstrauen gegenüber Staatsorganen hat sich in den letzten Jahren jedoch gewandelt: Nun herrscht Misstrauen seitens des Staates gegenüber seinen Bürgern.

Getrieben von Themen wie Terrorismus und Neid bewegt sich der Staat an der Grenze zur Rechtsstaatlichkeit. Er agiert als Hehler, indem er gestohlene Daten kauft; er nimmt Informationen entgegen, die ausländische Geheimdienste gesammelt haben und die er selbst nicht beschaffen darf; zudem tauscht er Informationen über Bürger anderer Länder aus, was leicht missbraucht werden kann. Es ist an der Zeit, im deutschsprachigen Raum eine grundlegende länderübergreifende Wertediskussion zu führen. Der Staat konnte seine Aufgaben seit Jahrhunderten – wenn nicht Jahrtausenden – finanzieren, ohne automatisch Zugriff auf die Finanzdaten seiner Bürger zu haben. Es besteht also keine objektive Notwendigkeit, jetzt die Privatsphäre zu verletzen und beim Zugang zu den Geldern der Menschen andere Regeln anzuwenden als für deren physische Haushalte, Telefone oder E-Mails. Unsere Gesellschaft ist stark; sie wird jedoch immer wieder geprüft.

In den 1970er-Jahren entführten und ermordeten Baader-Meinhof-Terroristen in Deutschland Menschen aus vermeintlich oberen Gesellschaftsschichten. Sie verübten Bombenanschläge und ließen eine Lufthansa-Maschine entführen. In dieser schwierigen Phase hielt sich der Staat an unangenehme Regeln für ihn, besiegte dennoch seine Herausforderungen erfolgreich. Die Kosten für Prozesse und Strafvollzug erschienen damals grotesk hoch; dennoch war es richtig – der Staat darf keine bequemen Kompromisse eingehen. Die Terroranschläge im Jahr 2001 in New York stellten unsere Gemeinschaft erneut auf die Probe. Die Staatsorgane überschritten im Kampf gegen Angriffe auf Leib und Leben verständlicherweise ihre Befugnisse bis zur Grenze; dies gilt auch für die Beschaffung von Daten durch Rasterfahndung.

Das Bundesverfassungsgericht wies jedoch die Behörden zurecht in ihre Schranken zurück. Unsere Gesellschaft ist stark; sie wird auch mit legitimen Mitteln dieser Bedrohung begegnen können. Kleine wie große Steuerhinterzieher umgehen jährlich Gelder an der Allgemeinheit vorbei; die finanzielle Privatsphäre erschwert deren Ergreifung erheblich. Auch hier steht unsere Gesellschaft vor einer Herausforderung hinsichtlich ihrer Pflicht zur Zurückhaltung. Wenn Geld nicht wichtiger ist als Leben, so hat sie bereits schwerere Prüfungen bestanden. Lassen wir uns auch in diesem Fall gewinnen.