“Lyssenkoismus” – “Durften die Wissenschafter nur das tun, was explizit von der Führung erwünscht wurde”

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Was stellt Wissenschaft überhaupt dar? Grundsätzlich kann erst mal jeder Mensch wissenschaftlich arbeiten und dazu ist kein akademischer Titel nötig. Dennoch ist die Wissenschaft von vielfältigen Abhängigkeiten geprägt. So können sich Irrlehren – wie der Lyssenkoismus – schnell verbreiten. Ein sachlicher wissenschaftlicher Dialog ist dann nicht mehr möglich und “Abweichler” sind der Verfolgung ausgesetzt. Es kann sich zu regelrechten religiösen Kriegen aufschaukeln.

“Jener Zeit in der UdSSR durften die Wissenschafter nur das tun, was explizit von der Führung erwünscht wurde”

>>Lumitos<<

“Der Lyssenkoismus war in der Sowjetunion ein Feldzug gegen die Genetik sowie gegen jene Biologen, die sich mit dieser Disziplin befassten. Diese Ära dauerte von den 1930er Jahren bis zu den 1960ern, und der „Biologe“ und ehemalige Bauer Trofim Denissowitsch Lyssenko spielte dabei eine zentrale Rolle. Wer den Begriff heute benutzt, meint im breiteren Kontext die Kontrolle der Politik über die Wissenschaft. Während jener Zeit in der UdSSR durften die Wissenschafter nur das tun, was explizit von der Führung erwünscht wurde.”

“Lyssenkoismus” – “Durften die Wissenschafter nur das tun, was explizit von der Führung erwünscht wurde”

Der “Erfinder” dieser Lehre war Trofim Denissowitsch Lyssenko gewesen, wobei er die volle Rückendeckung der damaligen Parteiführung – inklusive Josef Stalinhatte. Diese wissenschaftliche Lehre wurde also quasi als sakrosankt angesehen. Wenngleich die Grundlagen des Lyssenkoismus auf eher fragwürdigen Erkenntnissen ruhten.

“Seine Resultate als Fälschungen erwiesen”

>>Fälscher, Schwindler, Scharlatane Betrug in Forschung und Wissenschaft von Heinrich Zankl (Buch) <<

“Ein sehr engagierter Verfechter der Darwinschen Evolutionstheorie war der berühmte deutsche Zoologe Ernst Haeckel. … Auch der österreichische Biologe Paul Kammerer war in den Streit um die Evolutionstheorien verwickelt. Seine 1926 publizierten Experimente mit Geburtshelferkröten schienen die Vererbung erworbener Eigenschaften zu beweisen. Als sich seine Resultate als Fälschungen erwiesen, beging er Selbstmord. In Russland wurde er jedoch trotzdem als Held gefeiert. Dort trat etwa ab 1930 vor allem Trofim Desinowitsch Lyssenko als politisch motivierter Lamarckist hervor. Mit Hilfe der kommunistischen Staatsführung gelang es ihm, die als »Mendelisten« beschimpfte russische Genetiker-Elite weitgehend auszuschalten und den »Lyssenkoismus« zur Wissenschaftsdoktrin zu erheben. Diese Politisierung von Forschung und Lehre hat Russland nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich für lange Zeit schweren Schaden zugefügt.”

“Politisierung von Forschung und Lehre”

Es handelte sich hierbei nicht nur um eine “wissenschaftliche Erkenntnis” – sondern der Lyssenkoismus hat sich in eine regelrechte Hysterie gesteigert. Abweichler und Kritiker  wurden nicht geduldet.

“Lyssenko” – “Ein wissenschaftlicher Bandit”

>>Füchse zähmen von Lee Alan Dugatkin & Ludmila Trut (Buch) <<

“Im Jahr 1948 wurde – als Teil von Stalins Programm gegen Intellekt und Kosmopolitentum – ein groß angelegter Plan zur „Umgestaltung der Natur“ von der Sowjetregierung aufgestellt, und Lyssenko sollte über alle politischen Angelegenheiten im Zusammenhang mit den Biowissenschaften wachen. Kurz darauf, beim Kongress der Sowjetischen Akademie für Landwirtschaftswissenschaften W. I. Lenin im August 1948, hielt Lyssenko eine Rede mit dem Titel „Über die Lage in der biologischen Wissenschaft“, die weithin als die unaufrichtigste und gefährlichste in der Geschichte der Sowjetwissenschaft galt. Darin wetterte er aufs Neue gegen die „moderne reaktionäre Genetik“, womit er die moderne westliche Genetik meinte. Am Schluss seiner Tirade erhob sich das Publikum und jubelte ihm zu. Die bei der Tagung anwesenden Genetiker wurden genötigt, aufzustehen und ihren wissenschaftlichen Kenntnissen und Praktiken abzuschwören. Wer sich weigerte, wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und verlor seine Arbeitsstelle. … Ein Kollege erinnert sich, … , Lyssenko sei „ein wissenschaftlicher Bandit“. Beljajew äußerte sich nun gegenüber allen Wissenschaftlerkollegen, ob Freund oder Feind, sehr dringlich über die Übel des Lyssenkoismus.”

“Ob Freund oder Feind, sehr dringlich über die Übel des Lyssenkoismus”

Mit einer wissenschaftlichen Beweisführung oder rationalen Argumenten wäre man hier nicht weit gekommen. Der Lyssenkoismus wurde in die Staatsphilosophie mit eingeflochten, womit Kritiker dieser “Wissenschaft” automatisch als Staatsfeinde angesehen würden. Selbst primitive Beschimpfungen durften nicht fehlen.

“Anhänger Lyssenkos bezeichneten ihre Gegner” – “Faschisten” & “Antidarwinisten”

>>Das Lächeln der Medusa -: Die Geschichte des modernen Wissens von Peter Watson (Buch) <<

“Die Anhänger Lyssenkos bezeichneten ihre Gegner darauf hin als »Faschisten« und »Antidarwinisten« und betonten die logischen Zusammenhänge mit den Herrenrasse-Thesen der deutschen Biologen. Tatsächlich scheint die Akademie in dieser Zeit eher auf Wawilows denn Lyssenkos Seite gestanden zu haben, zumindest insofern, als sie die Wissenschaftlichkeit von Lyssenkos Forschung anzweifelte und weitere Experimente forderte. Für das Jahr 1938 war ein Weltkongress der Genetiker in Moskau geplant, und Wawilows Verbündete gingen nun davon aus, dass die Diskussionen mit internationalen Genetikern dem Lyssenkoismus ein für alle Mal ein Ende bereiten würden. Damit begann die große Säuberungsaktion. Neun führende Genetiker wurden 1937 verhaftet und anschließend erschossen. (Insgesamt wurden dreiundachtzig Biologen und zweiundzwanzig Physiker hingerichtet.) Das Verbrechen der Genetiker war, dass sie Gene für das einzige Erbgut hielten und gegenüber der offiziell sanktionierten Vernalisation zur Skepsis aufgerufen hatten.”

“Große Säuberungsaktion” – “Neun führende Genetiker wurden 1937 verhaftet und anschließend erschossen”

Die Säuberungswellen haben sicherlich für die nötige Einschüchterung gesorgt, damit konnte sich der Lyssenkos für rund 30 Jahre halten. Auch in der Gegenwart – und nicht nur in der fernen Sowjetunion – sind diese psychologischen Mechanismen zu beobachten.