“Ruinen schaffen ohne Waffen” – “Liste der Objekte, die besonders marode und damit auch gefährdet sind”

Screenshot twitter.com Screenshot twitter.com

Ein Gebäude an der Töpferstraße in Bautzen ist kollabiert. Es war Teil einer Reihe von Gebäuden, die sich schon lange in einem schlechten Zustand befanden. Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt. Es handelte sich um die alte “Zentrum Garage“, ein dreigeschossiges Haus in der Innenstadt von Bautzen, das seit Jahren leer stand. Tatsächlich handelt es sich hierbei nur um ein Beispiel, wie mit historischer Bausubstanz umgegangen wird.

“Gebäude, das unter Denkmalschutz steht”

>>Sächsische.de<<

“Das alte Haus an der Töpferstraße 29 steht bei der Stadt schon seit Jahren auf der Liste der Objekte, die besonders marode und damit auch gefährdet sind. … Natürlich hat auch … gesehen, dass sich das Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, inzwischen in einem erbärmlichen Zustand befindet.”

“Liste der Objekte, die besonders marode und damit auch gefährdet sind”

Die Stadtverwaltung vermutet, dass der Einsturz durch “starken Wind” verursacht wurde. Die gesamte rechte Außenwand des leerstehenden Hauses an der Töpferstraße ist eingestürzt, wobei Steine, Fensterrahmen und sogar Holzbalken auf dem Gehweg und der Fahrbahn liegen.

“Das dreigeschossige Haus in der Bautzener Innenstadt steht laut Polizei seit Jahren leer”

>>Radio Lausitz<<

“Das dreigeschossige Haus in der Bautzener Innenstadt steht laut Polizei seit Jahren leer. Bauverwaltung und Gebäudeverwalter seien in Kontakt, so Rathaussprecherin … . Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass starker Wind die marode Haushälfte zum Einsturz gebracht hat.”

“Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass starker Wind die marode Haushälfte zum Einsturz gebracht hat”

Die amtliche “Windtheorie” kann mal dahingestellt bleiben. Interessent sind vielmehr ganz andere Tatsachen. Der Verfall des historischen Denkmals wurde per behördlichen Klein-Klein festgehalten und als es zum Einsturz kam, dann mussten – auch die vielleicht noch rettbaren Teile – des Hauses ganz schnell beseitigt werden. Diese Taktik ruft Erinnerungen an die DDR-Wohnungspolitik wach.

“Die Häuser wurden deshalb oft nach einem gewissen Muster von oben nach unten entvölkert”

>>Neue Zürcher Zeitung<<

“Die Häuser wurden deshalb oft nach einem gewissen Muster von oben nach unten entvölkert. Durch das undichte Dach drang Wasser, was zunächst die oberste Wohnung unbrauchbar machte. Dann wurden die darunterliegenden Wohnungen feucht und schimmelig, bis am Ende nur noch das Parterre bewohnt wurde. … Das Volk prägte für den zunehmenden Zerfall der Städte den Ausdruck: «Ruinen schaffen ohne Waffen». … Ein Bericht des Zentralkomitees der SED hatte den Abriss von insgesamt 1,2 Mio. «nicht mehr modernisierungswürdigen» Altbauten bis 1990 empfohlen.”

“Abriss von insgesamt 1,2 Mio. «nicht mehr modernisierungswürdigen» Altbauten bis 1990 empfohlen”

Die DDR-Wohnungspolitik konzentrierte sich fast vollständig auf den Bau neuer Gebäude. Viele DDR-Altbauten wurden schlicht den Verfall überlassen und wurden nach einer Weil abgerissen. Die Plattenbauten waren dazu gedacht, die Idee einer sozialistischen, klassenlosen Gesellschaft zu repräsentieren. Im Gegensatz dazu wurden die historischen Innenstädte dem Verfall überlassen.

“Der Verfall der Stadt ging dennoch unaufhaltsam weiter”

>>DJ Westradio – Meine glückliche DDR-Jugend von Sascha Lange (Buch) <<

“Die meisten Kriegsschäden waren zu meiner Zeit schon beseitigt, zahlreiche Neubauten im 60er- und 70er-Jahre-Stil schlossen die Lücken. Nur hier und da sah man noch eine Ruine aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Verfall der Stadt ging dennoch unaufhaltsam weiter. »Ruinen schaffen ohne Waffen« hieß das in den 80ern im Volksmund in Anlehnung an eine Losung der westdeutschen Friedensbewegung. Die Alliierten hatten 1943 via Luftpost beträchtliche Vorarbeiten geleistet, und den Rest besorgte die kommunale Wohnungsverwaltung.”

“Die Alliierten hatten 1943 via Luftpost beträchtliche Vorarbeiten geleistet, und den Rest besorgte die kommunale Wohnungsverwaltung”

Auch der Ausspruch “Ruinen schaffen ohne Waffen” sollte auch heute wieder mit Vorsicht genossen werden. Denn solche Art von subversiver Kritik ist heutzutage ebenso ungern gesehen.

“Denn viele politische Witze arbeiteten subversiv mit den offiziellen Losungen”

>>Endspiel: Die Revolution von 1989 in der DDR von Ilko-Sascha Kowalczuk (Buch) <<

“Denn viele politische Witze arbeiteten subversiv mit den offiziellen Losungen. Die Parole «Frieden schaffen ohne Waffen» hieß im Volksmund zum Beispiel «Ruinen schaffen ohne Waffen – 40 Jahre DDR». Victor Klemperers berühmte «Notizen eines Philologen» über die Sprache im «Dritten Reich» mit dem Titel «LTI» gehörten bei systemkritisch eingestellten Lesern zur Standardlektüre, nicht zuletzt, weil viele eine mögliche «LQI» assoziierten, und wie wir heute wissen, hat Klemperer selbst über so ein Buch nachgedacht. Es existierten keine Möglichkeiten in der DDR, «die Sprachrealität in einem öffentlichen Diskurs kritisch zu überprüfen und in Frage zu stellen».Das machte sie so langweilig, gestanzt und zugleich zur subversiven Waffe, zum Einfallstor für Hohn, Witz und Kreativität. Auch die Gerüchte blühten und zählten zum festen Repertoire, weil Meinungen und Nachrichten öffentlich nicht kommuniziert werden konnten. Die DDR als Hort des Gerüchts ist noch nicht entdeckt worden.”

“Frieden schaffen ohne Waffen” – “Ruinen schaffen ohne Waffen – 40 Jahre DDR”

Die subversiven Mittel haben sich zu einem Wegbereiter für Spott, Humor und Einfallsreichtum entwickelt. Auch Gerüchte gediehen und gehörten zum festen Bestand, da Meinungen und Informationen öffentlich nicht ausgetauscht werden konnten.