Technologischer Abstieg & Bildungsungerechtigkeit: Warum der Sputnikschock ein vorübergehendes-einmaliges Ereignis war?
Ist sozialer Aufstieg durch Bildung ein Mythos? So manche im Zerfall befindliche staatliche Schule bringt so manchen Menschen ins grübeln. Doch es werden immer wieder positive Einzelbeispiele angeführt, wo der soziale Aufstieg gelungen sei. Also, alles nur Einbildung? An dieser Frage arbeiten sich auch Politiker regelmäßig ab.
“Nun behaupten viele, unsere Gesellschaft wäre undurchlässiger geworden”
>>Endspurt von Wolfgang Bosbach (Buch) <<
“Nun behaupten viele, unsere Gesellschaft wäre undurchlässiger geworden. Was Sie geschafft haben, wäre demnach heute so nicht mehr möglich. Stimmt das? Wir haben auch heute viele Möglichkeiten und Chancen. Chancengleichheit im Sinne von »Alle müssen beim Start in das Leben die gleichen Chancen haben« wird es wohl nie geben können, aber ein hohes Maß an Chancengerechtigkeit muss ein wichtiges politisches Ziel sein und bleiben.”
“Ein hohes Maß an Chancengerechtigkeit muss ein wichtiges politisches Ziel sein und bleiben”
Die absolute Chancengleichheit wird es sicherlich niemals geben. Aber es sind Tendenzen und Entwicklungen zu erkennen und diese lassen sich nicht einfach von der Hand weisen.
“Schneiden die Absolventen von Privatschulen bei den Testverfahren für die Hochschulen weit überdurchschnittlich ab”
>>Der neue Tugendterror von Thilo Sarrazin (Buch) <<
“Verantwortungsbewusste Bildungsforscher machen sich ganz zu Recht Sorgen, wie man es verhindern kann, dass die sozial Privilegierten ständig die Bildung ihrer Kinder auf eine Art fördern, die neue Ungleichheit schafft. Wenn man nicht aufpasst, unterlaufen sonst die gebildeten Schichten die Demokratisierung der Gymnasien durch das Ausweichen auf bilinguale Schulen oder gar private Schulen, wo ihre Kinder mehr lernen, mit der Folge, dass sie später in anspruchsvollen Berufen stärker vertreten sind. England und die USA müssen uns hier warnend vor Augen stehen: Dort schneiden die Absolventen von Privatschulen bei den Testverfahren für die Hochschulen weit überdurchschnittlich ab. Damit wird in jeder Generation neue soziale Ungleichheit produziert und der Aufstieg durch Bildung behindert.”
“In jeder Generation neue soziale Ungleichheit produziert und der Aufstieg durch Bildung behindert”
Auch so manche politisch verantwortliche Person spricht nur lobende Worte für das staatliche Schulsystem aus, doch ihre eignen Kinder sollen lieber eine Privatschule besuchen. Es sind keine subjektiven Eindrücke, sondern es lässt sich an harten Fakten festmachen.
“Pflanzen sich soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg fort”
>>Wem gehört Deutschland? von Jens Berger (Buch) <<
“Sozialer Aufstieg durch Bildung ist ein weiterer Mythos, an den wir uns gewöhnt haben. Gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- beziehungsweise Hauptschulabschluss. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine dreimal so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen. Von 100 Akademikerkindern studieren 71, von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien nur 24,4. So pflanzen sich soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg fort. Doch statt sich darüber zu echauffieren, dass Kindern aus der Unter- und der Mittelschicht der Aufstieg in die obersten Etagen der Wirtschaft versperrt ist, arbeitet sich die Öffentlichkeit lieber an der Frage ab, wie viele Männer und wie viele Frauen aus der Oberschicht im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen sollten. Die Oberschicht lacht sich dabei ins Fäustchen: So lange die Öffentlichkeit durch solche Grabenkriege abgelenkt ist, werden ihre Privilegien garantiert nicht angetastet. Wenn nicht der Sohnemann, sondern das Töchterchen in Pappas Fußstapfen tritt, was soll’s? Hauptsache, es bleibt in der Familie.”
“9,2 Prozent der Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- beziehungsweise Hauptschulabschluss”
Zumal die Lebenswirklichkeiten von Unter- und Oberschicht längst nicht mehr zusammenpassen. Arme am Gymnasium werden als regelrechter “Fremdkörper” wahrgenommen. Natürlich drängt sich dabei die Frage auf: Wie ist der Mythos “sozialer Aufstieg durch Bildung” überhaupt einstanden? Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden auf dem Gebiet der DDR umfangreiche Bildungsreformen statt. Das Kernstück waren die Polytechnischen Oberschulen, wo alle Kinder gemeinsam lernten. Im Westen wurde erstmal alles weitestgehend unverändert gelassen. Jedoch der Sputnikschock der 1950er Jahre löste erhebliche Unruhe aus: Denn die Sowjetunion hatte ihren ersten Satelliten ins All geschossen.
“In Amerika saß der Sputnikschock tief”
>>Amerikas ungeschriebene Geschichte von Oliver Stone & Peter Kuznick (Buch) <<
“In Amerika saß der Sputnikschock tief, und der Mehrheitsführer im Senat, der Demokrat Lyndon B. Johnson, warnte, die Russen könnten bald schon »wie Jungs, die Steine von Autobahnbrücken werfen, auf uns Bomben aus dem Weltall werfen«. Eisenhower tat die ganze Aufregung als völlig übertrieben ab. Die Russen hätten doch bloß, meinte er, »eine kleine Stahlkugel in die Luft geschossen«. … Einen Monat später schossen die Sowjets den sehr viel größeren, sechs Tonnen schweren Sputnik 2 ins All.”
“Bomben aus dem Weltall werfen”
Die technologische Vorherrschaft ist sichtbar ins Wanken geraten. Aus diesem Grund wurden auch im Westen umfangreiche Bildungsreformen durchgeführt, wodurch das Bildungssystem offener wurde.
Sputnikschock: “Reformen krempelten das Bildungs- und Wissenschaftssystem um”
“Der Westen erlitt den sogenannten Sputnik-Schock und die Vereinigten Staaten verloren zwischenzeitlich das Bewusstsein für ihre technologische Überlegenheit. Doch im Wettstreit der Systeme setzte die Panik der Kapitalisten historische Kräfte der Erneuerung frei. Unter den Präsidenten Eisenhower und Kennedy reagierten die USA mit der Verwandlung in eine Technologie-Supermacht. Reformen krempelten das Bildungs- und Wissenschaftssystem um.”
Warum der Sputnikschock ein vorübergehendes-einmaliges Ereignis war?
In der Wirklichkeit sind diese Reformen zwischenzeitlich als Obsolet anzusehen, aber sie leben dennoch als Mythos weiter: Der soziale Ausstieg durch Bildung ist nach wie vor – als Glaubenssystem – vorhanden. Historisch hat sich der Sputnikschock als vorübergehendes-einmaliges Ereignis erwiesen. Schließlich ist die technologische Führung auf vielen Gebieten auf China übergegangen, was hierzulande mit sichtbarer Gleichgültigkeit hingenommen wird. Und tatsächlich wird auf chinesischen Eliteschulen eine echte geistige Elite ausgebildet, wo das Elternhaus nur eine geringe Rolle spielt.